«Das Singen ist eine angstfreie Insel»
Vera Kaa feierte kürzlich ihren 60. Geburtstag. Ein Gespräch mit der Luzerner Sängerin über Partys zu Corona-Zeiten, ihre Sehnsucht nach Blumen und warum ihre Mutter ein Vorbild ist.
Von Claudia Herzog
Vera Kaa, ich gratuliere Ihnen verspätet herzlich zum 60. Geburtstag. Wie haben Sie diesen runden Geburtstag in Corona-Zeiten gefeiert?
Ich musste meine grosse Geburtstagsparty absagen und hatte keinerlei Erwartungen an diesen Tag. Und dann geschahen so viele wunderbare Dinge. So viele Freunde und meine Familie fanden einen Weg, um mir zu gratulieren und mit mir zu feiern. Meine Nachbarin backte mir einen Kuchen und stellte ihn vor die Haustür. Ein Freund schickte einen Blumenstrauss, der sicher nicht einfach aufzutreiben war.
Am Abend spielten meine zwei Söhne mir zu Ehren ein Garagenkonzert, unsere Nachbarn standen auf den Balkonen und sangen Happy Birthday. Es war der schönste Geburtstag meines Lebens. Auch weil sich an diesem Tag kein Gruss, keine Geste, kein Geschenk selbstverständlich, sondern besonders anfühlte. Dafür bin ich sehr dankbar.
60 Jahre Leben, 40 Jahre Bühnenpräsenz. Was machen diese Zahlen mit Ihnen?
Es sind sehr schön Zahlen. Die Jahre zwischen 55 und 60 waren schwer. Ich fühlte mich wie in einem Limbo, es war ein Leben in der Schwebe. Ich fragte mich, wer ich eigentlich bin und was ich vom Leben noch erwarte. Ich musste in dieser Zeit grosse Verluste verkraften, mein Vater, Freunde starben.
Diesen Februar kam plötzlich der Gedanke: Hey, ich werde 60! Schön! Ich gehe jetzt mit grossem Elan ins Alter, obwohl ich mich noch jung fühle. Bestimmt werde ich mich nicht nur in meiner Musik nochmals neu erfinden.
Das hört sich nach Aufbruch an…
Ja, es ist ein Aufbruch in eine neue Zeit. Ich weiss inzwischen sehr genau, wer ich bin, was ich will und was nicht. Jetzt fehlt nur noch das Feintuning. Ich betrachte beispielsweise mit Sorge, wie der öffentliche Ton – besonders auf den sozialen Medien – immer aggressiver wird. Dem will ich etwas entgegnen. Mit meiner Person, aber auch mit meiner Musik.
Ich bin stolz, dass ich mich als Sängerin nie für den vermeintlichen Erfolg verbogen habe. Ich war mir immer treu. Das äussert sich auch in der Entwicklung meiner Stimme; sie hat inzwischen mehr Tiefe. Die hohen Töne hingegen fallen mir nicht mehr so leicht. Doch der raue, unverwechselbare Mittelklang, den konnte ich bewahren.
In ihrem aktuellen Album «Längi Zit» geht es ums Loslassen, aber auch um das Heimkommen und ums In-sich-Ruhen. Das sind beste Voraussetzungen, um die aktuelle Corona-Krise zu überstehen. Kommt bei Ihnen in dieser Zeit auch etwas ins Wanken?
Es wird auch für mich immer wieder eng. Ich habe Angst, geliebte Menschen zu verlieren. Mein Partner ist 70 Jahre alt und arbeitet in einer Klinik, er arbeitet also sozusagen an der Front. Meine Mutter ist 88 Jahre alt. Das gerade lebensnotwendige Social Distancing macht mich fertig. Menschen brauchen Berührungen, im wortwörtlichen wie übertragenen Sinn.
Was hilft gegen die Angst?
Singen. Singen ist eine heile Insel, an die kommt die Angst nicht heran. Aber auch Demut hilft. Der Ausspruch «demütig werden» verwendete meine Grossmutter oft und hat für mich eine grosse Bedeutung.
Demütig sein heisst, dass man sich der Situation stellt, das Leben anschaut, wie es ist, und auch dankbar ist dafür. Wir haben auch jetzt in dieser aussergewöhnlichen Situation immer noch so viel. Wenn ich hingegen an die Flüchtlinge in den griechischen Lagern denke, dreht sich mir der Magen um.
Nach wem oder was haben Sie grad besonders «längi Zit»?
Ich vermisse Blumen! (lacht) Mein kleiner Garten bedeutet mir viel. Warum die Blumenläden und Gartencenter in der Krise nicht offenbleiben konnten, verstehe ich nicht wirklich. Blumen und Pflanzen täten uns doch gerade jetzt so gut.
Gibt es etwas Positives, das Sie aus der Corona-Krise ziehen?
Ich suche nicht erst seit der Krise die Stille. Und es ist eine passende Zeit, um darüber nachzudenken, was im Leben wirklich zählt. Ich vermisse das Shoppen überhaupt nicht. Wir alle geben so unnötig viel Geld für Luxus und für Schrott aus, den wir nicht brauchen. Ich wünsche mir, dass diesbezüglich ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden wird. Sorge bereitet mir der Umweltschutz. Ich hoffe, der geht jetzt bei all den wirtschaftlichen Massnahmen nicht als letzte Priorität unter.
Wir werden hoffentlich bald wieder in ein Stück Normalität entlassen. Was wird Sie weiter antreiben?
Die Liebe zur Musik. Die Liebe zum Leben. Ich muss laufen, immerzu laufen. Ich bin eine Läuferin, im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinn. Denn ich will im Leben beweglich bleiben. Meine 88-jährige Mutter ist mir ein grosses Vorbild. Sie ist immer noch offen, klar in ihrem Kopf und ihren Meinungen. Und liebevoll neugierig auf die Welt.
Seit 40 Jahren auf der Bühne
Seit Ende der Siebzigerjahre ist die aus Luzern stammende Wahlzürcherin eine der bekanntesten Musikerinnen der Schweiz. Bereits im Alter von vier Jahren sang Vera Kaa vor Publikum in der Pension Seeblick am Vierwaldstättersee. Mit 13 entdeckte sie die Songs von Janis Joplin und als 16-jährige machte sie als Sängerin der Jazz-Rock-Band «Pnö» von sich reden. 1985 löste Vera Kaa schliesslich die Band auf, weil sie gemäss eigener Aussage dem Druck des Erfolges «nicht standhalten konnte und wollte». 1991 folgte ihr erstes Soloalbum.