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Kraftquellen 17. April 2020

Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder ist 69 Jahre alt. Als Angehörige der Risikogruppe erzählt sie aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Charakterstärken und Dankbarkeit. 

Ich führe für die Zeitlupe ein Interview mit der Psychologin und Altersforscherin Pasqualina Perrig-Chiello – natürlich am Telefon. Es geht um die strengen Massnahmen des Bundesrats und welche Folgen sie vor allem für die älteren Menschen haben. Was mithelfen könne, gut über diese Wochen zu kommen? frage ich. Sich auf die eigenen Charakterstärken zu besinnen. Diese seien Kraftquellen, auf die man in schwierigen Zeiten zurückgreifen könne», sagt die Fachfrau und zählt auf: Dankbarkeit, Hoffnung, Neugier, Humor, Nachsicht, Weitsicht, Geduld, Zuversicht, Freude, Freundlichkeit, Mut. 

Meine Gesprächspartnerin verweist auf die Website der Positiven Psychologie – ein Begriff, den ich zuerst googeln muss. Die Seite biete auch einen wissenschaftlich fundierten Test der Universität Zürich an, der einem die eigenen Charakterstärken auflisten würde. Natürlich nimmt es mich wunder, welche Stärken ich zurzeit nutzen und welche ich entwickeln könnte. Ich logge mich ein und beantworte 264 Fragen kreuz und quer zu meiner Haltung in verschiedenen Lebensbereichen und Situationen. Schliesslich drucke ich das Resultat aus.

Zuoberst auf meiner Liste stehen Begeisterungsfähigkeit und Mut. Stimmt. Eigentlich freue ich mich auf jeden neuen Tag und kneife nicht, wenn das Schicksal etwas gar hart zuschlägt. Nur wenige Prozentpunkte ganz am Schluss der Liste bekomme ich für Interesse an Schönheit und Leistung sowie für Selbstdisziplin. Stimmt auch. Fragen zu Kunst und Museumsbesuchen habe ich ohne grosse Begeisterung beantwortet, und unumwunden habe ich zugegeben, dass ich Kuchen und Schokolade kaum widerstehen kann. 

Charakterstärken könne man trainieren, sagt Pasqualina Perrig-Chiello. Zum Beispiel «Dankbarkeit»: «Versuchen Sie, jeden Tag mindestens zwanzig Mal für etwas zu danken.» Ich versuche es. Ich bin dankbar für den schönen Tag, das feine Essen, die Siesta im bequemen Liegestuhl, die schnurrende Katze auf meinem Bauch, die vergnügte Kleine im unteren Garten. Ich bin dankbar für die Lockerungen des Bundesrats, dankbar für den Schlummertrunk, dankbar für eine ruhige Nacht. Vom Bett aus sehe ich durch das Dachfenster direkt in den Nachthimmel und danke für diesen überwältigenden Anblick. Und ich bin dankbar für das Vertrauen: Es kommt gut.

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Beitrag vom 17.04.2020
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin

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