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Schwänzeln im Garten

Taubenschwänzchen leben eigentlich in Südeuropa. Nun sind sie daran, auch im Norden heimisch zu werden. Unser Gartenautor ist vom haarigen Brummer ganz begeistert.

Roland Grüter, Gartenkolumnist der Zeitlupe
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Text: Roland Grüter

Bei mir lebt seit Monaten ein Gast. Er trat gänzlich unverhofft in mein Leben, ohne sich vorher gebührend anzumelden. Wir sind uns entsprechend fremd, was meinen Besucher kein bisschen stört: Ungeniert steckt er seinen Rüssel in meine Sachen und macht mächtig Wind. Trotzdem habe ich das Taubenschwänzchen liebgewonnen, das unerschrocken über meine Gartenbeete flügelt. Es ist ständig in Bewegung, um mit einem Ruck in der Luft stehen zu bleiben: damit es Nektar aus Blüten saugen kann. Diese Eigenheit hat dem Flatterer einen treffenden Beinamen eingetragen. Man bezeichnet Taubenschwänzchen mitunter auch als Kolibris der Insekten. Seinem faszinierenden Stop&Go könnte ich stundenlang zusehen. 

Taubenschwänzchen sind nachtaktive Wanderfalter. Sie stammen ursprünglich aus Südeuropa und waren hierzulande lange Jahre eher selten anzutreffen. Die Brummer aber überwinden mit Leichtigkeit bis 3000 Kilometer und erreichen dabei Spitzengeschwindigkeiten bis 80 km/h. Auf seinen Kreuzflügen müssen sie jedoch regelmässig Gärten und Balkonkisten anpeilen, um sich mit neuer Power zu versorgen. Klimawandel sei Dank besiedeln sie nun auch zusehends die Alpennordseite und überwintern hier sogar. Selbst auf Alpengletschern, auf Höhen bis 2500 Metern, wurden die Wichte gesichtet. Oder eben, in meinem Naturgarten.

Ein verlässlicher Pilot

Der deutsche Name von Macroglossum stellatarum leitet sich vom schwarz-weiss gezeichnete Hinterleib der Tiere ab. Dieser ähnelt dem Federschwanz einer Taube. Doch der Eindruck täuscht. Der Schmetterling trägt hintenrum keine Federn, sondern längliche Schuppen. Mit deren Hilfe kann er seine Luftreisen höchstpräzise steuern. Darauf ist das behaarte Wesen dringlich angewiesen.

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Denn es navigiert dermassen schnell durch die Blattreihen, dass seine Erkundungen jeden Moment ein böses Ende nehmen können. Stattdessen jetten Taubenschwänzchen zielsicher von Blüte zu Blüte. In fünf Minuten können Taubenschwänzchen über hundert davon abfuttern. Sie sind ausgesprochene Nimmersatte, was einen guten Grund hat. Ihr Schwirrflug verbrennt enorm viel Energie, umgerechnet rund 0,6 Gramm Nektar pro Stunde. Deshalb muss der Falter zusehen, dass seine Reservoirs stets gefüllt sind und er möglichst oft etwas zu futtern kriegt. Darüber hinaus würde im Stillstand seine Flugmuskulatur abkühlen und schneller schlapp machen. Also lieber hopp und fort.

Sie sehen, ich habe mich in den Flugzwerg arg verschossen – und mich mit Lust über seine Gewohnheiten kundig gemacht. Aus gutem Grund: Unser Zusammensein könnte durchaus länger dauern. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass Taubenschwänzchen in der Schweiz bald heimisch werden. Damit schwänzelt es in meinem Garten ein gutes Stück mehr. Denn Schwalbenschwänze fliegen ebenfalls durch mein Reich. Falls das Langschwanzschuppentier nachreisen will: Herzlich willkommen. Meine Gartentür steht auch für diese Spezies weit offen.

Der Gartenpöstler

Roland Grüter (61) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.

Beitrag vom 20.08.2022

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