«Die Schneiderin der Träume»
Das indische Liebesdrama erzählt leise und schön, aber ohne Bollywood-Kitsch, wie sich die grossen Gefühle zweier Menschen behutsam ihren Weg bahnen.
Text: Claudia Herzog
In Indien arbeiten rund 40 Millionen Menschen unter Bedingungen, die hart an Sklaverei grenzen. Die sogenannten «Maids» – Hausangestellte – sind mehrheitlich Frauen, die rund um die Uhr für wohlhabende indischen Familien schuften. Dabei werden sie von ihren Arbeitgebern oft wie Dreck behandelt: Diese Hausangestellten essen ausschliesslich Reste, sitzend auf dem Boden, auf dem sie auch schlafen. Es gilt ihren Herrschaften jeden Wunsch von den Augen abzulesen, dabei selbst aber so gut wie unsichtbar zu bleiben. Ihre Menschenwürde hat in den gläsernen Hochhäusern von Mumbai keinen angestammten Platz.
«Ich bin mit einer Hausangestellten aufgewachsen und fühlte mich deswegen lange schlecht. Ich wusste nicht, was ich tun kann, denn ich war Teil des Problems», sagt die indische Filmregisseurin Rohena Gera. In ihrem Spielfilmdebüt «Die Schneiderin der Träume» verarbeitet sie persönliche Erlebnisse, gewürzt mit den Zutaten einer klassischen Liebesgeschichte: Arm und Reich verlieben sich trotz rigiden indischen Klassen- und Kastensystem.
Witwe und Verschmähter
Die junge Witwe Ratna aus einem ländlichen Dorf arbeitet als Dienstmädchen für Ashwin, einem jungen Mann aus der Oberschicht von Mumbai. Ratna kam in die Stadt mit dem festen Willen sich ein besseres Leben zu erarbeiten und ihren unmöglich erscheinenden Traum zu verwirklichen, Mode-Designerin zu werden. Als Ashwins sorgfältig arrangierte Bilderbuch-Hochzeit aus fehlender Liebe platzt, scheint Ratna die Einzige zu sein, die Ashwins Melancholie sieht und diese auch versteht. Den gesellschaftlichen Unterschieden zum Trotz kommt sich das ungleiche Paar immer näher und entwickelt Gefühle füreinander. Ihre Anziehung ist in kleinen Gesten spürbar und in ihren Blicken, sodass diese die Luft regelrecht elektrisiert, auch wenn fast kein Wort zwischen Frau und Mann fällt.
Aber wird aus Ratna und Ashwin wirklich ein Liebespaar? Das ist die Frage, die man sich beim Schauen des Films die ganze Zeit stellt. Zwar wünscht man sich einen glücklichen Ausgang für die beiden, hofft aber gleichzeitig, dass nicht ein Happy End à la Bollywood die realistischen Bezüge des Films mit klebrigem Zuckerguss zerstört.
Liebe auf Augenhöhe
Es hätte bei diesem Film sehr viel schief gehen können. Die keusche Romanze bietet vordergründig viel Stoff für triefenden Kitsch und abgründige Klischees. Aber Rohena Gera schafft es, ihre Kritik an einer gesellschaftlich akzeptierten Form von Diskriminierung zwischen Arm und Reich, zwischen Frau und Mann unterhaltsam und federleicht – und trotzdem deutlich – zu formulieren. «Die Situation der Hausangestellten erinnert an die Rassentrennung der USA in den 1950er-Jahren, aber in Indien redet niemand darüber. Mit meinem Film will ich etwas bewegen und bewirken, dass sich die Menschen über dieses Thema unterhalten», sagte Rohena Gera in einem Interview am letztjährigen Zurich Film Festival.
Als Erwachsene ging Gera in die USA, um dort zu studieren. Immer, wenn sie nach Indien zurückkam, sei sie noch frustrierter gewesen, da sich nichts geändert hatte. Schliesslich kam ihr die Idee, das Problem mit einer Liebesgeschichte aufzugreifen: «In einer emotionalen Geschichte sind die Hauptfiguren auf Augenhöhe, ich kann das Thema auf eine interessante Weise ansprechen.» Das ist ihr gelungen. «Die Schneiderin der Träume» ist ein feinfühlig inszeniertes Plädoyer, mit charmanten Schauspielerinnen und Schauspielern, bittersüss, gleichberechtigt für Herz und Hirn.
«Die Schneiderin der Träume»
Ratna (Tillotama Shome) wurde mit 19 Jahren Witwe. Sie führt in Mumbai den Haushalt des reichen Junggesellen Ashwin (Vivek Gomber), träumt aber von einer Karriere als Modedesignerin. Als Ashwins Hochzeit ins Wasser fällt, kommen er und Ratna sich näher. Der Kosmopolit verschwendet nicht viel Gedanken an Standesdünkel. Doch die junge Frau vom Land weiss: Sie und «Sir» dürfen nicht miteinander glücklich werden.
Drehbuch und Regie: Rohena Gera
Sprachen: Deutsch/Hindu
Untertitel: Deutsch
95 Minuten
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