Hut ab! 14. Dezember 2020
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Pressekonferenzen, Föderalismus und guten Wünschen zum neuen Jahr.
Ich frage mich, wie sie das schafft. Sie hebt weder die Stimme noch fuchtelt sie mit den Armen, sie wirkt weder aggressiv noch depressiv. Mit bewundernswerter Contenance ergreift Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga auch an der Pressekonferenz vom 11. Dezember das Wort: «Die Corona-Ansteckungen nehmen zu, und zwar rasch und stark. Und das praktisch in allen Regionen unseres Landes…» Ihr zur Seite ihre beiden Kollegen, Alain Berset mit silberner, Ueli Maurer mit einer dunklen Krawatte. Nach einer Woche Corona-Kakophonie verkünden sie einheitliche Massnahmen für das ganze Land.
Sie reden in ihre Mikrofone, unaufgeregt und höchstens hin und wieder die Stirne runzelnd. Immer noch sehen sie weder besonders zerknittert noch erschöpft aus. Und wesentlich älter scheinen sie in der Krise auch nicht geworden zu sein. Dabei: Was müssen sie sich schon seit Wochen und Monaten alles anhören! Was auch immer sie beschliessen, sagen und tun – aus irgendeiner Ecke weht ihnen jedes Mal Misstrauen und Empörung entgegen. Auch Medien verwechseln kritisches Hinterfragen allzu oft mit hässlichem Demontieren. Dazu die Besserwisserei des «kleinen Mannes» – man lese nur die Kommentarspalten in Zeitungen und Internet.
Es kann ja wohl kaum Machthunger sein, der sie auf ihrem Posten ausharren lässt. Auch nicht das Geld – da wären sie in der Privatwirtschaft besser bedient. Ist es der bundesrätliche Eid oder das Gelübde, mit dem sie sich verpflichten, ihr Amt gewissenhaft zu erfüllen? Ich bin jedenfalls froh, dass es überhaupt Menschen gibt, die auch unter diesen widrigen Umständen die Verantwortung übernehmen – nicht nur für sich, sondern für das ganze Land. Und die damit leben können, dass schweizweit gemäkelt wird: Für die einen kommen die Massnahmen zu früh und für die anderen zu spät, sie sind entweder zu leger oder zu einschneidend – nur richtig sind sie nie.
Das Gesundheitssystem soll nicht überlastet werden – deshalb die Massnahmen. Gelingt das nicht, sei auch der Familienvater mit dem Herzinfarkt oder die Skifahrerin mit einem offenen Beinbruch gefährdet. Angesichts dieser Milchbüchleinrechnung kann ich getrost auf das traditionelle Fondue Chinoise im Familienkreis und die Päckliflut unter dem Tannenbaum verzichten. Die nächste Weihnacht kommt bestimmt! Bis dahin wünsche ich unserer Landesregierung genügend Rhythmusgefühl beim Tanz um das goldene Föderalismus-Kalb und eine dicke Elefantenhaut.
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