Fluchtort Beete
In der Corona-Pandemie hat unser Autor seinen Garten noch mehr wertschätzen gelernt. Im Blütenmeer fand er Ablenkung, aber oft genug auch Zuversicht und Hoffnung. Anderen scheint es ähnlich zu ergehen.
Text: Roland Grüter
Dass es die Menschen in Krisenzeiten in die Natur zieht, wundert mich kein bisschen. Denn insbesondere, wenn uns das Leben fremd und bedrohlich scheint, schätzen wir vertraute und beständige Werte besonders. Sie vermitteln uns jene Sicherheit, die wir in Krisenzeiten missen. Denn auch wenn uns das Leben wie ein Tsunami vorkommt, die Sonne geht morgens auf und abends wieder unter. Und so sehr wir am Morgen zweifeln, die Natur foutiert sich darum und stimmt weiterhin eine Hymne auf das Leben an. Gerade im Frühling zeigt sich, welche Wunder sie damit bewirkt. Man sagt, die Zeit lasse über alles Gras wachsen. Ich meine: Die Natur ist darin weit geübter.
Diese Beharrlichkeit, die der Natur zugrunde liegt, hat etwas Beruhigendes und Tröstliches – weshalb es viele Menschen in Corona-Zeiten in den Hobbygarten zieht. Das Interesse daran ist offensichtlich gewachsen. Denn wie mir Samenzüchter berichteten, werden ihre Bestände seit der Pandemie regelmässig leergekauft. Und gewisse Gärtnereien nehmen Online-Bestellungen schon gar nicht mehr entgegen, weil sie zu wenig Pflanzen vorrätig haben oder es kaum schaffen, diese zeitgerecht auszuliefern. Kurzum: Das grüne Geschäft blüht, und die Liebe zur Natur lodert lichterloh.
Auch mir schenkt der Garten immer wieder Trost und Zuversicht. Den ersten schuf ich vor 40 Jahren. Damals sollte ein Haus abgerissen werden, im umliegenden Garten standen prächtige Stauden. Diese sollten allesamt plattgemacht werden. Also griffen meine damalige Nachbarin Heidi und ich zum Spaten. Wir gruben Pfingstrosen und Gräser aus, pflügten den Rasen vor unseren Parterre-Wohnungen um und bepflanzten die ausgehobenen Beete mit dem geretteten Grün. Damals stand ich mitten in der Sinnsuche, hatte keine Ahnung, wohin mich mein Leben führen sollte. Die Erfahrung, mit den Händen etwas Sinnvolles erschaffen zu haben, gab mir neue Power. Überdies kam ich dadurch zur Überzeugung, selbst ein scheinbar vorbestimmtes Elend in etwas Schönes umkehren zu können. Diese Erkenntnis trage ich noch immer durchs Leben.
Lernen im Kleinen
Ohne Zweifel: Der Garten hat mich vieles über das Leben und mich selber gelehrt. Geht es mir schlecht oder muss ich über etwas besonders intensiv nachdenken, greife ich regelmässig zur Hacke. In meinem Garten überstand ich schon manche Lebenskrise, denn darin lassen sich Kummer, Wut und Sorgen wunderbar verarbeiten (und manchmal auch vergraben). Vor allem langweilige Gartenpflichten – allen voran das Jäten! – wirken klärend. Irgendwann verliert man sich in der Monotonie, Denkkreise lösen sich auf, Probleme wiegen leichter. Im Idealfall fallen einem ohne jeglichen Krampf neue Einsichten zu. Buddhistische Mönche müssen deshalb am Anfang ihres Lehrwegs erst ewig lang Steine ordnen und dürfen erst später gewichtigere Aufgaben anpacken. Als Metapher dafür, dass Grosses meist im Kleinen anfängt.
Corona hat mich noch näher an das Stückchen Erde, das ich bearbeite, gebunden. Es war für mich Fitnessstudio und Psychotherapeut zugleich und hat mich regelmässig von all dem Elend abgelenkt, das wir alle seit Monaten erleiden müssen. Wenn immer die Nachrichten über die Corona-Misere, die Beschlüsse, die Zahlen der Erkrankten oder Toten aus meinem Radio plätscherten, zog es mich nach draussen in den Garten. Ich musste mich bloss auf die Liege setzen, die mitten in den Beeten steht, den Blick über das Grün schweifen lassen und schon rückte Corona in weite Ferne. Und die Isolation, die uns das blöde Virus aufzwingt, wird jeweils für ein paar Minuten zur grossen Freiheit. In freier Natur ist Staunen angesagt, nicht Hadern, Freude statt Frust.
Zur Person
Roland Grüter (60) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Sein erstes Reich hat er vor 40 Jahren aus Not angelegt – er wollte die Pflanzen aus dem Garten eines Hauses retten, das abgerissen wurde. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Eine Ecke ist darin für Gemüse reserviert. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.
- Von welchen Fluchtorten andere Menschen träumen, erfahren Sie in der Zeitlupe–Ausgabe 4/2021.