Am 8. November teilen wieder Tausende das Erlebnis des gemeinsamen Lesens und Vorlesens: Es ist Erzählnacht.
Kulturelle Visite
Zuhause, im Heim oder im Spital: Dank dem Verein «Kultur am Bettrand» sollen Menschen, die nicht mehr am kulturellen Leben teilhaben können, eine ganz private Darbietung geniessen.
Text: Annegret Honegger
Ein Tabourettli, eine Stimme, ein Instrument: Mehr braucht es nicht für ein Konzert. Keine Scheinwerfer und Verstärker und keinen grossen Saal – einfach eine Künstlerin oder ein Künstler und seine Musik, ihre Texte. Die Kulturschaffenden von «Kultur am Bettrand» treten im Schlaf- oder Wohnzimmer auf, im Heim oder im Spital.
Die Idee dahinter: Wer aus körperlichen, seelischen oder sozialen Gründen nicht mehr am kulturellen Leben teilhaben kann, bestellt die Kultur zu sich. Etwa nach einem Unfall, bei einer chronischen Krankheit, bei Demenz oder einer Krebs-Diagnose. Das Angebot im «Katalog» auf der Homepage reicht von der Jodlerin über den Jazz-Pianisten bis zum Rapper. Von Volksliedern über Arie und Chanson bis zum Popsong. Oder von der Märchenerzählerin bis zum Satiriker.
Dreissig Kulturschaffende hat die Initiantin, die aus Irland stammende Berner Singer-Songwriterin Shirley Grimes, angefragt: «Alle haben zugesagt.» Zugesagt, schwer Erkrankten Zeit, Worte und Klänge zu schenken, Momente des Genusses, Lichtblicke in dunklen Zeiten oder einfach «eine Verschnaufpause, in der nicht die Krankheit oder die Behinderung im Zentrum steht, sondern die Kunst».
Neben den Betroffenen, die oft über lange Zeit mit Schmerzen, Angst und Ungewissheit leben müssen, liegen Shirley Grimes und ihrem Team auch die Angehörigen am Herzen: «Auch für sie, die man oft vergisst, sollen Lieder und Texte ihre wohltuende Wirkung entfalten.»
In den dreissig bis vierzig Minuten ihres Auftritts spielen die auf die jeweilige Situation vorbereiteten Kulturschaffenden genau so, wie sie dies auch auf einer Bühne würden. Manchmal lacht oder plaudert man zusammen. Manchmal fliessen Tränen – auf beiden Seiten. Nicht selten ist dieses Konzert das letzte, das jemand erlebt.
Herausfordernd, aber auch ungemein inspirierend seien solche ganz privaten Auftritte, sagt Shirley Grimes: «Die Musik macht etwas mit uns und den Menschen, die zuhören.» Sie entführt auf eine Reise, die alle Beteiligten beglückt und bereichert.
Endgültig «Klick» gemacht für die Umsetzung ihrer langgehegten Idee habe es während der Corona-Zeit. Damals, so die Künstlerin, hätten viele Menschen gespürt, wie wichtig Nähe und Verbundenheit seien: «Für schwerkranke Menschen und ihre Angehörigen ist eine solche Isolation Alltag. Betroffene ziehen sich oft zurück und verzichten auf vieles.»
Fürs Publikum, das ist Shirley Grimes wichtig, sind die Auftritte gratis. Ebenso wichtig ist ihr, dass die Kulturschaffenden für ihre Darbietung bezahlt und damit wertgeschätzt werden. Der im Frühjahr in Bern gegründete Verein finanziert sich über Spenden und will bald auch in anderen Regionen aktiv werden. Denn, so Shirley Grimes‘ Fazit nach den ersten Monaten: «Es braucht uns überall.»
Kulturambettrand.ch: Mail connect@kulturambettrand.ch, Telefon 031 317 44 63 (Dienstag und Mittwoch 10 bis 12 Uhr).