Exodus 9. Oktober 2023
Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: vom zarten Pflänzchen namens Frieden und den weissen Federn namens Hoffnung.
Ferienzeit ist Lesezeit. Da ich mir für die Pensionierung vorgenommen habe, meine alten Bücher wieder zu lesen, packte ich für die drei Wochen in der Bretagne ein möglichst dickes Buch ein: «Exodus» von Leon Uris, 637 Seiten kleinste Schrift. Als Teenagerin hatte ich es verschlungen und erschüttert und atemlos mit den jüdischen Flüchtlingen gelitten, die 1947 auf dem Schiff Exodus Palästina zu erreichen versuchten. Auch jetzt schlug es mich wieder in seinen Bann. Vielleicht, weil ich vor einem Jahr selber in Israel und Palästina unterwegs gewesen war.
Bei allem Lesen verstand ich auch diesmal die Sehnsucht des jüdischen Volkes nach einem eigenen Staat. Verstreut und verfolgt in aller Welt, wollte es nach der Schreckensherrschaft der Nazis zurückkehren ins Land seiner Väter, ins Gelobte Land der Bibel. Als sich am 14. Mai 1948 die letzten britischen Streitkräfte aus Palästina zurückzogen, verlas David Ben Gurion die israelische Unabhängigkeitserklärung. Noch in der Gründungsnacht erklärten verschiedene arabische Länder dem jungen Staat den Krieg. Leon Uris’ Romanhelden wirbeln durch die Geschichte, sie lieben und trauern, sterben und kämpfen für ihr Land. Ich staune, wie leicht sich das Buch auch heute noch lesen lässt.
Das 1958 erschiene Werk des jüdisch-amerikanischen Autors bemüht zwar sämtliche Klischees über Juden und Araber, und Leon Uris lässt keinen Zweifel aufkommen, wo seine Sympathien liegen. Trotzdem endet der vierte Teil des Buchs mit einer nachdenklichen Passage: «Zu den Folgen des Freiheitskrieges gehörte eine der meist diskutierten und strittigsten Fragen des Jahrhunderts: das arabische Flüchtlingsproblem.» Der Freiheitskrieg des jüdischen Volkes endete für die palästinensische Bevölkerung mit der «Nakba», der Katastrophe: Rund 700’000 arabische Palästinenser wurden aus ihrem Land vertrieben. Viele ihrer Nachkommen leben heute im von Israel besetzten Westjordanland und dem Gazastreifen. Frieden gab und gibt es keinen.
Ich denke an die Begegnungen letztes Jahr zurück. An die jungen Israeli und Palästinenser von «Friends of Roots» zum Beispiel, die versuchen, ihren Alltag miteinander zu teilen. Solche Friedensbemühungen seien wie zarte Pflänzchen, die es zu pflegen gelte, damit sie grösser und stärker würden, hatte unsere Reiseleiterin damals gesagt. Ich denke an Bruder Olivier in seinem Kloster, der für «Hoffnung trotz Perspektivelosigkeit» plädiert. In einem Gedicht schreibt die amerikanische Dichterin Emily Dickinson: «Die Hoffnung ist das Ding mit den Federn, das sich in der Seele niedergelassen hat.»
Ich weiss nur nicht, wie ein zartes Pflänzchen namens Frieden und ein weisses Ding mit Federn namens Hoffnung im aktuellen Bombenhagel und Blutbad überleben wollen. Dabei wünsche ich es mir so sehr.
- Welche Hoffnungen hegen Sie für Israel und Palästina? Und wie halten Sie es mit der Hoffnung trotz Perspektivelosigkeit? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon erzählen oder die Kolumne mit anderen teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
- Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»
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