Die Gefahr, im Alter an Gürtelrose zu erkranken, ist gross. Ein neu zugelassener Impfstoff will uns davor bewahren. Er ist weit wirksamer als sein Vorgänger.
Text: Roland Grüter
Die Schreckenstage liegen mittlerweile dreissig Jahre zurück, aber Alphons Müller* erinnert sich noch immer haargenau an sie zurück. Er bemerkte damals am linken Unterbauch kleine Bläschen, die Haut war gerötet – dort, wo er seit Tagen einen dumpfen Schmerz verspürt hatte. Deshalb vereinbarte er mit seinem Hausarzt einen Express-Termin. Die Diagnose: Gürtelrose (Herpes Zoster). «Erst dachte ich: easy. Doch dann ging es los», erzählt der heute 63-Jährige und verzieht dabei das Gesicht, als müsse er das Elend neuerlich durchleben: «Die einzelnen Bläschen verdichteten sich zu einem Band, das halbseitig meine linke Flanke umkreiste. Dann begannen die Quaddeln höllisch zu schmerzen, als hätte mir jemand tausend feuerheisse Nadeln in die Haut gesteckt.»
Medikamentös lässt sich das Wirken der Viren einschränken, die Schmerzen etwas lindern. Der Verlauf bleibt trotzdem schmerzhaft. Noch heute zeugen Narben von Alphons Müllers damaligem Leiden. Deshalb stand für ihn fest: Diesen Horror wollte er kein zweites Mal erleben. Aus diesem Grund liess er sich unlängst impfen.
Viren schlummern in unserem Körper
Die Angst vor einer Zweiterkrankung ist nicht unbegründet. Das Risiko dafür liegt zwischen vier und zehn Prozent. Denn Varizella-Zoster-Viren, die hinter der Gürtelrose wirken, schlummern jahrelang in unserem Körper, ohne dass wir sie bemerken. 95 Prozent aller Erwachsenen sind Träger davon. Sie kommen mit dem Virus meist in Kindertagen in Kontakt: Varizella-Zoster-Viren bewirken nach dem Erst- Infekt Windpocken. Die Viren quartieren sich in der Folge in den Nervenzellen-Ganglien des Rückenmarks ein. Eine Immunschwäche, chronische Krankheiten oder altersbedingte Gebresten können den stillen Gast jedoch zu neuem Leben erwecken. Daraufhin verbreitet er sich neuerlich und befällt Teilbereiche des Körpers, oft die Hüften (ganz- oder halbseitig), manchmal sogar Gesicht und Augen. Typisches Merkmal dafür sind flüssigkeitsgefüllte Bläschen.
Ebenso typisch sind die starken Schmerzen, wie sie Alphons Müller durchlebte. Die Viren befallen und beschädigen Nervenzellen. Im schlimmsten Fall erholen sich diese davon gar nicht oder äusserst langsam. Mit schlimmen Folgen: Der Schmerz strahlt über Monate oder Jahre weiter (postherpetische Neuralgien). Solche Komplikationen treten bei etwa 30 Prozent aller Fälle auf. Sie sind bei älteren Menschen und bei Patientinnen und Patienten mit Immundefekten deutlich häufiger.
Zwar steht in der Schweiz schon seit 2017 ein Impfstoff (mit abgeschwächten Lebendviren) gegen Herpes Zoster im Einsatz. Doch dessen Wirkkraft ist weit geringer als sein potenzierter Nachfolger Shingrix. Dieser umfasst eine Untereinheit des Herpes-Zoster-Virus und einen verstärkenden Hilfsstoff. Er wurde im Oktober 2021 für die Schweiz zugelassen und wird seit Anfang 2022 verabreicht. Die Kosten (rund 350 Franken) werden von den Krankenkassen bei über 65-Jährigen übernommen – sowie bei Jüngeren, die zu einer der Risikogruppen gehören. Alle andern müssen die Impfung selbst berappen.
30 000 Neuerkrankungen pro Jahr
Gürtelrose ist verbreiteter als oft angenommen. Gemäss Studien erkranken zwischen 25 und 30 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens an Herpes Zoster. Eine Studie zeigt, dass in Deutschland jährlich mehr als 300 000 Personen ab 50 Jahren davon betroffen sind. Umgerechnet auf die Schweiz entspricht das etwa 30 000 Neuerkrankungen pro Jahr. Zwei Drittel der Patientinnen und Patienten sind älter als 50 Jahre. Denn die Reaktivierung des Virus tritt häufiger bei älteren Personen auf.
Die Schwere der Gürtelrose und ihrer Komplikationen nimmt bei über 50-Jährigen ebenfalls zu. Deshalb rät das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Menschen ab 65 dringlich dazu, sich gegen Herpes Zoster impfen zu lassen. Denselben Rat richtet die Behörde auch an Menschen ab 50, die vor kräftezehrenden (Krebs-)Therapien stehen oder die an Immunschwäche leiden. Klinische Studien weisen für Shingrix eine Wirksamkeit von 91 Prozent gegen Gürtelrose und 89 Prozent gegen postherpetische Neuralgie nach.
Der Impfstoff scheint hochpotent. Das zeigt sich leider auch in den Reaktionen nach der Impfung. Bei 83 Prozent treten Schmerzen auf, bei 44 Prozent Rötungen und Schwellungen, bei 17 Prozent sogar Fieber. «Das ist zwar nicht schön, aber vergleichsweise ein Klacks zu dem, was ich durchlitten habe», sagt Alphons Müller. Er nahm die Unbill gern in Kauf. «Für mich ist das Thema damit definitiv erledigt.»
*Name von der Redaktion geändert.
Das Thema interessiert Sie?
Werden Sie Abonnent/in der Zeitlupe.
Neben den Print-Ausgaben der Zeitlupe erhalten Sie Zugang zu sämtlichen Online-Inhalten von zeitlupe.ch, können sich alle Magazin-Artikel mit Hördateien vorlesen lassen und erhalten Zugang zur Online-Community «Treffpunkt».
Um diese Website optimal bereitzustellen, verwenden wir Cookies.
Mit der Nutzung dieser Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Erfahren Sie mehr in der
Datenschutzerklärung.