
Lob und Dank dem Notfallteam 28. Juli 2025
Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von einem Hornissenstich und seinen Folgen.
Wir sitzen beim Mittagessen auf der Laube und geniessen einen sommerlichen Tomaten-Mozzarella-Salat, als eine Hornisse von einem Dachbalken herunter auf den Tisch fällt. Ich habe keine Angst vor diesen gelb-schwarz gefärbten Tierchen. Doch die Hornisse streift meinen Arm und sticht zu – einfach so. Der Arm brennt, wird schnell rot, es beginnt mich überall zu jucken, und mein Hals schwillt zu. Ich werweisse noch, ob ich der Hausärztin telefonieren soll. Doch mein Mann beschliesst, dass wir sofort in den Notfall fahren.
Während er das Gaspedal durchdrückt und mit mir ins wenige Autominuten entfernte Spital Riggisberg hoch rast, schaffe ich es noch, uns anzumelden: Ich käme mit einem Hornissenstich … Eine ferne Stimme beruhigt mich: Keine Angst, die nötigen Medikamente würden inzwischen parat gemacht. Mein Hals fühlt sich zu diesem Zeitpunkt wie ein Zementblock an, und mit aller Vorstellungskraft versuche ich, den Atem darum herum zu lenken. Jetzt bloss keine Panik neben meinem Mann am Steuer! Dass sich mein Körper über und über mit roten Quaddeln bedeckt, merke ich nicht. Im Notfall angekommen, werde ich auf eine Liege gebettet und bekomme eine Infusion gesteckt. Bald spüre ich, dass mein Hals nicht weiter zuschwillt.
Dann lässt man meinen Mann zu mir, und das Schlimmste scheint überstanden. Ich dämmere leise vor mich hin, als sich urplötzlich Hektik breitmacht. Ich höre Worte wie «Rettungsdienst», «anaphylaktischer Schock», und «Adrenalin». Der kleine Raum füllt sich mit Pflegenden und Sanitätern. Anweisungen werden erteilt, man zerrt an meinen Kleidern, ich spüre Spritzen im Oberschenkel und am Fuss und eine Maske über dem Gesicht. «Emergency Room Live» hätte er erlebt, meint mein Mann später. Ich höre alles und hätte gern gesagt, es gehe mir gut. Doch ich bringe kaum einen Ton über die Lippen.
Ich habe keine Schmerzen und keine Angst. Ich sehe auch keinen überirdischen Blumengarten und höre keine Engelsmusik. Stattdessen blicke ich hinter meinen geschlossenen Augen auf einen schwarzen Bildschirm, durch den sich ein weisser Lichtstreifen zieht. Ich bin mir sicher: Solange ich mich an diesem Licht festhalte – der Streifen wird manchmal breiter, dann wieder schmaler – sterbe ich nicht. Gleichzeitig spüre ich eine gewisse Neugier: Ist das Schwarz das gnädige Nichts, in das ich bei meinem Tod eingehe? Oder nur der Vorhang zu einem weiteren Spektakel in einer anderen Dimension?
Unaufgeregte Gedanken plätschern durch meinen Kopf: Jetzt würde ich vielleicht noch vor meinem fernen Herzensfreund mit seinem Alzheimer sterben. Ich spüre Bedauern, dass ich die bevorstehenden Ferientage zum 50. Geburtstag meiner Tochter in unserem Lieblingshotel im nahen Deutschland eventuell nicht mehr erleben werde. Ich ertappe mich dabei, dass ich denke: So banal an einem Insektenstich möchte ich eigentlich nicht sterben. Die unnötigste aller unerledigten Aufgaben kommt mir in den Sinn: Ich habe meine alten Tagebücher und Liebesbriefe immer noch nicht entsorgt.
Irgendwann höre ich das Wörtchen «stabil». Mein Mann nimmt meine Hand.
Erst in der Nacht, als ich mit einer Infusion im Arm und mit einem Monitor verkabelt auf der Überwachungsstation liege und schlaflos den regelmässigen Schlägen der nahen Kirchturmuhr lausche, realisiere ich mein grosses Glück: Ich lebe! Eine Welle der Dankbarkeit durchflutet mich – Dankbarkeit gegenüber dem Schicksal, das mir noch ein bisschen Zeit zugesteht. Vor allem aber Dankbarkeit gegenüber diesem kompetenten Notfallteam in unserem kleinen Landspital. Ich würde keines der Gesichter auf der Strasse erkennen, und trotzdem bleiben sie einmalig und einzigartig in meiner Erinnerung. Fast geniere ich mich, ihnen am nächsten Tag eine Dankes-Schoggi vorbeizubringen. Sie haben so viel mehr verdient als eine süsse Kleinigkeit zum Znüni.
Übrigens: Im November 2021 hat das Schweizer Stimmvolk mit über sechzig Prozent Ja-Stimmen die Pflegeinitiative angenommen, die dem Pflegepersonal bessere Arbeitsbedingungen verspricht. Doch mit der Umsetzung hapert es. Noch immer verlassen jeden Monat schweizweit gegen dreihundert Pflegefachpersonen ihren angestammten Beruf. Dabei geht ohne engagierte Fachleute nichts. Auch nicht auf dem Notfall eines kleinen Landspitals.
- Befanden Sie sich auch schon einmal zwischen Leben und Tod? Erinnern Sie sich daran? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon berichten oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
- Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»


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