© Ethan Oelman

«Ich muss nicht immer lustig sein»

Mike Müller liebt es zu sticheln. Ob auf der Bühne, am Fernsehen, im Kino oder online – der Kabarettist teilt aus. Mit der Zeitlupe spricht er über die Grenzen des Humors, die Welt, in der wir leben, und warum ihn der Tod mehr interessiert als das Sterben.

Interview: Marc Bodmer, Fotos: Ethan Oelman

Das Gespräch mit Mike Müller findet auf der Josefwiese statt. Eine grüne Oase in Zürich, gesäumt von stillgelegten Bahngeleisen und Quartierbauten. Nach Tagen des Dauerregens sind für ein paar Stunden die himmlischen Schleusen dicht. Sogar die Sonne zeigt sich. Der aus beliebten Sendungen wie der Late-Night-Show «Giacobbo/Müller» und der Erfolgsserie «Der Bestatter» bekannte Schauspieler kommt mit dem Velo zum Interview. Der Redaktor kommt mit seinem Hund, weil Mike Müller und Pankraz, so heisst der Vierbeiner, sich schon einmal auf einem Spaziergang begegnet sind. «Jesses», entfährt es dem Hünen, als er den Foxterrier sieht. Er bückt sich zum Hund hinunter und spielt mit ihm.

Warum treffen wir uns auf der Josefwiese?
Die Josefwiese ist ein super Ort in diesem Quartier, in dem ich wohne. Hier hat es eine gute Mischung von sehr verschiedenen Menschen. Die Stadt Zürich ist nicht gesegnet mit grossen Parkanlagen. In den Augen der Protestanten dienten Pärke nur dem unproduktiven Zeitvertreib.

Man kennt Sie hier. Als Sie eintrafen, wurden Sie gleich von einem Herrn, der Pétanque spielt, angesprochen. Ist es schwierig für Sie, sich abzugrenzen?
Das ist kein Problem. Es geschieht auch eher selten, dass ich spontan angesprochen werde. Ich habe ihn vor längerer Zeit kennengelernt. Wenn wir uns sehen, dann wechseln wir ein paar Worte.

Verlassen wir die lokale Ebene. Wie gefällt Ihnen die Welt, in der wir leben?
Ich finde sie aktuell sehr, sehr schwierig. In meinem persönlichen Leben bin ich Optimist. Ich freue mich über neue Dinge, die auf mich zukommen und wenn es Menschen gut geht, die mir nahestehen. Trotzdem glaube ich nicht, dass sich die Welt zum Besseren entwickelt. Auf einer technologischen Ebene haben wir Fortschritte gemacht. Die Menschen werden älter, weniger Kinder sterben.

Mike Müller sitzt auf einer Bank an der Josefswiese in Zürich. Im Hintergrund laufen zwei Mädchen vorbei.
© Ethan Oelman

Auf besagter technologischer Ebene tut sich einiges in Sachen künstlicher Intelligenz (KI) und grossen Sprachmodellen wie Chat GPT. Verfolgen Sie dieses nicht einfache Thema?
Sehr. Wir setzen diese Technologie auch bei unserer Arbeit ein. Wir sehen dabei, wie man eine Geschichte nicht erzählen sollte. Chat GPT glättet alles, macht alles vorhersehbar, langweilig und unbrauchbar. Punkt. Aber es gibt ein paar politische Probleme und solche auf sozialen Medien. So sollte man zum Beispiel mit künstlicher Intelligenz geschriebene Texte als solche kennzeichnen. Diese Identifikation des Urhebers ist nicht neu, sondern seit der Aufklärung ein Thema.

Geschichte scheint sich laufend zu wiederholen.
Das Problem mit KI ist wiederum die Gier, die sich im alchemistischen Wunsch widerspiegelt, aus Müll Gold zu machen. Unser Bankenplatz beherrscht dies auch.

Sie sind aktuell mehr auf der Bühne als im TV unterwegs, aber auch auf Youtube, Twitter, Instagram, im Kino …
… verrückt, nicht wahr? (lacht)

Bisweilen schon. Auf welcher Plattform fühlen Sie sich am wohlsten?
Das hängt von der Idee ab, die ich habe oder zusammen mit anderen entwickle. Die meisten guten Dinge passieren, wenn die richtigen Leute im richtigen Moment aufeinandertreffen. Etwas salopp gesagt: Es ist egal, auf welcher Schiene was läuft.

Wie meinen Sie das?
Beim Theater ist weniger Geld im System als beim Film. Das lässt schnellere Entscheidungen zu. Man kann schneller schreiben und eine Idee wieder verwerfen als bei einer Filmproduktion. Dort geht es um deutlich mehr Geld. Es sitzen auch mehr Leute am Tisch und reden mit. Das ist nicht immer schlecht. Manchmal reicht eine Idee für einen Tweet von 160 Zeichen. Manchmal für einen Sketch von zwei Minuten oder ein ungeschnittenes Youtube-Filmchen. Es kann aber auch die geniale Idee geben, aus der sich eine Serie, ein Film, ein Stück machen lässt.

Und dann …
Dann beginnt man, diesen Stoff zu kneten. Man bespricht ihn mit anderen Leuten. Ich diskutiere alle meine Inhalte mit anderen und hole mir ihre Sicht der Dinge. Dann kann es in die eine oder andere Richtung gehen. Ich habe schon ganze Konzepte für Theaterstücke geschrieben, die dann von meinem Regisseur Rafael Sanchez oder meinem Bruder Tobi binnen weniger Minuten zerpflückt und als Schwachsinn deklariert wurden.

Nehmen Sie das locker?
Dann erklären wir uns gegenseitig zu Volldeppen, machen ein paar Sprüche und überlegen uns etwas Neues. Es ist gut, wenn man sich etwas sagen lässt von Leuten, die etwas von der Sache verstehen. Manchmal fahre ich aber auch in der ursprünglichen Richtung weiter.

Ideen mit jemanden spiegeln zu können, ist für Sie also zentral.
Sicher. Ausser bei Youtube-Filmchen. Da lese ich vielleicht meiner Freundin die Idee vor. Wenn sie dann irgendwo «ähm» sagt, dann ist die Sache aber gestorben. Mehr braucht es nicht.

Auf Twitter teilen Sie gerne aus. Was ist Twitter für Sie?
Zwei Dinge: In den meisten Tweets trete ich niemandem ans Schienbein. Es ist sinnloser Gedankenaustausch mit anderen Leuten, die ich lustig finde. Twitter ist ein Ort für Unsinn. Dann gibt es gewisse politische Themen, bei denen ich gerne stichle.

«Stichle» ist nett gesagt. Sie haben schon ein paar Shitstorms ausgelöst.
Immer wegen dem Sticheln.

Dann kann man also auch mit einem Zweihänder sticheln?
Nein, das tut man mit einer feinen Klinge. Man muss sie einfach tief genug hineinstossen und mit dem Risiko leben, dass man jemanden beleidigt.

In einem Interview auf der katholischen Website kath.ch haben Sie die Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II. scharf kritisiert in Zusammenhang mit «systemisch bedingten Sexualstraftaten». Manche empörten sich, andere teilten Ihre Meinung.
Der polnische und der deutsche Papst haben systematisch Straftaten verschleiert. Dafür hat es bis heute keine Entschuldigung gegeben. Ich mache mich nicht über Gläubige, Betende oder deren Sakramente lustig.

Sie betonen, dass Sie solche Kommentare ernst meinen. Viele denken sich: Nun kommt Mike Müller, jetzt wird es lustig. Bitterböse Breitseiten überraschen viele.
Es macht eben einen Unterschied, wenn ich eine böse Breitseite in einer Late-Night-Show am TV abfeuere – begleitet von einem ironischen Lächeln. Das funktioniert nicht auf Twitter, weil dort der Zusammenhang fehlt. Es gibt immer wieder Leute, die mir sagen, dass ich nicht lustig sei. Denen antworte ich: «Das haben Sie aber ganz gut erkannt. Bravo.» Ich muss nicht immer lustig sein.

Gibt es Dinge, über die Sie sich nicht lustig machen? Hautfarbe, Religion und Krankheit …?
Es gibt kein Thema, über das man nicht Witze machen kann. Man muss es einfach lustig finden. Über Haut-farbe kann man beispielsweise Superwitze machen. Die Frage ist: Sind sie rassistisch? Wenn ich einen Witz für rassistisch halte, finde ich ihn logischerweise auch nicht lustig und lasse es sein. Religion? Was soll ich sagen? Ich bin konfessionslos und geschieden. Die Katholiken machen sich auch lustig über mich, warum soll ich sie davon ausnehmen? Was war das Dritte?

Krankheit.
Hmm, machen Sie mal einen Witz über einen todkranken Krebspatienten. Wenn Ihnen einer in den Sinn kommt – nur zu. Witze können auch etwas Befreiendes haben. Im privaten Kreis kann man schon sagen: Die verkohlte Bratwurst geben wir dem, der ohnehin schon Krebs hat. Da sterben alle vor Lachen. Aber in der Öffentlichkeit sieht es anders aus. Man geht nicht hin und sagt: Alle, die Krebs haben, habt ihr eigentlich schon mal etwas von Exit gehört? Wisst ihr, was ihr uns kostet? Wer findet das lustig ausser ein paar Zynikern? Wenn Sie das machen wollen, dann müssen Sie einfach damit rechnen, dass Sie die Leute für einen Tubel halten.

«Ich mache mehr Sport, als man mir ansieht.»

Es gibt also doch Grenzen.
Natürlich gibt es Witze, die man nicht machen kann. Aktuell ändert sich gerade viel. Junge Leute sagen mir auch, dass sie gewisse Witze nicht mehr lustig finden. Wir machen heute auch keine Witze mehr über die Deutschen am Skilift. Meine Figur Mergim Muzzafer, der Albaner, ist auch vorbei. In meinem aktuellen Stück «Erbsache» habe ich einen Bosnier als Polizisten, der sehr freundlich ist. Das ist jetzt halt neu. Meine Aufgabe ist es, zu schauen, was neu ist und wo neue Klischees entstehen.

In «Erbsache» schlüpfen Sie in elf verschiedene Rollen. Die Anstrengung ist auch stellenweise hörbar. Sie kommen ins Schnaufen. Wie halten Sie das durch?
Ich mache mehr Sport, als man mir ansieht. Letzte Woche war ich drei Mal segeln. Ich bin auch ein Velo-Fetischist und schaue, dass ich sieben bis acht Stunden Schlaf kriege. Unter der Woche verzichte ich praktisch auf Alkohol. Man schläft einfach besser. Ich würde mich mit allem zudröhnen, wenn es die Nebenwirkungen nicht gäbe, aber sie sind halt da. Ich arbeite über den Tag. Der Abend gehört dem Auftritt. Dann konzentriere ich mich auf das Programm. So wie ein Abfahrer vor dem Start ins Rennen nochmals die Strecke, die vor ihm liegt, visualisiert. Ich stehe 80 Minuten auf der Bühne und muss liefern. Ich bin nicht der grosse Star in einem berühmten Theater, der eine nationale Aufgabe der Kultur wahrnimmt. Ich bin ein Komiker, der in Liestal oder Burgdorf spielt. Ich bin jetzt 60 und habe auch gemerkt, dass ich nicht 150 Vorstellungen im Jahr spielen sollte.

Aktuell hoch im Kurs ist Cancel Culture, wo Personen, die uner- wünschte Positionen vertreten, mund- tot gemacht werden. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Cancel Culture ist ein Zeichen von Fundamentalismus. Bis jetzt war es ein Instrument von den Dummen rechts, jetzt haben es ein paar Dumme links auch noch entdeckt.

Wurden Sie auch schon gecancelt?
Meine Veranstalter werden immer wieder schikaniert und bedroht auf Facebook. Manche haben mich gebeten, die Polizei zu verständigen. Es ist eine Drohkulisse, die man von Amerika übernimmt. Bei uns sind es Impfgegner und der rechte Flügel der SVP. Das ist alles sehr organisiert. Aber es sind nicht sehr viele, und sie haben keine sehr grosse Kraft.

Es braucht aber auch nicht viele, um eine gewisse Wirkung zu erzielen.
Gewaltandrohungen bekomme ich online laufend, aber die lösche ich. Wenn einer permanent zu weit geht, dann lasse ich einen Brief von einem Anwalt schreiben. Dann ist in der Regel Schluss. Die Cancel Culture, welche die Rechte laufend beklagt, ist zu ihrem Hauptprinzip geworden.

Wir sprachen zuvor von den verschiedenen Figuren, die Sie verkörpert haben. Wie viel Mike Müller steckt in diesen?
100 Prozent und null. Alles, was ich schreibe, kommt aus meiner Hand und meinem kranken Hirn. Es ist wie bei einem Kind, das etwas spielt, sich in eine Figur denkt und dieser Fantasie nachgeht. Das hat mit meinem realen Leben null und nichts zu tun.

Es scheint schwierig zu sein, ein dichtes Drehbuch zu schreiben. Ich muss gestehen, dass ich kein Fan des «Bestatter»- Films bin. Ich war ziemlich ratlos am Ende.
Es ist keine weltbewegende Story. In 90 Minuten wird eine Geschichte mit den aus der TV-Serie bekannten Figuren erzählt, in der man sie neu belastet.

Was meinen Sie mit «belasten»?
Die Figuren aus TV-Serie wurden aus der gewohnten Umgebung im Aargau ins Bündnerland transferiert. Sie wohnen alle im gleichen Hotel … Man lässt sie anders spielen und sieht sie anders. Das war die Idee, und die hat der Film erfüllt. Das andere ist die Frage des ästhetischen Zugriffs und wie weit wir dort gehen können. Wir spielen mit dem Genre des Krimis, das gefällt nicht allen.

Ich möchte nicht länger beim «Bestatter»-Film verweilen, denn hierzu haben Sie in anderen Interviews alles gesagt.
Das ist so.

Wir bleiben aber beim Tod, der ein lebenslanger Begleiter von Ihnen ist. Ihr Grossvater verkaufte Grabsteine, und Sie haben in Jugendjahren als Totengräber gejobbt. Was bereitet Ihnen mehr Mühe: die Idee des Sterbens oder des Todes?
Das Sterben interessiert mich nicht wirklich. Das Sterben ist, wenn es schlecht läuft, ein fürchterlicher Prozess, und wenn es schnell geht, ist es zu schnell. Mich interessiert der Tod, und ich musste feststellen, dass dieser in meinen Stücken und Filmen eine grosse Rolle spielt. Er wird auch im nächsten Stück eine Rolle spielen.

Übers Sterben wird sehr viel geredet und geschrieben.
Dazu gehört auch der Standardsatz: «Ich habe nicht Angst vor dem Tod. Ich habe Angst vor dem Sterben.» Völlig zu Recht. Aber eigentlich können wir mit dem Tod nicht umgehen. Der Tod lässt sich technisch auch nicht hintergehen. Beim Sterben hat sich viel getan. Gerade in der Schweiz haben wir ein viel besseres Verständnis dafür als beispielsweise in Deutschland. Passive Sterbehilfe in Deutschland? Das können Sie vergessen. Ich mag es, dass man in der Schweiz pragmatisch ist.

Wir haben über das Sterben und den Tod gesprochen. Was ist der Sinn des Lebens?
(denkt lange nach) Langes Schweigen … Wenn ich das wüsste, würde ich nicht mehr arbeiten.


  • Mike Müller live erleben: «Erbsache – Heinzer gegen Heinzer gegen Heinzer», Daten und Orte auf mike-mueller.ch
  • Was fester Bestandteil von Mike Müllers Alltag ist und wovon er nicht genug gekommen kann, erfahren Sie im Video auf zeitlupe.ch/5-fragen.
© Ethan Oelman

Zur Person

Mike Müller, am 25. Oktober 1963 in Grenchen SO geboren, parodierte bereits in der Primarschule Lehrer, «ohne dass sie es gemerkt haben». Er studierte an der Universität Zürich Philosophie. 1983 gründete er mit Freunden die «Jugendtheatergruppe Olten». In den 90ern begann er in der freien Szene in Zürich Theater zu spielen und engagierte er sich beim Casinotheater Winterthur. Zusammen mit Viktor Giacobbo war er von 2008 bis 2016 Gastgeber der wöchentlichen Late Night Show «Giacobbo/Müller» auf SRF 1. In sieben Staffeln spielte er in der erfolgreichsten SRF-Krimiserie «Der Bestatter» die Hauptrolle Luc Conrad. Er lebt zusammen mit seiner Partnerin in Zürich.

Beitrag vom 12.06.2023