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Ben Moore: «Wir kennen erst einen winzigen Teil des Alls»

Ben Moore ist seit 22 Jahren Professor für Astrophysik an der Uni Zürich. Im Gespräch sagt er, warum es gut ist, dass Forschung demütig macht, und wieso es illusorisch ist, bald hochentwickeltes Leben zu finden.

Interview: Fabian Rottmeier

Wäre das Universum ein Ozean, so hätten wir erst eine Badewanne davon erforscht. Diese Veranschau­lichung ist nur eine von vielen aus Ihren Büchern. Machen Sie solche Vergleiche auch für sich selbst?
Durchaus. Sie helfen, die Zahlen einzuordnen. Eine Milliarde Sterne sind am Ende einfach … eine Menge! Die Berechnung mit der Badewanne sollte begreifbar machen, weshalb wir noch kein ausserirdisches Leben gefunden haben. Der Grund: Weil wir erst einen sehr kleinen Ausschnitt unserer Galaxie, die wieder­um ein winziger Teil des ganzen Universums ist, erforscht haben. Es ist, als würden wir heute eine Badewanne voller Wasser aus dem Ozean heben und darin auf einen Fisch hoffen. Es sind jedoch eher eine Million Badewannen nötig, um einen Fisch zu finden. Normalerweise führen all diese Berechnungen am Ende dazu, dass ich mich sehr klein fühle.

Ist das ernüchternd?
Nein, das ist gut. Denn es unter­scheidet uns heute von den mehreren 1000 Jahren des finsteren Zeitalters, als die Menschen glaubten, sie seien das Zentrum des Universums. Das war gefährlich – und ein gutes Kontroll­mittel der Religionen. Erst im 20. Jahrhundert wurde uns klar, wo wir uns im Universum befinden. Das ist noch nicht lange her. Deshalb ist es ein Fortschritt – und sehr wichtig. So funktioniert Wissenschaft.

Mit bahnbrechenden Teleskopen wie «James Webb» oder «Euclid» sind seit einigen Jahren Aufnahmen möglich, die ferne Galaxien zeigen, wie sie vor 13 Milliarden Jahren existierten – zur Anfangszeit des Universums. Was ermöglichen diese Fotos?
Die erhofften Erkenntnisse sind klar definiert. «Euclid» versucht, zu ergründen, was dunkle Energie ist. Es sind sehr genaue Beobachtungen nötig, um unsere Theorien zu überprüfen. Das James-Webb-Teleskop wiederum war deshalb so teuer, weil es speziell dafür gebaut wurde, das Licht der ersten Sterne und Galaxien zu entdecken. Weil sich das Universum im Laufe der 13,8 Milliarden Jahre seit dem Urknall ausdehnte, wurden auch die Lichtwellen in den für uns unsichtbaren Infrarotbereich gestreckt. Das James-Webb-Teleskop befindet sich weit weg von der Sonne im Erdschatten, um seine Detektoren unter minus 260 °C zu halten. Nur so können diese Photonen, kleinste Lichtteilchen, nachgewiesen werden.

«Ich habe mich erst in den letzten Jahren wieder auf die Schönheit des Weltraums besonnen.»

Wie hoch schätzen Sie den Wert dieser Aufnahmen für das Image der Astrophysik ein?
Allein die Schönheit dieser Bilder hat viele Menschen dazu inspiriert, Wissenschaftler zu werden und über das Universum nachzudenken. Sie sind ein Nebenprodukt der Forschung und mehr wert als ihr eigentlicher Nutzen.

Halten Sie es für denkbar, dass man mit den Bildern in absehbarer Zeit Beweise für Leben auf anderen Planeten dokumentieren kann?
Wenn Sie damit meinen, dass man auf den Aufnahmen Leben erkennt, dann nein. Eines der wissenschaftlichen Ziele des James-Webb-­Teleskops ist die Suche nach An­zeichen von Leben auf sogenannten Exoplaneten, also auf Planeten, die andere Sterne umkreisen. Das ist eine sehr anspruchsvolle Beobachtung. 

Weshalb?
Wir suchen in den Atmosphären von Exoplaneten nach Molekülen, die hauptsächlich oder ausschliesslich von Leben produziert werden, etwa Sauerstoff oder Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Wo Sauerstoff ist, da gibt es Photosynthese – und damit Leben. Es wäre eine er­staunliche Entdeckung, und ich denke, dass die Chancen dafür innert der nächsten Dekade gut stehen. Wir mögen uns damit eine Science-Fiction-Zukunft vorstellen, in der wir Ausserirdischen aus nächster Nähe begegnen – aber ich hoffe, wir finden sie, bevor sie uns finden.

Was macht die Schönheit des Weltalls aus?
Ich war immer ein theoretischer Astro­physiker und Kosmologe, der mit Stift und Papier, Gleichungen und Computern arbeitete. Ich habe mich erst in den letzten Jahren wieder auf die faszinierende Schönheit des Weltraums besonnen – durch den Blick ­eines eigenen Teleskops. Schon mit kleinen Teleskopen gelingen heut­zutage tolle Aufnahmen aus dem tiefen Universum (siehe Foto in der Box weiter unten). Mittlerweile vermittle ich dieses Hobby auch in meinem praktischen Astronomieunterricht. Die Studierenden mögen das, weil es inspirierend ist, sich das Universum anzuschauen. Wir dürfen nun für die Universität Zürich auf dem Davoser Jakobshorn ein Observatorium bauen.

«Das Betrachten des Mondes mit meinem Vater ist eine meiner frühesten Erinnerungen.»

Astrophysiker Ben Moore vor einem Mond-Plakat
© Samuel Trümpy

Inspirierend war auch der Moment im Jahr 1972, als Ihr Vater Ihnen mit sechs Jahren den Mond zeigte, wo sich gerade Astronaut Eugene Cernan befand. Was löste das aus?
Es war ein kleiner Schritt auf dem Weg, Forscher zu werden. Mein Vater war sehr interessiert an der Welt und wollte wissen, wie die Dinge funktionieren. Er hatte nie die Möglichkeit gehabt, zu studieren, war Forstwart und las viele wissenschaftliche ­Bücher. Er flösste mir sozusagen den Wunsch ein, seine Fragen zu be­­antworten und zu forschen. Das Betrachten des Mondes mit ihm ist eine meiner frühesten Erinnerungen.

Welches waren Ihre ersten beruflichen Ziele?
Ich war zuerst etwas unschlüssig. Als ich meinen Bachelor in Physik und Astrophysik in der Tasche hatte, wollte ich einfach drauflosforschen. Also bewarb ich mich für eine Stelle bei British Aerospace, weil ich dachte, es wäre cool, Raumschiffe zu bauen. Beim Vorstellungsgespräch beschieden mir die Verantwortlichen gute Chancen und sagten, sie würden gerade an einer neuen, laser­gesteuerten Bombe arbeiten (lacht). Zum Glück wurde mir dann anders­wo eine Doktorandenstelle ange­boten, bei der ich über die Topologie des Universums forschen durfte.

Wie kam es dazu, dass Sie 2002 als Professor an der Universität Zürich landeten?
Wenn ein Uni-Professor in den Ruhestand geht, berät jeweils ein Komitee darüber, ob man die vakante Position im selben oder in einem neuen Forschungsbereich besetzen möchte. An der Universität Zürich entschied man sich, wieder über Kosmologie zu forschen – zum ersten Mal, seit der weltbekannte Physiker Albert Einstein hier wirkte. Ich erhielt einen Anruf und erfuhr, dass ich auf ihrer Kandidatenliste stand. Zum zwölfköpfigen Komitee, das mich befragte, gehörten die weltbesten Wissenschaftler. «Keine Chance», dachte ich mir – und wurde am Ende ausgewählt, um eine Forschungs­gruppe aufzubauen, die mithilfe von Supercomputern untersucht, wie Sterne, Galaxien und Planeten entstehen.

© Samuel Trümpy

Zur Person

  • Der 1966 geborene Benjamin Moore wächst in Nordengland als Sohn eines Forstwarts auf. Als junger Student gesteht er sich ein, dass seine Chancen als Physiker besser stehen denn als Heavy-Metal-Gitarrist, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

  • Er studiert unter anderem an der renommierten Berkeley University in der San Francisco Bay Area und wird später Professor im nordostenglischen Durham. Seit 2002 lehrt er als Professor für Astrophysik an der Universität Zürich.

  • Der leidenschaftliche Bergsteiger, Kletterer und Snowboarder hat über 300 Forschungs­arbeiten zur Entstehung von Sternen, Galaxien und Planeten verfasst. Er lebt im Kanton St. Gallen und hat eine Tochter und einen Sohn – beide sind wissenschaftlich tätig.

Woran arbeiten Sie derzeit?
Mein Team und ich sind an einer Weltraummission beteiligt, die im Idealfall entscheidende Beobach­tungen zur dunklen Materie machen könnte. Es ist eine gemeinsame Mission zwischen Spanien, der Schweiz, Österreich und Belgien. Spanien stellt die Teleskope zur Verfügung, die Schweiz baut den Satelliten. Dabei müssen wir die Kameras auf rund minus 130 °C abkühlen – mittels wärmeableitender Rohre aus speziellen Materialien. In der Schweiz gibt es dazu das nötige Fachwissen. Sieben Ingenieure arbeiten alleine an dieser Aufgabe …

…, die wie ein schlechter Scherz klingt.
Es wird noch kniffliger: Die eine Seite des Teleskops ist der Erde zugewandt – bei 21 °C – und die andere dem Weltraum – bei minus 270 °C. Die Kameras, die sich in der Mitte befinden, benötigen jedoch eine Temperatur von minus 130 °C, um zu funktionieren. Das sind enorme Unterschiede.

Wie lange dauert eine solches Projekt?
Wir haben die Mission vor zwei Jahren begonnen. Phase A ist bereits abgeschlossen, sprich, die Europäische Weltraumorganisation ESA hat unsere Konstruktion genehmigt. Die ESA hat jede Schraube überprüft. Wirklich jede! Sobald die Startbewilligung der ESA steht, haben wir zwei Jahre Zeit zur Ver­fügung für den Bau. Das ist sehr wenig. Wir hoffen, 2030 starten zu können. Acht Jahre wären die kürzeste jemals erreichte Zeit für eine wissenschaftliche Weltraummission – von der Eingabe bis zum Launch. Normaler­weise sind es 20 Jahre. Ich weiss jetzt schon, dass mir die beiden Linsendeckel Albträume bescheren werden. Sie sind die einzigen beweglichen Teile der Mission, schützen die Tele­skope beim Start vor Dreck und sollten im Weltraum von alleine fortgeweht werden. Das ist der spassige Teil für die Ingenieure.

«Es gibt noch immer kein inter­nationales Weltraumrecht, das den Menschen vorschreibt, was sie im Weltraum tun dürfen und was nicht.»

Das neue Zeitalter der Raumfahrt ist geprägt von privaten Milliardären wie Elon Musk oder Jeff Bezos. Be­reitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Nein, das ist gut. «SpaceX» wurde ja nicht bloss mit Elon Musks Geld entwickelt. Er bekam dafür Geld von der NASA, und die US-Regierung ent­wickelte die Raketen. Die NASA kann sich keine fehlerhaften Versuche leisten, sonst wird das Budget gekürzt. «SpaceX» hingegen konnte etwas riskieren und so lange Raketen in die Luft jagen, bis sie funktionierten. Private und öffentliche Raumfahrtunternehmen gehen sehr unterschied­lich vor. Mich beunruhigt jedoch etwas ganz anderes: nämlich dass Egomanen wie Musk so viel Macht haben. Sie können selbst Dinge wie die Kommunikation in der Ukraine kontrollieren, indem sie Satelliten – wie im September 2022 geschehen – wahlweise abschalten. Diese Art von Macht ist gefährlich. Und es gibt noch immer kein inter­nationales Weltraumrecht, das den Menschen vorschreibt, was sie im Weltraum tun dürfen und was nicht.

Sie schrieben in Ihrem Buch über den Mond davon, dass unter dessen Kruste gefrorenes Wasser vorkommt. Werden die Menschen einst danach bohren, wenn auf der Erde das Wasser knapp wird?
Es gibt genug Wasser auf der Erde.

Im Moment schon, ja.
Das Problem ist, dass es verlagert wird und deshalb an vielen Orten nicht mehr genug davon vor­handen ist. Da würde es wenig helfen, ge­frorenes Wasser vom Mond zu gewinnen, zumal dies sehr schwierig wäre. Das Eis in den Kratern würde jedoch ausreichen, um an geeigneter Stelle eine Mondkolonie zu bauen. Ich kann mir vorstellen, dass dies in den nächsten zehn Jahren passieren wird. Es wäre aus wissenschaftlicher Sicht äusserst wertvoll, eine derartige, permanente Mondbasis zu errichten. So kämen wir dem lang­fristigen Ziel, das Sonnensystem zu erforschen, näher. Und damit auch dem Universum darüber hinaus.

 

© Ben Moore

Magische Supernova

  • Das abgebildete Foto hat Ben Moore mit seinem Teleskop aufgezeichnet. Es zeigt den Cirrusnebel, der Teil einer Supernova ist, die vor etwa 8000 Jahren stattfand. Supernova bezeichnet das helle Aufleuchten eines massenreichen Sterns nach dessen Explosion.

  • Wissenschaftlicher Übersetzer Der englische Ausdruck «Over the Moon» heisst übersetzt, hin und weg zu sein über etwas. Ben Moore ist fasziniert vom Mond – und vermittelt sein Wissen 2019 im lesenswerten und unterhalt­samen Buch «Mond: eine Biografie». Mit «Gibt es auf der dunklen Seite vom Mond Aliens?» hat er zwei Jahre zuvor «55 galaktische Kinderfragen» beantwortet. Sein neustes Buch «Sternenstaub» widmet sich der «Geschichte des Universums in 42 nie ver­liehenen Nobelpreisen». Ben Moore schreibt zudem regelmässig für «Das Magazin».

  • Vom Techno zur klassischen Gitarre Als «Professor Moore» hat Ben Moore 2014 ein Album mit elektronischer Tanzmusik ver­öffent­licht – und dabei u. a. die Gitarre als Stilmittel benutzt. Auch mit dem Künstlerduo «MILK67» hat er zusammen­gearbeitet. Nach einer musikalischen Pause beschränkte er sich in den letzten Jahren auf klassische Gitarre und möchte als nächstes ein Album mit «entspannten spanischen Liedern» angehen. Das All zu vertonen, war nie seine Absicht, zumal es dort komplett still sei. Aus der Forschung verwendete er einmal den Knall einer Supernova-­­Explosion als Kick Drum.

Beitrag vom 18.11.2024