Abend für Abend stehen Marc und Susanne Bonanomi mitten im Pendlerstrom im Bahnhof Bern und verteilen Flugblätter für eine bessere Welt. Dafür werden sie belächelt und abgelehnt – aber noch öfter unterstützt und bewundert.
Text: Usch Vollenwyder
Sie könne nicht anders, sie müsse sich einfach für eine bessere Welt einsetzen, sagt Susanne Bonanomi: «Es ist mir eine Herzensangelegenheit!» Und so steht die 88-jährige vierfache Mutter und zehnfache Grossmutter jeweils von Montag bis Samstag während des Feierabendgedränges mit ihrem Mann Marc Bonanomi in der Bahnhofhalle von Bern. Am Fuss der Treppe hinauf zur Heiliggeistkirche verteilt das Paar Flugblätter aus seinem Einkaufswagen. Mit den Worten «Klimaschutz mit Messer und Gabel» oder «Prima fürs Klima» drückt der ehemalige Pfarrer Vorbeieilenden die Prospekte in die Hand.
Marc und Susanne Bonanomi kämpfen fürs Klima; sie kämpfen gegen die Massentierhaltung, sie kämpfen für den Veganismus. Politisiert worden seien sie durch ihren ältesten Sohn, der sich in den Siebzigerjahren der Anti-AKW-Bewegung angeschlossen habe. Damals begann auch ihr Engagement in der Öffentlichkeit – zunächst zurückhaltend, nach ihrer Pensionierung zunehmend radikal. Bonanomis gingen auf die Strasse: für den Frieden, für die Frauen, für den Umweltschutz, für sauberes Trinkwasser, für fairen Handel, für die «Dritte Welt». Sie nahmen an Kundgebungen und Demonstrationen, an Friedensnächten und Friedensmärschen teil.
Als sich das Paar 1953 kennenlernte, war Marc Vermessungsingenieur, und Susanne Moser arbeitete als Kindergärtnerin. Die beiden heirateten, zwischen 1959 und 1966 kamen vier Kinder auf die Welt. Dann erst begann Marc Bonanomi das Theologiestudium in Bern. Mit dem Pfarramt in Zollikofen und der Familie blieb dem Paar wenig Zeit für anderes. Doch ihre Tür stand Benachteiligten und Heimatlosen offen. Die Sorge um eine verletzlich gewordene Umwelt versuchte Marc Bonanomi mit seinen Gemeindemitgliedern zu teilen. Noch stiess er damit auf wenig Interesse. Proteste gab es hingegen, wenn er mit der Konfirmandenklasse während des traditionellen Lagers auf Fleisch verzichten wollte.
Nach ihrer Pensionierung zogen sich Marc und Susanne Bonanomi ganz aus dem Pfarramt zurück. Sie verbrachten viel Zeit mit ihren Grosskindern; in der Zwischenzeit sind noch zwei Urenkel hinzugekommen. Beide sagen: «Wir kämpfen für die Zukunft unserer Enkel und die aller anderen Kinder». Als im Bundesrat über Waffenlieferungen in Konfliktgebiete diskutiert wurde, stellte sich Susanne Bonanomi mit einem Plakat vor das Bundeshaus: «Waffen exportieren – Flüchtlinge importieren». Die Polizei rückte an, um die unbewilligte Demonstration aufzulösen – und war ratlos, wie sie mit dieser herzlichen älteren Frau umgehen sollte.
Die Würde der Tiere ist Ihnen wichtig
Seit 1960 sind Susanne und Marc Bonanomi Vegetarier, seit wenigen Jahren leben sie vegan. Aus Tierliebe – und weil sie vom Schlagwort «Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen» nicht mehr loskommen. Ein Skandal sei es, dass Menschen in armen Ländern darben müssten, weil auf ihrem Land Futterpflanzen für die Tiere reicher Nationen angepflanzt würden. Die Würde der Tiere ist ihnen wichtig. Mit veganer Ernährung fühlen sie sich aber auch gesund; Gelenkschmerzen oder Rheuma kennen sie nicht. Sie mögen Linsen, Erbsen, Bohnen, Soja, Tofu und viel Gemüse – und ergänzen ihre vegane Nahrung konsequent mit Vitamin B12.
Mit diesem Anliegen stellt sich das Paar Abend für Abend mitten in den Pendlerstrom. So hoffen sie, möglichst viele Menschen zu erreichen. Die meisten eilen vorüber, andere nehmen den Flyer entgegen, von einigen gibt es böse Blicke. Hin und wieder bekämen sie gehässige Kommentare zu hören, sagt Marc Bonanomi. Doch die positiven Reaktionen würden überwiegen: Ein kurzes «Ich bin schon vegan» oder die Bemerkung «cooles Leibchen» freuen Susanne Bonanomi. «Und vorhin hat mich ein Inder an seine Brust gedrückt und ‹my vegan brother› genannt», ergänzt Marc Bonanomi.
Wenn der Pendlerstrom abebbt, fährt das Paar zurück nach Zollikofen. Hand in Hand gehen sie durch den Bahnhof, den Einkaufswagen hinter sich herziehend. Müde, manchmal traurig ob der Gleichgültigkeit vieler Passanten, manchmal beglückt von anregenden Begegnungen. Manchmal habe sie Hoffnung für unseren Planeten, sagt Susanne Bonanomi, manchmal nicht. Wenn er an die Prognosen der Wissenschaft denke, habe er kaum Zuversicht, meint Marc Bonanomi: «Dann schaue ich hinauf zum Herrgott und denke, dass er um unsere Zukunft weiss. Ich überlasse sie ihm.» ❋
Adresse: Marc und Susanne Bonanomi, Linckweg 1, 3052 Zollikofen, Mail: marc.bonanomi@hispeed.ch, Facebook: Marc Bonanomi
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