Sagen Sie oft Ja und meinen eigentlich Nein? Unsere Expertin Claudine Molinari rät, ganz bewusst zu- oder abzusagen.
Andere Menschen zu unterstützen, gibt uns ein gutes Gefühl. Wenn wir aber ständig zusagen, auch wenn wir eigentlich nicht helfen mögen, kommen wir selbst zu kurz. Mit der Zeit fühlen wir uns unzufrieden, das Selbstvertrauen und die Gesundheit leiden.
Wie gut wir uns abgrenzen können, bestimmen meist unbewusste Prägungen. Viele lernen bereits früh in der Kindheit, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzunehmen. Glaubenssätze wie «Ich bin nicht wichtig» oder «Man hört mir nie zu» sind tief in uns verankert.
Schlecht Nein sagen können oft feinfühlige Menschen, denen Harmonie wichtig ist – und deutlich mehr Frauen als Männer. Besonders die älteren Generationen sind noch stark vom Bild der selbstlosen Frau geprägt, die nie klagt oder rebelliert. Auch wer Kinder hat oder Angehörige pflegt, stellt eigene Wünsche oft jahrelang zurück.
Sich Zeit für Entscheide nehmen
Sorgen Sie auch für sich selbst und lernen Sie, nicht einfach «automatisch» Ja zu sagen – sondern ganz bewusst und nur dann, wenn es für Sie stimmt. Spüren Sie in sich hinein und nehmen Sie sich Zeit zum Entscheiden. Atmen Sie zumindest ein paar Mal durch, bevor Sie antworten. Oder noch besser: Vereinbaren Sie Bedenkzeit und einen Zeitpunkt, bis wann Sie sich melden.
Üben Sie das Nein-Sagen in Situationen, in denen es Ihnen leichter fällt. Für manche ist das im Privatleben der Fall, für andere im Verein oder im Beruf. Finden Sie eine Antwortstrategie, mit der Sie sich wohlfühlen. Zum Beispiel: «Ich verstehe, dass du Hilfe brauchst. Momentan habe ich aber selbst viel um die Ohren.» Oder: «Danke, dass du an mich gedacht hast. Leider habe ich derzeit keine Kapazität.» Fürchten Sie die Reaktion des Gegenübers, sagen Sie: «Sei mir nicht böse, aber derzeit kann ich dir nicht helfen.»
Üben, üben, üben…
Normalerweise sind die Folgen eines Neins nicht so drastisch, wie man sie sich vorstellt. Die meisten Menschen können gut mit einem Nein umgehen, vor allem wenn es klar, ehrlich und höflich kommuniziert wird. Begründen Sie Ihr Nein kurz, aber rechtfertigen Sie sich nicht. Auch ein schlechtes Gewissen ist nicht nötig – denn Sie lehnen nicht einen Menschen ab, sondern bloss sein aktuelles Anliegen.
Lernen, Nein zu sagen, heisst keineswegs, dass man nie mehr Ja sagt. Sondern, dass man die eigenen Grenzen respektiert. Ein Nein zu anderen bedeutet ein Ja zu mehr Zeit und Energie für sich selbst. Verzweifeln Sie nicht, wenn es nicht von heute auf morgen klappt. Auch beim bewussten Ja- und Nein-Sagen gilt: Üben, üben, üben – und es ist nie zu spät, damit anzufangen.
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