Zweisamkeit 6. April 2020
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder ist 69 Jahre alt. Als Angehörige der Risikogruppe erzählt sie aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von ungewohnter Nähe.
Keine Dating-Plattform der Welt hätte uns je miteinander verkuppelt: Mein Mann bleibt gern zu Hause, ich bin lieber unterwegs. Er kocht mit Leidenschaft, ich würde mir Fertigmahlzeiten aufwärmen. Er liebt Fussball, ich finde Sport langweilig. Er liest amerikanische Literatur, ich mag norddeutsche Krimis. Er hört Jazz, ich Opern. Er spielt mit Zahlen, ich mit Worten. Als Frühpensionierter geniesst er seine Hausmannsrolle, ich bin leidenschaftlich gern berufstätig. Trotzdem kutschieren wir schon mehr als dreissig Ehejahre zusammen – und das eigentlich ganz gut.
Drei Wochen – so lange dauerten jeweils unsere gemeinsamen jährlichen Ferien; meist abgelegen an einem norddeutschen Strand oder in einem südfranzösischen Weinberg. Danach freute vor allem ich mich wieder auf die Arbeit mit mehr Freiraum und Unabhängigkeit. Und jetzt das: Die vierte Woche beginnt, in der mein Mann und ich mit Hund und Katze trautes Heim geniessen könnten. Keine Besuche, keine Einladungen, keine Ausflüge, keine Wochenenden. Doch trotz Homeoffice am PC und kreativem Mann am Herd ist die ständige Nähe ungewohnt; die verordnete Zweisamkeit eine Herausforderung.
Dann nerven kleine Sachen: Dass er bei der Frühlingssonne tagsüber seine Socken auszieht und sie auf dem nächsten Stuhl liegen lässt. Dass er im Abwaschbecken das Sieb nicht spült und ich schliesslich Speisereste herauspulen muss. Er ärgert sich, wenn ich die langen Enden der Schnürsenkel nicht im Schuhinnern versorge – sie würden sich in der Staubsaugerbürste verheddern. Und er fragt zum tausendsten Mal, ob ich nicht endlich die Kaffeetasse leertrinken könne, damit beim Einräumen der Geschirrspülmaschine nicht zusätzlich noch der Küchenboden bekleckert werde.
Die aufgezwungene Zweisamkeit macht mir mehr zu schaffen als meinem Mann, der sie gelassen über sich ergehen lässt. Doch sein liebevoll zubereitetes Nachtessen – es gibt Oktopus mit Oliven-Sultaninen-Salsa und Reis mit Kardamom und Nelken –, und dazu das abendliche Glas Rotwein, bringen ins Lot, was tagsüber weniger rund lief. Gemeinsam schauen wir den Tatort – eine der wenigen Fernsehsendungen, die wir beide mögen. Während der dunklen Nächte in dieser schwierigen Zeit bleibt die Schiebetür zwischen unseren Schlafzimmern offen: Sein Schnarchen gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit. Ich bin nicht allein.
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