Herbst-Anemonen gelten als Blühköniginnen der Nebeltage. Sie füllen Gartenbeete und Töpfe bis zum ersten Frost mit Eleganz und Leichtigkeit – und machen diese zu ihren Tanzbühnen.
Text: Roland Grüter
Der Herbst ist das letzte schöne Lächeln des Jahres», bilanzierte einst ein Zeitgenosse, der sich von der Poesie des Altweibersommers offensichtlich begeistern liess. Andere tun sich damit schwerer und denken mit Wehmut an den schwindenden Sommer zurück, so sehr er uns heuer alle ins Schwitzen gebracht hat. Freundinnen und Freunde langer Sonnentage sind entsprechend dankbar für jeden Fingerzeig, die die kommende Kälte und Dämmernis vergessen lassen. Und tatsächlich ist der Natur noch etwas Kraft geblieben, um kurz vor dem Winterschlaf kleine und grosse Wunder zu bewirken. Davon zeugen vor allem die Herbst-Anemonen. Sie halten sich im Blumenbeet oder in Töpfen aufrecht, wenn andere Stauden längst dahinserbeln.
Töchter des Windes
Bis zum ersten harschen Frost tragen sie Blüten, die je nach Sorte an feines Porzellan oder bauschige Röckchen erinnern. Früh blühende Stauden – etwa die hellrosa «Ouvertüre» oder die purpurrosa «Praecox» – zünden ihr Feuerwerk bereits im Juli, die späteren warten damit bis in den September. Manche Vertreterinnen lassen bis zu 15 Blüten an einem einzigen Stielwachsen. Und selbst dann, wenn diese verwelkt sind, bleibt ein Hauch ihrer Anmut erhalten. Dann tragen Herbst-Anemonen weisse Flaumbüschel, in deren Grund kleine, schwarze Samen versteckt liegen. Die Blüten und die wattigen Samenstände tanzen im Wind und machen den Hobbygarten zu ihrer Ballettbühne. Auf dieses Talent verweist der botanische Name der Anemone. Dieser stammt aus dem Griechischen und bedeutet sinngemäss: Tochter des Windes.
Was die Gewächse doppelt begehrenswert macht: Sie sind in der Hege erstaunlich anspruchslos. Weist man ihnen einen Platz im lichten Schatten und in humus-und nährstoffreichen Böden zu, gedeihen sie ohne grosse Obhut. Einzig Trockenheit vertragen sie schlecht. Deshalb sollte man sie nur dann an Sonnenplätzen pflanzen, wenn sie dort genügend Feuchtigkeit finden. Überdies gilt es, sie von überlappenden Ästen grösserer Nachbarn zu schützen. Denn Tropfnässe bereitet den Schönheiten schlechte Laune und ruiniert deren sattgrünes Blattkleid. Fühlen sich die Prachtstauden jedoch wohl, danken sie es ihren Hegern mit einer üppigen Blütenpracht. Diese nimmt Jahr für Jahr zu. Rosa-und pinkfarbene Sorten gelten gemeinhin als gefügiger als weisse.
Von Japan nach England und in die Welt
Wie alle Anemonen gehören auch die Spätzünderinnen zur Grossfamilie der Hahnenfussgewächse (Ranunculacea). Diese schliesst rund 60 Gattungen und 2500 Arten mit ein, etwa die Christrose oder das Adonisröschen oder das Buschwindröschen. Fast alle Arten enthalten einen giftigen Pflanzensaft (Protoanemonin), der Fressfeinden den Appetit verderben soll – leider tritt dieser aber auch beim Abbrechen der Blumen aus. Der Kontakt mit blosser Haut kann bei empfindlichen Menschen entzündliche Reaktionen hervorrufen. Also Vorsicht!
Erste Herbst-Anemonen wurden vom schottischen Botaniker und Pflanzenforscher Robert Fortune (1812–1880) Mitte des 19. Jahrhunderts aus Japan nach England gebracht, deshalb werden sie noch immer auch Japan-Anemonen genannt. Wie man mittlerweile aber weiss, wachsen sie genauso häufig in China. Europäische Gartenfreundinnen und -freunde liessen sich von der Asiatin schnell begeistern. Anfangs mussten sie sich mit wenigen Wildsorten begnügen. Dann aber entdeckten Züchter bei der Immigrantin deren zügellose Lust zur Vermehrung – und begannen, verschiedenste Arten und Sorten einzukreuzen und deren Genetik zu durchmischen. Daraus ist eine riesige Vielfalt entstanden, in der sich selbst Expertinnen und Experten kaum zurechtfinden.
Der Wille zur Vermehrung zeigt sich auch im Hausgarten. Herbst-Anemonen breiten sich über ihre Saat leicht aus. Verpflanzt man sie, genügt ein kleines Wurzelstück, das man beim Ausgraben übersieht, und schon wachsen daraus neue Stauden. Was nur im Sinn ihrer Anhängerschaft sein kann: Denn selten lässt sich Leichtigkeit und Farbigkeit im Hobbygarten dermassen leicht vermehren.
Die Noblesse ist manchen Sorten schon im Namen abzulesen. Eine zartrosa Klassikerin heisst «Königin Charlotte», eine leuchtend Pinke «Prinz Heinrich». Dichterfürsten und der Volksmund sprechen diesen und anderen Vertreterinnen dieser Gattung grosse Symbolkraft zu. Sie gelten als Zeichen für Hoffnung, Lebensfreude und Optimismus. Werte also, welche die Welt in eine schönere kehren. Und längst nicht nur an tristen Nieseltagen.
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