© Gerry Ebner

«Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint»

86 Jahre und kein bisschen bühnenmüde: Ab dem 12. September geht der Kabarettist, Autor, Erzähler, Verleger, Grafiker und Schauspieler Emil Steinberger mit dem neuen Programm  «Alles Emil, oder?!» auf Schweizer Tournee. 

Text: Marianne Noser

Sie stehen 2019 mit «Alles Emil, oder?!» gut 125 Mal auf der Bühne, oft an sechs Abenden in der Woche. Weshalb muten Sie sich mit 86 Jahren ein Programm zu, vor dem viele Jüngere kapitulieren würden? 

Weil es mich glücklich macht, wenn ich mit meinem Programm so viele Leute zum Lachen bringen kann. Die Nachfrage ist derzeit so gross, dass ich das ganze Jahr hindurch ohne Pause spielen könnte. Auch in Deutschland und der Romandie werde ich von den Fans schon ungeduldig erwartet. All diese Menschen möchte ich nicht enttäuschen. Mir persönlich würde es aber auch ohne diese Auftritte gut gehen und nicht langweilig werden. Ich habe noch so viele andere Beschäftigungen.

Dann würde allerdings ein angenehmer Nebeneffekt wegfallen: die Einnahmen.

Geld hat bei mir nie die Hauptrolle gespielt. Ich hatte bis heute nie eine feste Gage, wurde immer prozentual bezahlt. Wenn es schlecht läuft, dann will ich auch keine fixe Summe. Und wenn es gut läuft, dann ist es korrekt, wenn ich ebenfalls davon profitiere.

Was bedeutet eigentlich das «oder» im Titel Ihres aktuellen Programms? Ist darin doch nicht alles Emil?

Doch, natürlich. Das Wort habe ich gewählt, weil «oder» ein typisch schweizerischer Ausdruck ist, den wir im Alltag oft verwenden. «Oder» kann eine Frage sein, je nach Kontext oder Situation aber eine ganz andere Bedeutung haben. Das gefällt mir.

Trotz aller Befriedigung, die Ihnen die Bühnenpräsenz bereitet: Gibt es nicht auch Tage, an denen Sie sich beim Aufwachen wünschten, anstelle eines Auftritts lieber Ihre Ruhe zu haben?

Morgens nie. Da ich den ganzen Tag über arbeite, stellt sich bei mir am späteren Nachmittag manchmal eine gewisse Mattheit ein. Dann denke ich ab und zu schon, es wäre schön, jetzt nichts mehr zu müssen. Sobald das Scheinwerferlicht angeht, ist aber alle Müdigkeit verflogen und mein Elan zurück. 

Emil Steinberger gestikuliert im Interview mit der Zeitlupe.
© Gerry Ebner

Und was machen Sie, wenn der rund zweieinhalbstündige Auftritt vorbei ist?

Dann kümmere ich mich um meine Fans, die noch ein Selfie mit mir machen wollen oder Bücher zum Signieren bringen. Danach haben ich und meine Frau Niccel, die mir bei allen Auftritten zur Seite steht, Hunger. Weil die Restaurantküchen in der Schweiz um diese Zeit aber meist geschlossen sind, gehen wir nach Hause, essen dort etwas Kleines, diskutieren noch eine Weile oder schauen Fernsehen. Zwischen 1 Uhr oder 1.30 Uhr gehe ich ins Bett und bin in der Regel um 8 Uhr morgens wieder auf den Beinen.

Das reicht, um frisch in den neuen Tag zu starten? Sie stehen ja nicht nur auf der Bühne, sondern sind auch in den Medien und der Öffentlichkeit sehr gefragt.

Wenn ich durchschlafen kann, fühle ich mich am Morgen wieder topfit. Es gibt allerdings Nächte, in denen ich aufwache und zu grübeln beginne. Dann gehen mir all die Dinge durch den Kopf, die liegen geblieben sind und ich unbedingt noch erledigen muss. Um alles bewältigen zu können, müsste ich wohl schon um 6 Uhr aufstehen …

„Ich war schon als Kind kreativ und habe immer wieder Neues gewagt.„

Sind dies die Momente, in denen Sie sich nach New York zurücksehnen, wo Sie zwischen 1993 und 1999 gelebt haben? In einem Interview sagten Sie damals: «Es ist ein wunderbares Gefühl, hier einfach ein Nobody zu sein.»

Ich kann mich derzeit gut in diese Zeit zurückversetzen. Ich bin damals nach New York «ausgewandert», weil ich dem täglichen Druck, dem ich in der Öffentlichkeit ausgesetzt war, ausweichen wollte. Momentan entwickelt sich das Interesse an meiner Person wieder in eine ähnliche Richtung, und manchmal ist das Ganze fast ein bisschen viel aufs Mal. Ich will aber nicht jammern. Mir geht es hervorragend, ich mache das alles gern und bin dankbar, dass es das Schicksal so gut mit mir meint.

Apropos Schicksal: Sie haben als Kabarettist, Autor, Erzähler, Schauspieler, Verleger, Grafiker und Theaterleiter Erfolge gefeiert. Wurden dem Steinberger eigentlich nie Steine in den Weg gelegt?

Eigentlich nicht, es ist mir praktisch alles, was ich angepackt habe, gelungen. Ich hatte viel Glück im Leben, habe allerdings auch sehr viel gearbeitet und oft auch kämpfen müssen. Ich war schon als Kind kreativ, habe immer wieder Neues gewagt und angepackt. Ich staune ab und zu aber selber über meine fast unglaublich positive Bilanz.

Wo Emil ist, da ist seit 20 Jahren auch seine zweite Ehefrau Niccel.

Ohne sie ginge es nicht. Niccel unterstützt mich in allen Belangen. Sie umsorgt mich, organisiert meine Auftritte, nimmt mir auch administrativ sehr viel ab. Im neuen Programm arbeitet sie zudem erneut als Requisiteurin mit und notiert all die Pointen, die auf der Bühne spontan entstehen. Niccel ist auch sehr kreativ, denkt aber viel analytischer als ich. Sie hat Ideen, auf die ich nie kommen würde. Wir ergänzen uns perfekt.

Ein Leben lang «Programm, Programm …!»

Geboren wurde Emil Steinberger am 6. Januar 1933 in Luzern. Er war Postbeamter und Grafiker, bevor er das Kleintheater in Luzern gründete und zwei Kinos führte. Bis 1987 stand er mit «Emil» auf der Bühne und feierte Grosserfolge. 1977 war er eine Saison lang mit dem Zirkus Knie unterwegs und spielte 1978 die Hauptrolle im Film «Die Schweizermacher». 1999 ging er mit dem Programm «Drei Engel» und von September 2015 bis November 2017 mit «Emil – No einisch» auf Tournee. Emil Steinberger schrieb auch mehrere Bücher und wurde mit verschiedenen Preisen geehrt. Von 1993 bis 1999 kehrte er seiner Bühnenfigur den Rücken und lebte in New York, wo er vor seiner Rückkehr in die Schweiz seine zweite Ehefrau, die Lachtrainerin Niccel, heiratete. Das Paar lebt heute in Basel. Emil Steinberger hat aus erster Ehe und aus einer anderen Beziehung die Söhne Philipp und Martin, zudem ist er Grossvater von Sebastian (9) und Max (3). 

Ihre Programme schreiben Sie aber alleine?

Ja. Oft trage ich eine Idee lange im Kopf herum, bevor sie reif ist für die Bühne und ich sie niederschreibe. Ein neues Programm ist immer Knochenarbeit. Diesmal kam mir das Schreiben besonders schwierig vor.

Weshalb?

Das weiss ich nicht genau. Vielleicht habe ich die Leichtigkeit aus früheren Jahren etwas verloren, weil ich mehr weiss vom Leben und meine Ansprüche an mich selber höher geworden sind. Jedes meiner Stücke ist ein Balanceakt, denn der Inhalt soll weder zu oberflächlich noch zu tiefgründig sein. Texte, die ich auf Anfrage für Zeitungen schreibe, gebe ich Niccel zum Lesen. Sätze, die sie nicht gut findet oder von denen sie glaubt, dass die Formulierung nicht zu mir passt, lasse ich weg.

Sie betonen stets, dass Sie keine Gedanken an Ihr Alter verschwenden und sich nicht wie 86 fühlen. Gibt es dafür ein Rezept

Man darf sich auch im Alter nicht abkapseln oder passiv werden. Man muss jeden Tag ein Ziel vor Augen haben, muss neugierig bleiben, mitmachen, Neues ausprobieren. Mir fällt auf, dass ältere Menschen oft nicht zuhören können, nur von sich selber oder ihren Krankheiten erzählen, kein wirkliches Interesse am Visasvis zeigen. Dabei ist es so wichtig und bereichernd, sich mit anderen Menschen auszutauschen und unterschiedliche Meinungen zu hören.

Emil Steinberger stützt sich auf und lächelt verschmitzt in die Kamera.
© Gerry Ebner

Das sagt sich leichter, als es getan ist.

Ich weiss, wovon ich rede. Zwischen 55 und 60, als ich frisch geschieden war und kein neues Programm hatte, erlebte ich auch eine Phase, in der ich morgens fast nicht aus dem Bett kam, mich antriebslos fühlte und mich nur schwer motivieren konnte. Ich habe damals an mir selber erlebt, dass man sich nur dann weiterentwickeln kann, wenn man sich beruflich bewegt und nicht stehen bleibt. Nur so geht immer wieder ein neues Türchen auf.

Sie gehören finanziell und gesundheitlich zu den privilegierten älteren Menschen in der Schweiz. Es gibt aber auch viele Seniorinnen und Senioren bei uns, die nicht auf Rosen gebettet sind.

Das beschäftigt mich sehr und es macht mich traurig, wenn ältere Menschen erzählen, dass sie jeden Rappen umdrehen müssen und sich praktisch nichts leisten können, was zum Leben nicht unbedingt nötig ist. So ist gutes Altern schwierig und ich habe grosse Hochachtung vor allen, die in einer derartigen Situation nicht verbittern und die Lebensfreude nicht verlieren.

Viele Menschen in der zweiten Lebenshälfte leiden auch an Einsamkeit.

Nach der Scheidung habe ich sieben Jahre lang alleine gelebt und dabei erfahren, dass Solo-Sein auch Schattenseiten hat. Ich würde mir nicht zuletzt deshalb wünschen, dass es in der Schweiz Orte gäbe, in denen sich ältere Menschen zwanglos treffen, miteinander plaudern, jassen, «Nünischtei» oder was auch immer spielen könnten, ohne dass damit ein Konsumzwang oder eine Verpflichtung verbunden ist. Einrichtungen in der Art der Jugendhäuser, für die wir früher gekämpft haben.

„Es macht mich sehr traurig, wenn ältere Menschen mir erzählen, dass sie jeden Rappen umdrehen müssen.„

Sie sind Vater zweier Söhne und haben auch zwei Enkel; den neunjährigen Sebastian und den dreijährigen Max. Wie intensiv nehmen Sie Ihre Grossvaterrolle wahr?

Schwach – ich will mich nicht in die Erziehung einmischen. Es sind zwei aufgestellte, völlig unterschiedliche Buben. Der Grössere war schon ein paar Mal bei uns zu Besuch und wir hatten es sehr lustig miteinander. Niccel ist jeweils voll in ihrem Element, malt und zeichnet mit ihm. Sie haben zusammen Puppen hergestellt und an der Nähmaschine Puppenkleider genäht. Zu dritt haben wir auf seinen Wunsch hin auch Postschalter-Szenen gespielt und viel gelacht dabei.

Enkelkinder sind der Beweis, dass man nicht mehr zu den Jüngsten gehört. Haben Sie eigentlich schon Vorkehrungen für das Sterben und den Tod getroffen?

Zusammen mit Niccel habe ich vor etwa einem Jahr eine Patientenverfügung und einen Vorsorgevertrag aufgesetzt. Ich kann ja, wenn es einmal so weit ist, nicht die ganze Verantwortung einfach ihr überlassen. Wenn ich gestorben bin, kommt dann immer noch genug auf sie zu.

Ihre Ehefrau hat ihre eigene Karriere in den letzten 20 Jahren für Sie zurückgestellt, auf vieles verzichtet. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?

Doch, schon. Dabei hat sie so viele Talente und Interessen – sie gibt Lachseminare, malt, dichtet, fotografiert und schreibt, um nur einige zu nennen. Ich habe mir deshalb fest vorgenommen, meinen Fokus vermehrt auf Niccels Projekte auszurichten, sie stärker zu unterstützen. Dies auch im Hinblick auf ihre Zukunft. Ich möchte mithelfen, eine Basis für ihre kreativen Fähigkeiten zu schaffen, auf der sie sich nach meinem Tod weiterentwickeln kann.

Und welche Pläne haben Sie für sich selber?

Ich würde gerne mehr zeichnen und skizzieren, endlich den Dokumentarfilm über mein Leben realisieren und meine Biografie schreiben, bevor eine von mir nicht autorisierte Version auf den Markt kommt. Zuvor sollte ich aber noch die vielen Anfragen für Shootings, Patronate, Aktionen etc. beantworten und bewältigen, das Textbuch von «Alles Emil, oder?!» bereinigen und das Drehbuch für die Videoaufzeichnung im Oktober schreiben. Ich habe also wirklich keine Zeit, um ans Alter zu denken … ❋

«Alles Emil, oder?!»

Die Tournee von «Alles Emil, oder?!» startet nach der Sommerpause am 12. September im Theater Fauteuil in Basel und endet am 9. April 2020 im Bernhard Theater in Zürich. Im neuen Programm kombiniert Emil Klassiker von früher mit neuen Sketchen und Zwischenmoderationen. Den Spielplan und Tickets finden Sie unter anderem auf www.ticketcorner.ch  

Beitrag vom 10.09.2019