«Nur lustig geht nicht»
Ihre Stimme ist unverkennbar, ihr Humor legendär und das musikalische OEuvre so schillernd wie ein Kolibri. Seit über 45 Jahren steht Musikerin Dodo Hug (71) auf der Bühne und damit im Rampenlicht. Die Reise soll für die Bernerin nach Corona rasant weitergehen.
Text: Roland Grüter, Fotos: Sonja Ruckstuhl
Sie sind Sängerin, Musikerin, Comédienne und Autorin. Wie beschreiben Sie sich Menschen, die Ihre Arbeit nicht kennen?
Vielleicht so: Ich bin ein Unterhaltungs-Buddha, der immer wieder Neues wagt und sich quer durch verschiedene Genres von Chansons, Blues bis zu Global Folk mäandert. Darüber hinaus liebe ich das Spiel mit Worten und Sprachen. Ich singe in Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Englisch und Portugiesisch und bin gern auch Interpretin.
Welche Klammer hält diese Vielfalt zusammen?
Eindeutig die Musik. Ich bin nach all den Jahren noch immer komplett in sie verknallt. Schon mein Vater war Musiker – er hat mir diese Leidenschaft offensichtlich in die Wiege gelegt. Und ich liebe es, mit Worten zu jonglieren. Auch wenn meine Körperfülle vielleicht etwas anderes signalisiert: Agilität ist mir enorm wichtig, sei es körperlich und geistig.
Eine zweite Eigenheit ist Ihr Humor, mit dem Sie selbst schwerwiegenden Themen eine gewisse Leichtigkeit geben. Weshalb ist Ihnen das wichtig?
Wassermänner sind bekannt für ihren Witz. Ich betreibe aber keinen Sauglattismus, in dem Lacher nach Plan eingebaut werden. Mir liegen die leisen Töne besser. Ich darf mit etwas Stolz von mir behaupten, dass ich wohl eine der ersten Schweizer Künstlerinnen bin, die Komödiantisches mit Musik verband. Ich bin sozusagen Miterfinderin des stillen Humors. Mein wohl bekanntestes Projekt war Mad Dodo. Mit diesem komödiantischen Musiktheater feierten wir in den 1980er-Jahren international grosse Erfolge.
Hat Ihnen der Frohsinn dabei geholfen, die Corona-Krise besser zu meistern?
Durchaus. Ich vermisse zwar wie alle Menschen das alte Leben mit all seinen Vorzügen. Im Grunde genommen hat uns die Krise aber nichts Existenzielles genommen – von den Einnahmen einmal abgesehen.
Wie haben Sie den Lockdown durch- und überlebt?
Mit Unterrichten, mit Schreiben, mit Recherchen für unser neues Album, auf dem ich mit meinem Mann Efisio sardische Lieder einspielen werde. Mit Lisme und Lesen und Gymnastik. Ich habe auch ein Lied dazu geschrieben: «Nachrichte lose, geng wider tschegge – jede Tag z Glyche us allne Egge. Wi ds Tier im Chefi umeloufe, einisch ir Wuche ga ychoufe (poste nid roste). Maske u Händsche u Angst vorem Wind, wo-n-is di chätzers Chrone bringt.»
Vermissen Sie die Bühne sehr?
Schon, klar. Aber: Ich kann gut ohne Applaus leben. Mein Sendebedürfnis ist mittlerweile weniger gross als in jungen Jahren. Und die Menschen? Die vermisse ich sehr, sehr, sehr. Ich genüge mir selber nicht, ich liebe den Austausch mit anderen. Deshalb spiele ich auch gerne in Kleintheatern, denn in dieser Nische findet man regen Austausch – darin stehen Publikum und Künstler, also Menschen, im engen Dialog.
Zurück zu Ihrer Arbeit: Ein Kritiker bezeichnete Ihren Stil als Dodoismus. Ein Kompliment?
Durchaus. Ich selber nenne es Dodologie. Diese gründet in der Leichtigkeit des Seins. Ich will nicht, dass das Leben grausam ist, und versuche deshalb selbst schlimmen Dingen etwas Schönes abzugewinnen. Ohne dabei aber die darin gebundene Tragik zu verleugnen. Schliesslich bin ich über 70 und eine Denkerin – da redet man nichts schön, sondern ordnet manche Dinge einfach etwas anders ein. Nur lustig geht nicht.
Sie hatten eine schwere Jugend – ist Ihnen die Leichtigkeit des Seins deshalb derart wichtig?
Vielleicht. Wahrscheinlich muss man im Leben tatsächlich zuerst einiges einstecken, damit man diesen Wert richtig schätzen kann.
Was genau ist Ihnen widerfahren?
Eine komplizierte Geschichte. Ich bin in Bern geboren und in vier Kantonen und zwei Sprachregionen aufgewachsen. Ich war entsprechend oft der fremde Fötzel, wurde deshalb auch öfter verprügelt. Auch meine Familienverhältnisse waren speziell. Meine Mutter war Serviererin, mein Vater Musiker – die beiden hatten keine Zeit für mich. Also kam ich nach der Geburt sofort zu meiner Grossmutter. Dort lebte ich vier Jahre. Meine Eltern liessen sich scheiden, meine Mutter lernte einen Pöstler kennen und holte mich zu sich. Als eine der ersten Patchwork-Familien waren wir in den 1950ern noch Exoten, deshalb heisse ich auch Hug und nicht wie mein leiblicher Vater Hostettler.
«Die Dodologie gündet in der Leichtigkeit des Seins»
Ein Desaster?
Ja und nein. Die Welt, in der ich aufwuchs, war zwar klein. Aber auch darin schien die Sonne. Zu meinem Glück schickte mich meine Mutter mit 15 ins Welschland. Meine strenge, aber wunderbare Madame war Feministin, fuhr Auto, war kulturell engagiert und mit einem Mann verheiratet, der in Mumbai geboren war. Sie spornte mich an, meine Träume zu leben – und sah in mir Stärken, die meine Eltern erst gar nicht bemerkten.
Sie kehrten sozusagen als anderer Mensch zu Ihren Eltern zurück.
Richtig. Entsprechend schnell kam es nach meiner Rückkehr zum Bruch. Ich wollte Musik studieren, meine Mutter und mein Stiefvater aber bestanden darauf, dass ich eine KV-Lehre mache. Sie führten damals in der Schwyzer Gemeinde Schindellegi eine Beiz, abends musste ich dort servieren. Lernen konnte ich nicht, oft erschien ich abgekämpft zur Arbeit. Nach ein paar Monaten schmiss man mich aus der KV-Lehre. Daraufhin kam es mit meinen Eltern zum finalen Streit, und ich zog mit einem Stapel Schallplatten, meiner Gitarre, Schlittschuhen und Klamotten im Koffer zu meinem leiblichen Vater nach Bern. Doch auch dort konnte ich nicht bleiben. Also ging die Reise weiter.
Wohin?
Ich musste arbeiten, dringend Geld verdienen: in der chemischen Reinigung, im Service, am Buffet, im Spital. Bern war in den 1960ern ein Dorf, extrem engstirnig und moralisch. Für lebenslustige Menschen wie mich, die Träume hatten, war darin kaum Platz. Immer wieder lernte ich Menschen kennen, die mich förderten und mir das Gefühl gaben: Ich bin voll o.k., und meine Pläne sind keine Spinnereien.
Wie kamen Sie zur Kultur?
Schon früh tingelte ich durch Berns Beizen und verdiente mir so schon bald den Lebensunterhalt. Es gab Menschen, die schätzten, was ich machte. Ich fühlte mich wieder geliebt und angenommen, so wie in der Zeit bei meiner Grossmutter. Dann entdeckte mich der Jazzer Bruno Spoerri und brachte mich nach Zürich.
Schon Ihre Mutter nannte Sie Dodo. Mit Dodo haben Sie sich selber ein Label geschaffen. Andere hätten sich gegen die Mutter abgrenzen wollen – weshalb Sie nicht?
Das wollte ich sehr wohl, also nannte ich mich nach meinem Weggang von zu Hause Dorothea oder Doris. Meine Freunde riefen mich aber trotzdem Dodo. Der Name erinnerte mich zu stark an Go-go-Girls. Dann riet mir mein damaliger Freund und Mitmusiker Christoph Marthaler, mich künftig Madam› Dodo zu nennen, denn so heisse allenfalls eine Puffmutter, aber bestimmt keine leichten Tänzerinnen. Mit dieser beinahe clownesken Begründung konnte ich mich dann anfreunden.
Ein Rapper trägt den gleichen Namen.
Genau, dieser freche Kerl. Dodo, der im vergangenen Jahr mit «Hippie-Bus» einen Riesenhit hatte, stellte sich vor Jahren bei mir persönlich vor – nun kommt es ab und zu Verwechslungen. Unlängst schrieb mich tatsächlich jemand an, ob ich meinen Hippiebus vermiete. Und an einem Openair sassen mehrere Rasta-Typen im Publikum, die eigentlich Dominik alias Dodo erwartet hatten – und nicht mich. Seither nenne ich mich nur noch Madâme Dodo.
Sie sagten einst, dass Sie Stillstand schlecht vertragen, weder im Leben noch im Kopf. Was treibt Sie mehr an: Neugierde oder Unruhe?
Ganz klar die Neugierde. Mich interessieren tausend Sachen, ich mag mich mit Altvertrautem nicht begnügen. Darauf verweist allein schon meine Biografie: Ich lernte Tanz, Pantomime, Akrobatik und Artistik, habe schon vieles ausprobiert – und werde das hoffentlich auch künftig tun.
In der Schweiz wird es ungern gesehen, wenn man ständig das Genre wechselt – dadurch wird man schwerer fassbar.
Das stimmt, vielen sind Veränderungen verdächtig. Entweder ist man komisch oder man macht Musik – aber beides zusammen? Überdies besteht in der kleinen Schweiz die Tendenz, Tannen, die zu hoch wachsen, zu stutzen. Ich habe aber in den vielen Jahren ein treues Publikum um mich geschart, das mir folgt, wohin ich auch gehe.
Ihnen wurde 2020 der mit 50 000 Franken dotierte Zürcher Kulturpreis zugesprochen – in der Schweiz die erste grosse Auszeichnung. Weshalb so spät?
Keine Ahnung. Den Deutschen Kleinkunstpreis und den Salzburger Stier durfte ich ja bereits vor Jahren nach Hause tragen. Und 2019 sogar den italienischen «Premio Maria Carta» zusammen mit Efisio Contini. Wieso der Adelsschlag in der Schweiz nicht früher kam? Wenn man vieles macht, ist es für die sogenannte Kulturmanager wahrscheinlich schwieriger, ein Werk einzuschätzen respektive wertzuschätzen. Darüber hinaus bin ich eine Frau – ein Nachteil.
Wie das?
Vielseitigkeit ist ein Prädikat, das Männern vorbehalten bleibt – Frauen hingegen gelten als launisch, wenn sie sich nicht festlegen wollen. Unsere Arbeit wird noch immer anders und oft genug ungerecht beurteilt, obwohl die Kultur ohne Frauen erst gar nicht möglich wäre. Ich rede dabei nicht nur von jenen, die auf der Bühne stehen – sondern von all den Frauen, die in Theatern unentgeltlich arbeiten, an der Kasse, hinter den Kulissen. Das Rampenlicht indes bleibt meist Männern reserviert. In den Popbands machen Frauen erst rund 20 Prozent aus.
Machte sich das «Frauenmanko» in Ihrer Karriere stark bemerkbar?
Immer wieder. Ich war bis 1993 mit Mad Dodo unterwegs, wir spielten auf grossen Bühnen und hatten pro Jahr bis 200 Auftritte. Natürlich kam es in der Band immer wieder zu Rochaden, das ist in unserem Business ganz normal. Mir aber wurde vorgeworfen, dass ich mit Menschen nicht kann, dass ich eine Diva sei – typisches Wiiberzüüg halt. Bei einem Mann wäre die Analyse garantiert anders ausgefallen. Darüber hinaus: Auch im Privatleben bekam ich immer wieder zu spüren, dass ich die Frauenrolle nicht so spielte, wie man es von mir erwartete. Ich lernte erst 1994 einen Mann kennen, der damit klarkam, dass ich oft unterwegs bin und im Scheinwerferlicht stehe. Ich hatte Glück: Efisio ist selber Musiker. Wir teilen uns das Leben und unsere Leidenschaft, die Musik.
Grande Dame der musikalischen Kleinkunst
Dodo Hug (71) spielt diverse Instrumente und spricht 4 Sprachen. Begonnen hat sie ihre Karriere in den Beizen von Bern und Zürich, wo sie sich durch die frühen Siebzigerjahre musizierte. In mehr als 45 Jahren spielte sie in diversen Ensembles, bald tourt sie wieder durch die Schweiz – so Corona will. Die Lieder recherchiert, komponiert und schreibt sie selber und mit dem sardischen Musiker Efisio Contini, mit dem sie seit 1994 verheiratet ist. Derzeit arbeitet das Paar an einem Album mit sardischen Liedern. Darüber hinaus ist Dodo Hug im DOK-Film von Regisseur Fabian Chiquet über die vergessene Feministin, Friedensaktivistin und Chemie-Professorin Gertrud Woker (1878–1968) zu hören. Das Werk soll Ende Jahr in die Kinos kommen und wird 2022 auf SRF ausgestrahlt.
Wie wichtig waren Frauen in Ihrem Leben und in Ihrem künstlerischen Werdegang?
Sehr wichtig. Sie machen den Grossteil meiner Lebensmenschen aus. Meine Grossmutter, «meine Madame» im Welschland, meine Freundinnen, viele andere Künstlerinnen – ohne sie stünde ich nicht dort, wo ich heute stehe.
Dieses Jahr feiert die Schweiz das 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts: Wie haben Sie die Einführung in Erinnerung?
Ich war 1971 zarte 21 Jahre alt und rundum mit mir selber beschäftigt – deshalb interessierte mich das Stimmrecht nur wenig. Mich interessierten zwar die Anliegen der Frauen, aber Feministin war ich nicht. Weshalb sollte ich, ich lebte ja bereits wichtige Werte der Frauenbewegung. Ich setzte mich über viele Rollenklischees hinweg, stand schon früh auf eigenen Beinen, verdiente mein eigenes Geld. Später engagierte ich mich auch politisch für Frauenfragen. Im Jahr 1992 sangen Corin Curschellas und ich zusammen beispielsweise jenen Song, der nach der Nicht-Wahl von Bundesratsanwärterin Christiane Brunner auf dem Bundesplatz in Bern gespielt wurde: «Viktoria, Viktoria, Zyt isch do, miar sind parat, jetzt wemmer i de Bundesrat …»
Sie sind mittlerweile 71: Ist das Alter für Sie ein grosses Thema?
Jein. Ich brauche jeden Morgen etwas länger, um in Schwung zu kommen. Mein Tempo konnte ich mir aber bewahren, meine Wachheit auch. Alles gut also. Was hat sich verändert?Ich schaue, dass ich nicht mit grauen Haaren auf der Bühne stehe. Sonst wenig. Haltung ist alterslos. Sie ist wichtiger und beständiger als Sexyness. Es wird noch einiges passieren, falls ich gesund bleibe – davon bin ich überzeugt.
Wenn Sie Ihre Erwartung an die Zukunft in einem einzigen Satz zusammenfassen müssten: Wie würde dieser lauten?
On verra, mal schauen, was kommt.
Die Übergabe des Zürcher Kulturpreises ist auf den 11. Juni geplant – CDs und das Geschenk- und Werkbuch von Dodo Hug können direkt über ihre Website bezogen werden: dodohug.ch