Weihnachtswunder 21. Dezember 2020
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von einem immer kürzer werdenden Spitalaufenthalt.
Mein Mann ist im Spital. Ein kniffliger Eingriff, aber nicht lebensbedrohend, beruhigt der Gefässchirurg. Allerdings müsse er mit einem zweiwöchigen Spitalaufenthalt rechnen, im besten Fall mit zehn Tagen. Wir zählen: Er wird an einem der Weihnachtstage oder kurz vor Silvester heimkommen. Am Vortag der Operation fahre ich ihn ins Spital. Er lässt den Kopf hängen. Am Abend gehe ich noch einmal zu ihm: «Es ist 1 Besucher pro Tag für maximal 1 Stunde pro Patient gestattet», steht zuoberst auf dem Merkblatt mit dem Titel «Besucher- und Hygieneregelung», das ich zuvor bekommen habe.
Der Empfangsbereich ist leer, die Cafeteria geschlossen. Weder Zeitungen noch Magazine liegen auf, dafür ein Ständer mit Desinfektionsmittel und eine Schachtel mit Masken. Ich begegne niemandem, als ich in den ersten Stock husche. Im Zimmer ist es stickig, am liebsten möchte ich die Fenster aufreissen und die kühle Abendluft hereinlassen. Der Vorhang zwischen den Betten ist vorgezogen, wegen Corona muss er es auch bleiben. Mein Mann zieht die Maske über, wir gehen hinunter und setzen uns neben dem Eingang an einen Tisch. Ein Schild weist auf die Abstandsregel hin: Maximal zwei Personen, versetztes Sitzen. Gedrückte Stimmung in einer deprimierenden Umgebung.
Die Operation verläuft gut. Am Telefon tönt mein Mann schon ganz wacker. Am nächsten Tag seufzt er: alle Besuche seien wegen Corona ab sofort verboten. Tags darauf telefoniert er, er werde am Montag entlassen. Nach weiteren 24 Stunden: Er dürfe schon am Sonntag heim. Ein Weihnachtswunder? Der Arzt lacht: Er sage mit Absicht eine längere Spitaldauer voraus, damit man sich über einen kürzeren Aufenthalt freue. Und auch mit der Krankenkasse gebe es so weniger Probleme. Aber vor allem: Der Eingriff sei rundum geglückt, die Wundheilung perfekt und schonen könne sich mein Mann auch zu Hause.
Ich steige auf den Estrich und hole die Schachtel mit dem Christbaumschmuck herunter. Beim jungen Bauern nebenan kaufe ich ein Tännchen, in der Landi erstehe ich einen Ständer dafür. Seit Jahrzehnten – seit die Kinder ausgezogen sind – haben wir keinen Baum mehr gehabt. Die roten Kugeln und silbernen Girlanden, die kleinen und grösseren Figürchen habe ich nur aus nostalgischen Gründen noch aufbewahrt. Jetzt bin ich dankbar, gibt es bei uns keine Spitalweihnacht. Zu zweit werden wir an Heiligabend vor dem geschmückten Bäumchen sitzen: doch ein kleines Weihnachtswunder.
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