Alois Grichting liegt die Sprache am Herzen. Die Pandemie hat den fast 90-jährigen Briger angeregt, Band 2 seines Walliser Wörterbuches zu vollenden – nach 24 Jahren! Dabei kam er an seine Grenzen.
Text: Fabian Rottmeier
Es gibt Wörter, die nicht einmal Google kennt. Tannupägger zum Beispiel. Alois Grichting mag dieses alte Walliser Wort für Spechte. Der Begriff ist einer von Tausenden aus dem Wortschatz, den der pensionierte Gymnasiallehrer in den beiden Bänden «Wallissertitschi Weerter» auf 700 Seiten vereint hat. Weitere Tier-Schönheiten gefällig?
Alois Grichting sammelt seit bald 40 Jahren alte Walliser Ausdrücke. Er sei aber kein Linguist, hält er beim Treffen fest. Bereits in den 80ern erstellte der Elektroingenieur am Briger Kollegium, wo er unter anderem auch Bundesrätin Viola Amherd unterrichtete, am ersten Computer der Schule digitale Wortlisten. Weil er für den «Walliser Boten» neben Artikeln auch eine regelmässige Dialektseite schrieb und im «Radio Rottu» an einer Mundartsendung mitwirkte, erhielt er immer wieder neue, handgeschriebene Wortsammlungen von Privatleuten zugesandt. 1998 beendete er, im Austausch mit Gewährsleuten, einen ersten Walliser Wörterband. Das Werk verkaufte sich so gut, dass Alois Grichting sogleich mit einer Fortsetzung begann. Die Idee: In Band 2 sollten die Begriffe nicht alphabetisch, sondern nach Themen aufgeteilt werden. Unter anderem in «Mensch», «Gesellschaft, Staat», «Natur, Landschaft» oder «Kultur, Sprache, Wissen».
Erschienen ist Band 2 erst Ende 2022. Oder mit der typischen Walliser Nüchternheit gesagt: «Är isch e Schuzz derhinner gsi.» Es war die Coronapandemie, die ihn angguraschiert hat. Er fürchtete, seine Arbeit wäre umsonst gewesen, würde ihn das Virus dahinraffen. Und so setzte er zum Endspurt an – und schloss das zweite Buch im vergangenen Sommer ab – zusammen mit Grafiker Renato Jordan, mit dem er seit Band 1 befreundet ist.
diegsle: erledigen, vollenden; erhunde: arbeiten unter Zeitdruck; robe: zügeln, sterben (Beispiel: Es robt nu.)
Der bald 90-Jährige kam dabei an seine Grenzen, wie er gesteht. Vor allem wegen des Korrekturlesens. Man müsse jedes Komma, jeden Strichpunkt kontrollieren und immer überprüfen, ob die Schreibweise einheitlich sei, sagt er. Da halfen auch über 30 Jahre als Lehrer in Mathematik, Physik und Informatik nur bedingt. Der Briger tat es trotzdem – aus Liebe zur Sprache. Als Kind hatte Alois Grichting in Agarn alles gelesen, was er in die Finger bekam. Später faszinierten ihn Latein, Griechisch, Goethe oder Rilke. Geprägt hat ihn auch die Sprache aus dem landwirtschaftlichen Alltag, hielt die 13-köpfige Familie Grichting doch eigenes Vieh. Im Sommer musste er in schulfreien Monaten bei Verwandten und Bekannten aushelfen: in den Reben von Salgesch ebenso wie auf den Kuhweiden von Turtmann. Dort, wo die Sprachmelodie im Wallis einzigartig sei, wie er sagt. Er klingt wie ein Märchenonkel, als er Beispiele vorträgt. Die Mobilität lasse heute regionale Unterschiede vermehrt verschwinden. Wörter zu erhalten, die vergessen gehen, sei sein Antrieb. «Die Leute haben erkannt, dass diese einen kulturellen Wert haben.»
Alois Grichting hat rund 30 Bücher geschrieben, die meisten mit lokalem Bezug. Er hat mehrere Vereine über Jahre präsidiert (u. a. den Vortragsverein Brig) und 2006 den Oberwalliser Kulturpreis erhalten. Auf seiner Website finden sich fast 10’000 Artikel, die er verfasst hat. So umtriebig er heute noch ist, so bescheiden gibt er sich. Und: Er ist ausgesprochen höflich. Der zweifache Vater witzelt, dass er auch im hohen Alter fast keine Zeit habe. Er spricht aber auch von einer gewissen Einsamkeit, die seit dem Tod seiner Frau 2014 zu seinem Leben gehört. Klassische Musik zu hören, ist seither noch wichtiger geworden. Und die Neugierde. Er bezeichnet sich selbst als ewigen Studenten. Gut, dass seine Wortschatzarbeit noch nicht abgeschlossen ist. Die Sammlung wurde inzwischen in die App des «Walliser Boten» eingebettet. Nicht nur er, sondern auch Leserinnen und Leser können so den Bestand laufend ausbauen. Es freut ihn, dass seine Arbeit im digitalen Zeitalter angekommen ist. Und damit so treffende Wörter wie:
Zinggizänggi: Umstände; Schggüüser: Durchfall; Cherzeschmelzer: Mann (langsam), Priester (liest die Messe langsam)
Alois Grichting: «Wallissertitschi Weerter – Band 1 und 2», Herausgeber: «Walliser Bote» und Radio Rottu Oberwallis, 2. Auflage in Planung. ISBN-Nr. Band 2: 978-3-033-09612-7, aloisgrichting.ch
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