Er begann als Stuntskifahrer in einem James-Bond-Film. Und wurde später für 007 (und weitere Grossproduktionen) zum gefragten Schnee-Experten. Stefan Zürcher blickt auf 50 Jahre im Filmgeschäft zurück – und viele filmreife Anekdoten.
Text: Fabian Rottmeier, Foto: Pia Neuenschwander
Wer kann schon in seinem Lebenslauf festhalten: von James Bond erschossen worden – mit einem Schuss aus einem Skistock?! Stefan Zürcher kanns. Der damals 32-Jährige war 1977 im 007-Film «Der Spion, der mich liebte» als Stuntskifahrer und Produktionsleiter der Bergszenen engagiert worden. Die Dreharbeiten für seine «tödliche» Verfolgungsjagd auf Skiern fanden im Diavolezza-Gebiet bei Pontresina statt. Der Berner Oberländer spielte einen von vier russischen Spionen, die dem britischen Geheimagenten durch Eistunnels hinterherjagten. Sein Ableben wurde per elektronischer Sprengladung auf seiner Brust zum Spektakel. «Die Funken flogen mir mitten ins Gesicht», erzählt Stefan Zürcher. Eine Brille schützte seine Augen, Vaseline seine Haut.
Dass er der Zeitlupe bei einem Bergminzetee davon erzählt, hat aber mit einer anderen gefährlichen Situation zu tun: Der 78-Jährige erlitt vor drei Jahren einen Hirnschlag. Sein rechtes Bein war gelähmt. «Eine Welt brach zusammen», sagt er und blickt dabei ins Leere. Wie so oft, wenn er spricht. Er ist überzeugt: Ohne die Hilfe und den Ansporn seiner Partnerin sässe er heute im Rollstuhl. Zu allem Übel entdeckten die Ärzte beim MRI auch noch einen «mandarinengrossen» Hirntumor. Nach geglückter Operation bestellte sich Stefan Zürcher die DVDs aller 45 Filmproduktionen ins Haus, an denen er beteiligt war – darunter neun James-Bond-Streifen. Er wollte damit die Erinnerungen aus seiner Zeit als Stuntman, Schneespezialist, Produktionsassistent oder -koordinator wieder aktivieren. Er war erleichtert, wie gut dies gelang.
Auch mit Spielberg arbeitete er zusammen
Die vielen Anekdoten aus seinem Leben als «selbstschaffender Gaukler» hat er im Buch «Im Geheimdienst von James Bond – Meine Erlebnisse mit Stars und Stunts aus über 50 Jahren Filmgeschäft» zusammentragen lassen. Er blickt darin auf eine Karriere zurück, die gespickt ist mit bekannten Titeln: Neben 007 gehören beispielsweise das oscarprämierte Musical «Cabaret» mit Liza Minelli, «Der Richter und sein Henker» von Regisseur Maximilian Schell oder der Hollywood-Kassenschlager «The Three Musketeers» aus dem Jahr 1993 dazu. Ebenso Steven Spielbergs Minikriegsserie «Band of Brothers», die der amerikanische Filmmeister teilweise in der Region Interlaken drehte.
Angefangen hatte alles 1968: Zürcher war in die USA ausgewandert und verdiente sein Geld als Skilehrer in Neuengland, als sein Vater aufgeregt anrief. Man suche in Mürren verrückte Skifahrer für einen Filmdreh, «irgendöppis mit James Bond». Stefan Zürcher flog sofort in die Schweiz. Im 15-köpfigen Skiteam zu «Im Geheimdienst Ihrer Majestät» lernte er auch Willy Bogner kennen, der ihn dazu inspirierte, 1980 die erste Kamerafahrt am Lauberhorn zu filmen.
«Ich kam früh oft in Situationen, in denen ich entscheiden musste. Die Natur gab mir die Antworten.»
Welchen Stellenwert der gelernte Elektromechaniker und Maschinenschlosser später in der Bond-Familie geniessen sollte, verdeutlicht das Vorwort in seinem Buch. Bond-Produzentin Barbara Broccoli, die Tochter des legendären 007-Machers Albert Broccoli, lobt ihn darin als «The Snowman» und schreibt, es gebe in der Filmbranche niemanden, der mehr über Schnee wisse als ihr lieber Freund Stefan.
Die Berge und der Schnee sind Stefan Zürchers Welt. Er und seine Schwester wuchsen in Wengen quasi auf Skiern auf. Die Natur war aber bereits in seiner Kindheit ein wichtiger Zufluchtsort. Seine Mutter verstarb, als er fünfjährig war. Wenn seine ungeliebten Verwandten aufkreuzten, «verschwand ich nach draussen».
Die innere Stimme als Kompass
Das Aufwachsen und Erleben der Bergwelt sei zentral gewesen für seine Entwicklung, sagt Zürcher. «Ich kam früh oft in Situationen, in denen ich entscheiden musste. Die Natur gab mir die Antworten.» Er konnte sich so später, als er in hochalpinen Drehorten für grosse Teams verantwortlich war, immer auf seine innere Stimme verlassen. Und auch den Mut aufbringen, Dreharbeiten aus Sicherheitsgründen zu verschieben. Aber klar, er sei schon früh ein Draufgänger gewesen und als Teenager auf Skiern über Gletscherspalten gesprungen.
Unter den Stuntmen fand sich Stefan Zürcher wieder. Sie vereinte eine raue Schale, ein weicher Kern – und ein Hang fürs Verrückte. Wenn das Wetter ihre Arbeit unterbrach, liessen sie sich allerlei Unfug einfallen und wetteiferten etwa darum, wer die Skischuhe am längsten tragen kann. Der Sieger hielt es drei Tage und drei Nächte aus.
In seinen Dreissigern verabschiedete sich Zürcher immer mehr von den Stunts. Er suchte als Produktionsassistent und -leiter nach passenden Drehorten, fädelte vor Ort alle Details zur Produktion ein und kümmerte sich auch um die Stars wie Robert Redford, Omar Sharif oder Sophia Loren («ein warmherziger Mensch»). Zwischen den Drehs war er als selbstständiger Werber tätig – und erholte sich an Kraftorten wie dem Eigergletscher. Es sind Orte, die ihn bis heute in seinem Urvertrauen bestärken, dass es eine höhere Macht gibt. Er hat sich immer geweigert, diese zu definieren.
«Filme zu machen, bedeutet stets, neue Menschen kennenzulernen und diese dann wieder zu verlassen.»
Der Tod seiner Mutter hatte ihn als jungen Mann zu einem Menschen geformt, der Mühe hatte, sich zu binden. Die Filmwelt bot ihm das willkommene Umfeld: «Filme zu machen, bedeutet stets, neue Menschen kennenzulernen und diese dann wieder zu verlassen», hält er in seinem Buch fest. Mit einer Ausnahme: Beim Bond-Film «A View to a Kill» verliebte er sich. Vier Jahre später wurde er Vater. Die Beziehung hielt nicht, zu seinem Sohn pflegt er jedoch bis heute ein enges Verhältnis.
Stefan Zürchers Buch ist voller filmreifer Anekdoten: Er spielte Golf mit Sean Connery (der sich im Anschluss ungefragt einen Whisky spendieren liess), freundete sich mit Pierce Brosnan an, warf Rainer Werner Fassbinder entnervt das Drehbuch vor die Füsse, fand im Morteratschgletscher bei der Suche nach einem Drehort eine 30 Jahre alte Leiche. Stürzte als Passagier beinahe mit einem Schweizer Helikopter ab und verbrachte als James-Bond-Double unfreiwillig eine ganze Nacht in einem selbstgebauten Not-Iglu – auf 3500 Metern. 1987 verzweifelte er an den Vorgaben der «Ishtar»-Regisseurin, in der marokkanischen Wüste doch bitte die Dünen mit zehn Bulldozern einzuebnen. Die Sisyphusarbeit für den gefloppten Film mit Dustin Hoffman dauerte zwei Monate. Herrlich auch, wie er für «Brass Target» beim zuständigen Bischof der St.-Ursen-Kathedrale in Solothurn die schriftliche Bestätigung erhielt: «Wir erlauben der Filmgesellschaft, eine Schiesserei in der Kathedrale zu veranstalten.»
Pistenfahrzeug im See versenkt
Bei «Der Hauch des Todes» wurde der Filmtitel traumatischerweise zum Programm. Stefan Zürcher brach bei Räumungsarbeiten auf dem zugefrorenen Weissensee mit einem Pistenfahrzeug ein. Der zuständige Eismeister sprang ins Wasser und rettete ihm das Leben. In der Folge plagten Stefan Zürcher Albträume und Platzangstattacken. Nachdem er aus früheren Dreharbeiten bereits einen Schneetöff auf dem Gewissen hatte, meinte Bond-Produzentin Barbara Broccoli lapidar: «Die Ausrüstung, die du ruinierst, wird immer grösser und grösser.»
Auch die Actionsequenzen wurden immer gigantischer. Zürcher hatte dabei teilweise ein halbes Jahr Zeit, um eine Lösung für die wahnwitzigsten Ideen zu finden: Ein Motorradfahrer, der über eine Felskante springt und im freien Fall ein Flugzeug im Sturzflug einholt («Golden Eye»)? Unfallfrei umgesetzt. Eine Verfolgungsjagd mit einem Flugzeug, das durch eine Waldschneise und Alphütten fliegt («Spectre»)? Machbar.
Wer ihm zuhört, wie er sich nach dem Schlaganfall zurück ins Leben kämpfte, kann nur erahnen, wie hart der Weg und wie gross sein Wille war. Er habe ausgeblendet, was er nicht mehr könne, und sich daran orientiert, was er noch schaffe. Heute zeugt nur sein Hinken vom Schicksalsschlag. Stefan Zürcher golft wieder – seine Leidenschaft. «Wenn ich den Leserinnen und Lesern Mut machen kann, ist mein Ziel erfüllt.» War der Umgang mit dem Hirnschlag am Ende Zürchers grösster Stunt?
Roland Schäfli: «Im Geheimdienst von James Bond – Stefan Zürcher», Weber Verlag, Thun, weberverlag.ch, ca. CHF 59.– (auch in Englisch erhältlich)
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