Die Sexualmedizinerin Eliane Sarasin beantwortet Ihre Fragen zu Liebe, Partnerschaft und Sexualität – ohne Tabus und falsche Scham.
«Wir sind seit 35 Jahren verheiratet und hatten ein sehr erfüllendes Sexleben. Doch nun bin ich verunsichert: Seit mein Mann pensioniert ist, verbringt er viel Zeit in seinem Arbeitszimmer. Kürzlich habe ich entdeckt, dass er dort im Internet heimlich Pornos schaut. Mich hat das sehr getroffen. Ich fühle mich betrogen, obwohl er mir versichert, dass das nichts mit unserer Beziehung zu tun habe. Hinzu kommt, dass er sich sexuell immer mehr zurückzieht. Wenn wir doch einmal Sex haben, hat er Probleme mit seiner Erektion. Ich fürchte, dass er mich nicht mehr attraktiv findet und ihn nur noch die jungen Frauen in den Pornos erregen.»
Manuela, 64
Ich höre aus Ihren Zeilen viel Angst heraus, Angst, Ihren Mann zu verlieren, Angst, nicht mehr attraktiv zu sein. Sie sehen sich in Konkurrenz zu den Pornodarstellerinnen und fühlen sich zurückgewiesen. Ihr Mann hingegen versucht, seinen Pornokonsum als etwas von der Beziehung Losgelöstes darzustellen.
Wichtig zu wissen ist, dass Männer generell mehr masturbieren, wenn es ihnen nicht so gut geht. Pornokonsum bedeutet für sie Ablenkung – von allem, was sie gerade umtreibt. Frauen hingegen befriedigen sich häufiger selbst, wenn es ihnen besonders gut geht, also zum Beispiel dann, wenn sie frisch verliebt sind. Vielleicht fühlt sich ihr Mann nach der Pensionierung nutzlos oder vermisst seinen beruflichen Status. Möglicherweise konnte er sich noch nicht mit der neuen Lebensphase anfreunden. Beim Pornoschauen ist es leicht, sich wieder als «potent» zu erleben und unangenehme Gefühle zu verdrängen.
Zudem sind Erektionsstörungen in seinem Alter häufig. Sie müssen kein Zeichen von mangelndem Begehren sein, sondern gehören zum normalen Alterungsprozess mit dazu. Für viele Männer ist diese Entwicklung jedoch schambesetzt. Sie vermeiden lieber intime Zusammenkünfte, als das Gespräch mit der Partnerin zu suchen. Beim Pornokonsum kann ihr Mann weiterhin «der grosse Hirsch» bleiben. Keine Darstellerin wird seine Erektion einem prüfenden Blick unterziehen und ihn fragen: Ist das etwa alles, was du zustande bringst? Das fühlt sich für viele Männer wie ein geschützter Rahmen an.
Ich rate Ihnen zu einem offenen und ehrlichen Gespräch mit Ihrem Mann. Wählen Sie dafür einen ruhigen Moment und sprechen Sie über Ihre Befürchtungen. Verurteilen Sie ihn nicht und machen Sie ihm auch keine Vorwürfe. Lassen Sie sich vielmehr von Neugier und Respekt für seine Bedürfnisse leiten. Sagen Sie: «Ich möchte dich verstehen, weil du mir wichtig bist. Was fasziniert dich an diesen Pornos? Erzähl mir mehr.» Teilen Sie ihm auch mit, dass Sie seine Zuwendung und die gemeinsame Sexualität vermissen. Fragen Sie ihn, ob ihm etwas fehlt, und wie es ihm generell mit seiner neuen Lebenssituation geht. Vergleichen Sie sich nicht mit den jungen Pornodarstellerinnen, sondern besinnen Sie sich auf Ihre eigenen erotischen Qualitäten. So begegnen Sie Ihrem Mann als selbstbewusste, grosszügige Partnerin. Das Gespräch wird sie wieder näher zusammenbringen.
Erwarten Sie jedoch nicht, dass Ihr Mann ganz mit dem Pornokonsum aufhört. Gestehen Sie ihm eine gewisse Intimsphäre zu. Jeder Mensch braucht neben dem Sex mit dem Partner oder der Partnerin auch eine eigene sexuelle Welt für sich, die er nicht mit der Partnerin teilen möchte.![]()
- Hier lesen Sie ein Interview mit unserer Expertin, und hier finden Sie die anderen Beiträge dieser Rubrik.
- Mehr zum Thema Liebe und Sexualität finden Sie in unserem Dossier: «Liebe ist…»
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