Hochzeit in Schwarz

Im Gründungsjahr der Zeitlupe heirateten die Eltern von Ruth Hess aus Arbon TG: Marie und Otto Hauenstein-Brandenberger. Ganz in Schwarz, wie damals üblich.

Meine Eltern lernten sich am Gemüsestand kennen. Wenn mein Vater in der Stadt Gemüse und Blumen von seinem kleinen Hof in Fällanden verkaufte, brachte er meiner Mutter Marie Brandenberger immer öfter ein Sträusschen mit. Sie war als junges Mädchen aus dem Bündnerland nach Zürich gezogen und arbeitete als Köchin in der «Pflegi», der Pflegerinnenschule mit Frauenspital beim Römerhof.

Das waren noch Zeiten: Hochzeitspaar von 1923 im ovalen Bilderrahmen
© zVg

Ihr Hochzeitsfoto von 1923 hängt bei mir an der Wand. Viel von diesem Tag haben Braut und Bräutigam nie erzählt. Aber das schwarze Seidenkleid mit dem Rosenmuster, das man auf dem Bild kaum erkennt, trug ich später nach. Meine Mutter hatte es als geschickte Näherin selbst geschneidert. Damals waren schwarze Hochzeitskleider üblich – und praktisch, weil man sie später zum Abendmahl oder zu Beerdigungen tragen konnte.

Mein Vater, mit Jahrgang 1881 siebzehn Jahre älter als seine Frau, trug zeitlebens einen schönen Schnauz. Den Zylinder, den er auf dem Hochzeitsfoto in der Hand hält, besitze ich bis heute. Auch wenn das Foto recht vornehm wirkt: Meine Eltern hatten kaum Geld. «Wir sind nicht arm, wir sind gesund», pflegte mein Vater zu sagen. Stolz lehnte er die AHV mit der Begründung ab, er wolle keine Almosen. Die Mutter holte den hochwillkommenen Zustupf – 47 Franken – heimlich beim Pfarrer.

Im Dorf hiess es, aus uns Kindern würde sicher nichts Rechtes. Der Armenpfleger drohte, uns zu «versorgen», wenn wir nicht spurten. Doch wir hielten zusammen und wollten es allen zeigen. Meine Schwester, meine vier Brüder und ich lernten früh, selbstständig zu arbeiten und Verantwortung zu übernehmen. Auch ohne Sekundarschule oder Lehre haben wir alle viel erreicht.

Aufgezeichnet von Annegret Honegger
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Beitrag vom 06.03.2023

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