Hanspeter Maier ist seit über 40 Jahren leidenschaftlicher Schausteller. Sein 85 Meter hoher Freifallturm steht an jeder grösseren Chilbi – und fällt auf. Der nimmermüde 68-Jährige ebenso.
Text: Fabian Rottmeier
Hanspeter Maiers grösste Chilbi-Attraktion ist 85 Meter hoch. Der Schausteller hat dafür gesorgt, dass er am Fuss seines Freifallturmes «Lion Tower» trotzdem nicht unbemerkt bleibt. Seine Name prangt in grossen Buchstaben auf den Absperrbanden, ebenso wie einige inszenierte Fotocollagen. Eine zeigt ihn auf einem Thron, lächelnd mit einem Löwenbaby auf dem Schoss, flankiert von zwei ausgewachsenen Löwen. «H.P.» posiert mit Krone und Stumpen im Mundwinkel. Der 68-Jährige kokettiert gerne mit seinem Image als erfolgreicher Schausteller. Sein bisher vierter Turm trägt auch deshalb eine dekorative Kerze, damit er den letzten um fünf Meter überragt.
Der Frauenfelder mag es schrill. Beim Treffen im Vorfeld des Zürcher Knabenschiessen, der grössten Chilbi des Landes, hat seine leuchtend gelbe Brille dieselbe Farbe wie sein Hemd. Auffallen ist hier schliesslich Pflicht. Seine früheren Bahnen hiessen etwa «Monster Schaukel» oder «Chaos Pendel». Mittlerweile besitzt er auch ein Riesenrad, nachdem er sich dafür lange zu jung gefühlt hatte. Aber er weiss: Ein Riesenrad zieht überall.
Es erstaunt nicht, dass er beim Gespräch mit der weitum lautesten Stimme auffällt und nie um einen kecken Spruch verlegen ist (von denen er nicht alle zitiert haben möchte). «Ich werde wohl noch im Rollstuhl eine grosse Klappe haben!» Die Idee, eines Tages aufzuhören, hat er (zur Sorge seiner beiden erwachsenen Töchter) mittlerweile wieder verworfen. «Mein Herz ist auf der Chilbi», sagt der in zweiter Ehe mit einer Thailänderin Verheiratete. Er mache weiter, bis er umfalle.
Hanspeter Maier hat die Unterhaltung im Blut. Sein Urgrossvater und sein Grossvater zogen mit einem Chasperlitheater-Wägeli von Schulhof zu Schulhof. Sein Vater betrieb auf Rummelplätzen sowohl Schiffschaukeln als auch ein Karussell, aber bloss «auf den Miststöcken», wie die kleineren Festplätze im Jargon heissen. Auch Hanspeter Maier begann klein – indem er Zuckerwatte verkaufte. Dann, mit 29 Jahren, schaffte er es mit seiner ersten Achterbahn «Dragon» erstmals auf die grossen Plätze. Sein Ehrgeiz war geweckt.
Die teuerste Attraktion kostete vier Millionen
Stolz erwähnt er, dass niemand so viele neue grosse Bahnen in die Schweiz einführen konnte wie er. Dafür brauche es auch Mut, denn die Investitionen seien beträchtlich. Der «Lion Tower» kostete vier Millionen Franken, was eine Million an Eigenkapital bedinge. Über solche Zahlen berichtet er bereitwillig, über die Einnahmen nicht. Die Neuheiten waren immer auch eine kluge Taktik, denn sie garantierten ihm einen der umkämpften Stellplätze.
Rastlos, wie er ist, verkauft er seine Neuheiten nach wenigen Jahren wieder – im Idealfall mit Gewinn. Er tut dies auch ein wenig für sein Ego, wie er zugibt. Immer höher, so seine Devise. Schon in der Schule wollte er stets der Beste sein. Eine «traurige Kindheit» in Internaten und Kinderheimen, oft selbst an Wochenenden, während die Eltern an der Chilbi schufteten, mag seinen Antrieb erklären.
Die 24 Fahrgäste rasen auf Maiers «Lion Tower» mit 120 Stundenkilometern in die Tiefe. Der freie Fall dauert zweieinhalb Sekunden. Junge Frauen seien dabei seine zahlreichsten Gäste, so sein Eindruck. Bis heute lässt sich der Chef die erste Fahrt nach der Installation nicht entgehen. Zwei Tage lang haben seine acht Saisonniers aus der Schweiz, Polen und Rumänien die Bahn geputzt. Er sei pingelig, sagt «H.P.» über sich selbst. Wenn das Fest läuft, hat sein Unternehmen bis zu 22 Beschäftigte.
Er braucht den Stress
Hanspeter Maiers Whatsapp-Status lautet: Voll im Stress. «Es muss immer etwas gehen, sonst ist mir nicht wohl.» Die Corona-Zeit mochte ihn nur kurzzeitig entschleunigen. Er genoss die ruhigen Tage und die freien Abende. Tagsüber konnte er dank eines Schutzkonzeptes die meiste Zeit über in Städten ein Riesenrad betreiben. Die Unterstützung der Behörden sei grossartig gewesen. Er ist verblüfft, wie rasch sich das Geschäft erholt hat. «Als könnten die Leute zu Hause Geld drucken.» Sich selbst hat er damit überrascht, dass er im Alter noch ruheloser geworden ist. Und noch direkter. «Wenn sich einer wie ein Idiot aufführt, dann mache ich ihm das klar.»
Während «H.P.» bei einem Testlauf darauf achtet, dass die benachbarte Pendelbahn seinem Riesenrad nicht zu nahe kommt, grüsst ihn beim Vorbeigehen ein Schaustellerkollege mit: «Hey, alter Gauner!» Hanspeter Maier antwortet: «Nicht so laut!»
«H.P.» Maiers nächste Stationen: die Olma, die Basler Herbstmesse – und ab Mitte November sein Glühweinstand in Frauenfeld.
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