
Ostererfahrung 23. April 2025
Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: vom österlichen Grundgefühl.
Die Ostertage sind vorbei. Das Fest mit meinen Geschwistern und ihren Familien war ein fröhliches, angeregtes Zusammensein. Die grosse Kleine hatte die überall im Garten verstreuten Eier gefunden. Meine Tochter aus Marokko war da. Der Kleinste der Sippe, der Enkel meines Bruders, unterhielt die Tischrunde mit seinen lustigen Wortkreationen. Mein Mann hatte für alle ein kreolisches Buffet gekocht. Am Abend war er zwar müde, aber glücklich: «Endlich wieder einmal ein grosser Tisch voller Leute!» So hatte er es als Kind im Kreis seiner grossen Verwandtschaft erlebt.
Eiersuche und Schoggihasen, Familienfeste mit Gitzibraten oder Osterlamm: Solche Traditionen sind den meisten Menschen heutzutage näher als die Auferstehung von Jesus, wie sie in der Bibel überliefert ist. Das bestätigt in einem Interview im «Bund» von Mitte April auch Thomas Wild, Geschäftsleiter der Seelsorge-Weiterbildungen an der Uni Bern: «Die meisten freuen sich einfach über ein paar freie Tage.» Trotzdem ist der Theologe überzeugt, dass die Bedeutung von Ostern tief im Menschsein verankert ist: «Viele Menschen folgen keinem institutionellen Glauben mehr, aber sie spüren: In den tiefsten Krisen öffnen sich wieder Türen. Das ist ein österliches Grundgefühl.»
Ich folge der Einladung der Gemeinde zur Feier des Ostermorgens in der noch dunklen Kirche. Ich setze mich auf einen der Stühle, die im Chorraum rund um den Taufstein angeordnet sind. Auf dem Boden davor ist Astholz zu einem Kreuz arrangiert. Vier Kerzen brennen – je an den Enden von Längs- und Querbalken. Sie vermögen den Raum nicht zu erhellen. Nach ein paar Minuten der Stille erklingt der warme Ton einer Bratsche, die Orgel setzt ein, Musik erfüllt die Dunkelheit und steigert sich von der Karfreitagstrauer zur Osterfreude. Dann begrüsst der Pfarrer die rund zwei Dutzend Männer, Frauen und Kinder, die den Weg in die Dorfkirche gefunden haben.
Er weist auf das Karfreitagskreuz am Boden. Es symbolisiert Angst, Tod und Trauer – Erfahrungen, wie sie zu jedem Menschenleben gehören. Mit dem Holz gehen wir vor die Kirche und schichten es zum Osterfeuer auf. Es knistert, und Funken sprühen in die vergehende Nacht. Der Pfarrer redet von der Wandlungskraft des Feuers, und dass nicht die Hoffnungslosigkeit des Karfreitags das letzte Wort hat. Eine einfache Melodie wird angestimmt: «I üser Dunkelheit, zünd du doch dis Füür a, wo nie meh usgeit…» Am Horizont dämmert der neue Tag. Das jüngste der anwesenden Kinder darf die grosse Osterkerze anzünden und zum Glockengeläut mit dem Pfarrer in die Kirche hineintragen.
Dort sind inzwischen mit Gräsern verzierte und in Zwiebelschale gefärbte Eier ausgelegt – als Symbol des Aufbruchs und der Lebensfreude. Denn das sei die Botschaft von Ostern: Die Hoffnung, dass nach jedem Karfreitag wieder ein Ostersonntag kommt. Das Vertrauen, dass auch aus dem grössten Leid etwas Neues entstehen kann.
- Wie feiern Sie Ostern? Gehört ein Kirchenbesuch noch dazu? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon berichten oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
- Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»


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