Erich Keller arbeitet seit fast 30 Jahren in der Schokoladenbranche. Hat er den Traumjob, um den ihn alle Schleckmäuler beneiden?
Text: Anita Lehmeier, Fotos: Mirjam Kluka
Schon von Weitem ahnen Kenner, worum es bei der Max Felchlin AG geht: Das Dach des neuen Firmensitzes in Ibach SZ bildet eine Folge von drei Wellen. Sie symbolisieren die Bewegung der flüssigen Schokolade beim Conchieren. So heisst die Prozedur, bei der die Schoggi stundenlang erwärmt und gerührt wird, damit die geschmeidige, zart schmelzende Masse entsteht, die wir so lieben.
Der Duft, der über dem Areal schwebt, verrät zweifelsfrei: Hier wird Schoggi gemacht. Als Fan von Süssem jeder Art bin ich aufgeregt wie ein Kind vor Weihnachten. Beim Betreten des Empfangsraums fühle ich mich wie der kleine Charlie aus dem Kinderbuchklassiker von Roald Dahl, der die Schokoladenfabrik besuchen darf. Nur dass Erich Keller, der Verkaufsleiter Schweiz, mit dem ich verabredet bin, die viel nettere Version von Willy Wonka ist. Bei Kaffee und Schokolädli à discretion reden wir über die süssen und bitteren Aspekte von Kellers Job.
Weihnachten – einst bekamen Kinder von der Grossmutter eine Tafel Schokolade, einen Fünfliber und selbst gestrickte Socken oder einen Calida-Pyjama unter den Christbaum gelegt, alle Jahre wieder. Ist Weihnachten auch heute für einen Schokoladenhersteller ein Freudenfest? «Schoggi spielt als Luxusgeschenk, das sie ja von Natur aus ist, durchaus eine Rolle an Weihnachten. Das spüren wir im Fabrikladen im Dezember deutlich. Da klingeln die Kassen erfreulich.»
Ein Paradies für Schoggifans
Mit über elf Kilogramm pro Kopf und Jahr sind wir Schweizerinnen und Schweizer seit Jahren Weltmeister im Schoggikonsum. Von unseren süssen Gelüsten profitieren alle in der Branche, auch ein kleiner Player wie Felchlin. Der Fabrikladen ist für Schoggifans ein wahres Paradies. Hier kommen auch Privatpersonen in den Genuss der Felchlin-Produkte, die sonst den Profis vorbehalten sind. Das Sortiment umfasst nebst den Couverturen in Grosspackungen eine beeindruckende Auswahl an veredelten Spezialitäten, Tafelschoggis und Pralinen, hergestellt von den besten Confiserien und Bäckereien aus der ganzen Schweiz. Hunderte von süssen Versuchungen. Kann Erich Keller da widerstehen? «Ich esse Schoggi ja von Berufs wegen, für mich ist das quasi Arbeit. Ich verkoste Schoggi von den Rohstoffen bis zum Endprodukt ununterbrochen.»
«Swiss Made steht noch immer für Qualität und Exzellenz.»
Wir kommen auf Trump und die US-Strafzölle zu sprechen. «Die spüren wir, ganz klar», sagt Keller, «aber auch nicht brutal. Amerika ist kein matchentscheidender Markt für uns. Viel wichtiger ist Europa. Der Nahe und Mittlere Osten plus Asien wachsen. Selbst in Australien und Neuseeland sind wir vertreten. Swissness und Swiss Made stehen in der Welt noch immer für Qualität und Exzellenz. Und die Hälfte unseres Umsatzes machen wir in der Schweiz.»
Die Kakaopreise sind explodiert
Was Keller eher Sorgen bereitet, sind die Kakaopreise. Sie sind in den letzten Jahren massiv gestiegen. «Die Preise waren über 20, 30 Jahre stabil. Und jetzt gehen sie an der Börse durch die Decke. Ursachen sind Missernten, Ernteausfälle, strukturelle Probleme in den Anbauländern und Spekulation», erklärt Keller. Die gestiegenen Preise hätten die Endprodukte spürbar verteuert, gute Schokolade sei wieder ein Luxusprodukt. «Es hat schlicht viel zu wenig Kakao auf der Welt! Nur durch unsere langjährigen Engagements in den Anbaugebieten kommen wir überhaupt noch an Kakao.»
Die Rohstoffpreise dürften auch weiterhin hoch bleiben. Erich Keller: «Die Kakaopflanze wächst nur im schmalen Gürtel zwischen 20 Grad nördlich und 20 Grad südlich vom Äquator. Wenn bald 1,4 Milliarden Chinesen auf den Geschmack von Schokolade kommen und plötzlich Gluscht auf mehr als 200 Gramm pro Jahr entwickeln …», den Rest des Satzes lässt Keller unbeantwortet schweben – neben dem Schoggiduft in der Luft.
Unser Gespräch findet in der grossen, hellen Kantine unter dem Dach statt. An der Wand hängt eine Ehrentafel, auf der die Dienstjubiläen der verdienten Mitarbeitenden gelistet sind – 10 Jahre, 20 Jahre, 30 Jahre. Bald rückt Erich Keller in diese letzte Kategorie auf. Der Schwyzer aus Brunnen absolvierte bei Felchlin schon seine KV-Lehre, von 1994 bis 1997. Nach einem Abstecher ins Welschland und in die Versicherungsbranche kehrte er 1999 «heim» und übernahm eine Stelle als Marketingassistent. Ihn reizte eher das Metier als die Materie: «Schoggi war nicht mein Ding, auch als Kind machte ich mir nichts aus Süssem. Die einzige, die mir schmeckte, war die schwarze Kochschoggi.» Überhaupt sei er ein heikler Esser gewesen. Mit zwölf habe er erstmals Fleisch probiert, Fisch bis zum Erwachsenenalter nie. «Meine Mutter kochte wirklich gut und mit Fantasie, ich aber entwickelte mich eher zum Fast Fooder, anspruchslos, pragmatisch», erzählt Keller. Er, der heute die Telefonnummern vieler Spitzenköchen im Handy gespeichert hat und ein gern gesehener Gast in den Gourmet-Restaurants und Nobelhotels des Landes ist.
«Als Kind schmeckte mir nur die schwarze Kochschoggi.»
Zum Sinneswandel kam es bei Keller im Jahr 2000 mit den Grand-Cru-Couverturen. Zusammen mit dem Sensoriker Patrick Zbinden erfand Felchlin Spitzenschoggi – hinsichtlich Qualität und Preis. Um diese noblen Nischenprodukte seinen Kunden glaubhaft schmackhaft machen zu können, arbeitete sich Keller in die Sensorik und die dazugehörige Sprache ein, trainierte Nase und Gaumen, fand Gefallen am Genuss. «Ich entdeckte ein völlig neues Universum, eine Welt voller Düfte, Geschmäcker, Texturen, die ich mit Lust und Ausdauer erkundete», schwärmt Keller.
Wie Felchlin ins Topsegment aufstieg
Nach einer ersten Zusammenarbeit mit einem Spitzenkoch hatte Keller den Ehrgeiz, die Grand-Cru-Schoggi an die führenden Gastronomen des Landes zu liefern. Er bat um Termine bei den Star-Chefs und ass vorab in deren Restaurants. «Das war für mich eine Offenbarung! Gut zu essen, ist heute mein Hobby, eines, das mir lieb und teuer ist. Am liebsten und teuersten gemeinsam mit der Familie», meint Keller schmunzelnd.
Heute spielen die edlen Schoggis aus Schwyz in den Desserts vieler Topbetriebe eine Rolle. «Die Fine-Dining-Betriebe sind Leuchtfeuer, die unserer Schoggi zusätzlichen Glanz verleihen», ist Keller überzeugt. Und für den Gourmet persönlich stellt der Kontakt mit den Star-Chefs und ihren Kreationen die «Schoggiseite vom Schoggi-Job» dar.![]()
Alles fing vor über 100 Jahren mit Honig an
1908 beginnt Max Felchlin in Ibach SZ mit dem Handel von Honig. Als begabter Tüftler entwickelt er 1935 eine neuartige Praliné- und Nougatmasse, die «Pralinosa» – noch heute ein Verkaufsschlager. Er bringt die Manufaktur zur Blüte und lenkt sie durch zwei Weltkriege. 1973 exportiert die Firma – inzwischen ist Sohn Max Felchlin Junior am Ruder – erstmals nach Japan, wenig später in die USA. Ab 1999 setzt Felchlin auf edelste Kakaosorten und entwickelt die Grand-Cru-Couverturen. 2004 erhält die «Maracaibo Clasificado 65%» die Goldmedaille für die weltbeste Schokolade. 2025 gewinnt Felchlin den Swiss Ethics Award für das Nachhaltigkeitsprojekt «Gesundheitsversorgung im Cacao-Ursprung».
Die Firma beschäftigt heute rund 190 Mitarbeitende, exportiert ihre Produkte für Confiserien, Bäckereien, Hotels, Gastro- und Industrieunternehmen in weltweit über 40 Länder. Fun Fact: In der Dubai-Schokolade, die vor zwei Jahren dank eines TikTok-Videos von Dubai aus die Welt eroberte, steckte neben Pistaziencreme und Engelshaar auch Schoggi von Felchlin.