Restaurantbesuche 18. Mai 2020
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder ist 69 Jahre alt. Als Angehörige der Risikogruppe erzählt sie jeden Montag aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Desinfektionsmitteln, Speisekarten und Masken.
Unser Patensohn ist Koch mit eigenem Restaurant. Da ist es Ehrensache, dass wir gleich am ersten Tag nach der Wiedereröffnung hingehen. Der junge Koch gibt sein Bestes und das Essen ist grossartig. Als Vorspeise wird karamellisierter Ziegenkäse mit Dörrfrüchten und Wildkräutern serviert, zum Hauptgang gibt es ein Lachsforellenfilet an Weissweinschaum und dazu ein Spargelrisotto. Nach acht Wochen Restaurant-Abstinenz soll zur Feier des Tages auch das Dessert nicht fehlen: Zitronenmousse mit Waldmeister und Granola.
Beim Eingang brennen wie immer weisse Kerzen; daneben steht in einer hohen Glasvase der traditionelle Feldblumenstrauss. Doch die Stimmung ist eine andere. Eine grosse Flasche arrangiert auf einem Tischchen lädt zum Hände desinfizieren ein. Eine Serviceangestellte mit blauer Gesichtsmaske empfängt uns bereits unter der Tür und führt uns mit gebührendem Abstand zum reservierten Tisch. Die Jacken sollen wir doch bitte über die eigene Stuhllehne hängen. Die Speisekarte ist laminiert, die Wein- und Wasserflasche werden zum selber Einschenken auf den Tisch gestellt. Einzelne Tische sind aus dem Raum entfernt worden, zwischen anderen stehen Holzwände.
Die Kommunikation findet mit zwei schönen braunen Augen statt, die über der Maske blinzeln. Die Worte dahinter sind nicht immer verständlich und die braune Holzwand trägt kaum zur gewohnten Gemütlichkeit bei. Doch die Freude über ein kleines Stück wiedergewonnene Normalität und das feine Essen überwiegt. Als unser Patensohn an unseren Tisch tritt – ohne Maske – gehen Abstands- und Hygieneregeln fast vergessen: Es ist schwierig, Wiedersehensfreude und Unterstützung statt mit einer Umarmung und einem Händedruck mit auferlegter Distanz zu zeigen.
In der gleichen Woche hat mein Mann Geburtstag. Wie jedes Jahr besuchen wir sein Lieblingslokal. Das diskret hingestellte Desinfektionsmittel beim Eingang übersehen wir. Der Wirt begrüsst uns mit einem herzlichen Lächeln und nimmt uns die Jacken ab. Jeder zweite Tisch ist mit einem ausladenden Blumengesteck besetzt. Wir blättern in der Speisekarte und lassen uns Wein und Wasser einschenken. Das typische Restaurant-Stimmengemurmel verbreitet eine gemütliche Stimmung. Wir reiben uns die Augen: zwei Restaurants, zwei Mal köstliches Essen, zweierlei Schutzmassnahmen.
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