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Was bedeutet Tierwürde?

Die Tierwürde ist eine der tragenden Säulen des Schweizer Tierschutzrechts und seit 1992 in der Bundesverfassung verankert. Diese verpflichtet den Bund, dass der sogenannten Würde der Kreatur – zu der auch die Tierwürde gehört – in der ganzen Rechtsordnung und in jedem Rechtsanwendungsverfahren, das die Mensch-Tier-Beziehung betrifft, Rechnung zu tragen ist.

Portrait von Christine Künzli, MLaw und stv. Geschäftsleiterin und Rechtsanwältin bei der Stiftung Tier im Recht.
Christine Künzli*

Das Tierschutzgesetz definiert die Würde als Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit ihm zu beachten ist. Die Würde schützt die Tiere in ihrem Selbstzweck und verbietet es, sie bloss als Mittel für menschliche Zwecke zu verwenden. Die Achtung der Tierwürde geht somit weit über das Verbot des ungerechtfertigten Zufügens physischer und psychischer Schäden hinaus und schützt Tiere insbesondere auch vor Erniedrigung, vor Eingriffen in ihr Erscheinungsbild oder ihre Fähigkeiten und vor übermässiger Instrumentalisierung. Solche Belastungen bedeuten also auch dann Würdeverletzungen, wenn dem Tier dabei keine Schmerzen oder Leiden zugefügt werden. Zu denken ist dabei beispielsweise an das Lächerlichmachen oder Vermenschlichen von Tieren, die Zurschaustellung in albernen Verkleidungen, das Einfärben des Tierfells oder das Antrainieren von widernatürlichen Kunststücken zur allgemeinen Belustigung.

Würdeschutz gilt nicht absolut

Anzumerken ist jedoch, dass der Schutz der Tierwürde nicht absolut gilt, sondern eine Verletzung unter Umständen gerechtfertigt sein kann. Hierfür ist jedoch in jedem konkreten Einzelfall eine Güterabwägung zwischen den entgegenstehenden Interessen notwendig. Dabei wird die Schwere der Würdeverletzung den Interessen anderer betroffener Parteien gegenübergestellt. Ein Eingriff in die Tierwürde ist dabei umso strenger zu bewerten, je schwer wiegender er für das betroffene Tier und je belangloser für den Menschen ist.

Als überwiegende menschliche Interessen kommen insbesondere die Nahrungsmittelbeschaffung, die Gesundheit von Mensch und Tier oder wissenschaftliche Motive infrage. So können beispielsweise unter Umständen Tierversuche für die Erforschung neuer Medikamente eine Verletzung der tierlichen Würde rein juristisch betrachtet rechtfertigen, wenn derselbe Zweck nicht mit einer milderen Massnahme erreicht werden kann. Können bei einer Handlung, mit der die Tierwürde verletzt wird, aber keine überwiegenden Interessen seitens des Menschen geltend gemacht werden, liegt eine strafbare Missachtung der Tierwürde vor. Diese stellt eine Tierquälerei im rechtlichen Sinne dar und wird damit auf eine Stufe gestellt wie etwa Misshandlungen oder qualvolle Tötungen von Tieren. 


*Christine Künzli, Rechtsanwältin, LL.M., stv. Geschäftsleiterin Stiftung für das Tier im Recht (TIR) © Sonja Ruckstuhl

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Beitrag vom 22.04.2023

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