Der Tod muss keine Katastrophe sein, sagt Sabine Brönnimann. Die 65-Jährige begleitet Sterbende und Angehörige, gestaltet Abschiedsfeiern – und ermutigt zu einem positiveren Umgang mit dem eigenen Ende.
Text: Claudia Senn
Den Tod sollten wir uns nicht als etwas Schreckliches vorstellen, sagt Sabine Brönnimann, «sondern vielmehr als etwas Bergendes, Wohltuendes, als Rückkehr in eine Art Mütterlichkeit». Viele eben Verstorbene trügen ein Lächeln auf den Lippen – ein untrügliches Zeichen dafür, dass Sterben nicht das Worst-Case-Szenario sei, für das wir es halten. Wenn man ihr so zuhört, könnte man sich fast freuen auf sein eigenes Ableben. Sie selbst tut das auch. «Ich bin sehr neugierig auf meinen Tod», sagt sie erwartungsfroh. Der Kirche sei es zu verdanken, dass sich so viele Menschen vor ihrem Ende fürchten, «weil sie die Menschen mit der Angst vor der Hölle gefügig machen wollte.» Höchste Zeit, das zu ändern, findet Sabine Brönnimann.
«Ich bin sehr neugierig auf meinen Tod.»
Seit dem Jahr 2009 lebt die 65-Jährige davon, Sterbende und ihre Angehörigen zu begleiten und Abschiedsfeiern für sie zu gestalten, die unabhängig von kirchlichen Konventionen sind. Das Bedürfnis ist gross. Die Schäfchen wenden den Landeskirchen in Scharen den Rücken zu. Also wollen sie auch keine Vaterunser und Ave-Marias hören, wenn sie zu ihrer letzten Reise aufbrechen. Brönnimann – lesbisch, frauenbewegt, bodenständig und von so verschwenderischer mütterlicher Herzlichkeit, dass man sich am liebsten an ihren wogenden Busen drücken würde – ist das Kontrastprogramm zur paternalistischen Kirche. Eine Mutter Courage des Bestattungshandwerks. Sie selbst nennt sich Fährfrau, weil sie die Toten bei ihrer Überfahrt aus dem Diesseits ins Jenseits begleitet. Kürzlich ist ein Buch erschienen, in dem sie von ihren Erfahrungen berichtet (siehe Box). Es ist der Versuch, eine feministische und spirituelle Antwort zu finden auf die Frage, woher wir kommen und wohin wir am Ende gehen.
Brönnimann begann als totale Schulversagerin
Vorgezeichnet war dieser berufliche Werdegang keineswegs. Sabine Brönnimann begann als totale Schulversagerin. Und das als Kind einer renommierten Pädagogin und Lehrmittel-Autorin! Drei Jahre lang ging sie als Primarschülerin in die Klasse ihrer Mutter. «Ich habe diese Jahre mehr oder weniger vor der Tür verbracht», sagt sie bitter, «meine Mutter hat mich ihren Hass sehr deutlich spüren lassen.» Brönnimann fühlte sich «ausgesaugt und gleichzeitig verächtlich ausgespuckt», die Mutter vereinnahmte ihr Kind und wollte dann doch nichts von ihm wissen. Das Verhältnis der beiden war so unerträglich, dass die Fährfrau als Erwachsene verzweifelt den Tod der Mutter herbeisehnte, «damit jene Leerstelle, an der ich ihre seelische Präsenz so schmerzlich vermisste, endlich richtig leer sein durfte und das gegenseitige Aneinander-Leiden ein Ende hatte». Tatsächlich erlebte sie ihren Tod schliesslich als Befreiung.
«Die Kirche wollte die Menschen mit der Angst vor der Hölle gefügig machen.»
Die Ablehnung durch ihre Mutter war die grosse Wunde in Sabine Brönnimanns Leben. Doch sie trieb sie auch dazu an, früh unabhängig zu werden und eigene Wege einzuschlagen. Brönnimann wurde Sozialpädagogin. Sie arbeitete mit Behinderten, älteren Menschen, Schwerstbeeinträchtigten – so leidenschaftlich und begeistert, dass sie schliesslich ausbrannte. Also verliess sie ihren Beruf, züchtete Milchschafe, pflegte anderer Leute Gärten, wurde schliesslich durch glückliche Umstände «ohne jede Qualifikation» Leiterin des Museums Mühlerama in der Zürcher Mühle Tiefenbrunnen, lernte müllern, lernte, Ausstellungen zu kuratieren, «mit irrsinnigem Spass» – bis ihr irgendwann der Sinn abhanden kam und sie ins Blaue hinaus kündigte. Niemand verstand das, nicht einmal ihre Lebensgefährtin.
Doch Sabine Brönnimann spürte, dass sie sich nun, wo sie in der zweiten Hälfte ihres Lebens angelangt war, mit dem Tod beschäftigen wollte. «Ich merkte, da fehlt etwas», sagt sie. «Es gibt zwar Hebammen, die den Menschen am Anfang ihres Lebens helfen, zur Welt zu kommen. Aber niemanden, der ihnen hilft, sie am Ende wieder zu verlassen.» Ein Bestatter, bei dem sie ein Praktikum machen wollte, sagte, dieser Beruf sei nichts für Frauen, da man dafür «Hornhaut auf der Seele» brauche. Diese verhärtete Sicht bestärkte sie nur umso mehr darin, sich mit Empathie, Feingefühl und weiblicher Intuition auf ihr neues Metier einzulassen.
Es gebe eine riesige Berührungsangst vor toten Menschen, sagt Sabine Brönnimann. Sie möchte dazu ermutigen, sich ihnen zuzuwenden, sie noch eine Weile aufzubahren und bei ihnen zu sein, bevor sie vom Bestatter abgeholt werden. Es gehe darum, zu begreifen, dass sie wirklich tot sind. «Dabei sollte man sich Zeit lassen, sonst kann man viel verpassen.» Ihr Lächeln zum Beispiel.
Andere Sicht auf den Tod
Sabine Brönnimanns Buch «Stirb und werde! – Impressionen einer Bestatterin über die Erneuerungskraft des Todes» ist im September 24 in der Edition FährFrauen erschienen und kostet 42 Franken. Sabine Brönnimann schildert darin ihre Erfahrungen aus zwanzig Jahren als Bestatterin und verwebt sie mit ihrem eigenen biografischen Werdegang und ihrer spirituellen Sicht auf den Umgang mit Sterben und Tod.
Bestellungen über den Verein FährFrauen, Postgasse 14, 8427 Rorbas, edition@faehrfrauen.ch
Die Fährfrauen
Die von Sabine Brönnimann mitbegründeten FährFrauen begleiten am Lebensende, beraten beim Verfassen von Patientenverfügungen, betten die Toten zur Ruhe, gestalten gemeinsam mit den «Dableibenden», wie Brönnimann die Hinterbliebenen lieber nennt, den Abschied und unterstützen sie in ihrer Trauer. Ihre Dienste sind unabhängig von der Kirche und richten sich ganz nach den Wünschen der Betroffenen. Momentan sind die FährFrauen zu dritt.
Kontakt über faehrfrauen.ch oder Tel. 044 865 47 44 (24-Stunden-Hotline).
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