© Sonja Ruckstuhl

Blinde Liebe ist teuer

Sie geben vor, die grosse Liebe zu suchen, und wollen nur eines: das Geld ihrer Opfer. «Love Scammer», wie die Liebesbetrüger genannt werden, haben es vor allem auf ältere, gutgläubige Menschen abgesehen. Eine Betroffene erzählt.

Text: Roland Grüter
Dieser Beitrag erschien in der Zeitlupe 5/2019

Friedrich Nietzsche schrieb einst: «Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.» Schauspielerin und Jazz-Sängerin Anny Weiler weiss nur zu gut, wie recht der Philosoph mit seinem Bonmot hatte. Die 74-Jährige sitzt in ihrer Zweizimmerwohnung am Stadtrand von Zürich und erzählt eine Geschichte, in der es um Internet-Schwindler geht, die vortäuschten, ihr Herz zu wollen, es aber einzig auf ihr Geld abgesehen hatten. Fast ihr gesamtes Geld hat sie dadurch verloren und was mindestens ebenso schwer wiegt: das Vertrauen in sich selber. Noch immer fragt sie sich: «Wie konnte ich nur so blöd sein, mich dermassen blenden lassen?»

Anny Weiler ist ein Opfer sogenannter «Love-» oder «Romance-Scammer». Die Liebes-Betrüger spüren im Internet auf Dating- oder Social-MediaPlattformen vorzugsweise ältere, alleinstehende Frauen und Männer auf. Sie umgarnen diese mit Liebesschwüren, bis ihnen die Menschen ihre Herzen und das Portemonnaie öffnen. Sie schicken ihren Auserwählten Bilder, die sie im Internet stehlen, und erfinden dazu ein Leben, dem nur eines fehlt: ewige Liebe. Diese binden sie an der neuen Bekanntschaft fest. Doch die Liebesschwüre sind Lügen. Sie dienen einzig dazu, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, um daraus Kapital zu schlagen. Gelingt das den digitalen Herzensbrechern, verschwinden sie samt dem Geld.

Ein Schelmenstück? Von wegen! Dahinter steckt meist eine gut organisierte kriminelle Industrie mit Hauptsitz in Ghana, Kenia und Nigeria. Experten schätzen, dass mit Love Scam jährlich Hunderte Millionen Dollar ergaunert werden. Digitale Liebesbetrügereien stehen an der Spitze der Internet-Verbrechen. Also Vorsicht!

Anny Weiler hatte bis März 2016 keine Ahnung von solchen Machenschaften. Sie glaubte an das Gute in den Menschen und war damit lange Jahre gut gefahren. Dann segelte die auf Englisch abgefasste Nachricht eines Unbekannten in ihre Mailbox: Bryan, ein 60-jähriger Architekt aus San Francisco, beruflich erfolgreich, verwitwet, Vater einer Tochter, Besitzer von zwei Hunden. Dem Mann fehlte nur eines zum grossen Glück: die richtige Frau an seiner Seite.

Die Rückkehr der Schmetterlinge

Wie Bryan schrieb, war er per Zufall auf die Homepage der Künstlerin gestossen und hatte in ihr sofort eine Seelenverwandte erkannt. Gentlemanlike fragte er sie an, ob sie mit ihm eine Mailfreundschaft eingehen möge. Sie winkte ab, erklärte, dass sie das Thema Partnerschaft endgültig abgeschlossen habe. Er zeigte Verständnis. Daraufhin dachte sie: Weshalb die Türe gleich zuschliessen? Anny Weiler verlangte ein Bild, Bryan schickte eines. Dieses zeigte einen sympathisch wirkenden Mann. Innert kürzester Zeit liess er sie an seinem Leben teilhaben, schrieb ihr von morgens bis abends Nachrichten. Schmetterlinge stiegen auf. Die beiden begannen zu telefonieren. Er sprach von Fügung, dankte Gott und dem Schicksal, dass er endlich gefunden hatte, wonach er derart lange gesucht hatte. Ihr Vertrauen wuchs.

Dann musste Bryan auf Geschäftsreise nach Doha. Ein Millionenprojekt, er sollte den VIPFlügel des dortigen Flughafens umbauen. Auf der Rückreise, so die Abmachung, wollte er Anny Weiler in Zürich besuchen und endlich in die Arme schliessen. Urplötzlich lief alles aus dem Ruder. Bryan wurde in Afrika bestohlen: Das Bargeld, alle Ausweise, die Bankkarten – alles weg. «Kannst Du helfen?» Sie zögerte. Er hakte nach, schickte ihr gefälschte Dokumente. Sie liess sich täuschen, überwies ihm das erste Geld. Doch das Unglück ging weiter. Neue Geschichten, neue Zahlungen. Die Spirale drehte weiter. Bis sie endlich zur Einsicht kam: Da läuft etwas grundfalsch. Nach fünf Monaten war Schluss: «Ich teilte ihm mit, keinen Rappen mehr zu bezahlen.» Bryan verschwand daraufhin aus Annys Leben. Die Liebe und das Geld waren verloren. Was Anny Weiler erlebt hat, ist beispielhaft dafür, wie Love Scammer arbeiten.

Als die Künstlerin erkannte, dass sie einem Gauner respektive einer Gaunerbande auf den Leim gegangen ist, ging sie zur Polizei und erstattete Anzeige. Ohne Erfolg. Für die 74-Jährige brach eine Welt zusammen: «Noch nie war ich derart verraten worden», sagt sie. «Ich haderte jedoch nicht mit den Betrügern, sondern mit mir selber. Ich zweifelte an meinem Verstand.» Sie lässt ihren Blick durch die kleine Wohnung gleiten und sagt: «Das Lehrgeld für meine Dummheit ist hoch. Mein Alterskapital ist weg, die Wohnung, seit 20 Jahren meine Fluchtburg, kann ich nicht länger halten.»

Damit es andern nicht ebenso ergeht, wagt Anny Weiler nun den Schritt an die Öffentlichkeit. Sie wirkte Ende März in einer Reportage des Fernsehsenders RTL über Love Scamming mit. Ausserdem hat sie vor kurzem eine Selbsthilfegruppe gegründet. «Damit andere nicht so viel Leid erfahren müssen, wie ich es erlebt habe», sagt sie. Die Künstlerin hat ihre Erlebnisse sogar zu einem Theaterstück verwoben, im Herbst will sie damit auf Tournee gehen.

Informationen:

  • Die Pro-SenectuteOrganisationen führen regelmässig Informationsanlässe und Schulungen zum Thema Cyberkriminalität durch. Informationen zum Thema «Finanzmissbrauch» finden Sie hier.
  • Infos zu Onlinebetrug und Scamming gibts auch bei verschiedenen Polizeistellen, z.B. bei der Stadtpolizei Zürich unter dem Stichwort Onlinebetrug/Scamming oder bei der Schweizerischen Kriminalprävention unter «Love Scam» oder «Romance Scam»

Kontakt der Selbsthilfegruppe

Selbsthilfezentrum, Jupiterstrasse 42, 8032 Zürich, selbsthilfe@selbsthilfecenter.ch

Schwerpunkt «Liebe ist…»

Zwei rote Herzen, handgemalt

Diesen Sommer steht in der Zeitlupe die Liebe im Zentrum: Welches sind die Traumpaare im Garten, wie diskutieren Jung und Alt über die Liebe, wohin führt der Liebesweg und was genau ist eine Surrogatpartnerschaft…? Das und vieles mehr finden Sie auf zeitlupe.ch/liebe-ist

Beitrag vom 28.05.2019