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Andere Zeiten 02. Juni 2025

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von gestylten jungen Leuten und einer Konfirmationspredigt.

Wir sind nach mehr als zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder an eine Konfirmation eingeladen. Wir trudeln zu früh bei der Kirche ein, gerade werden die Konfirmandinnen und Konfirmanden von einer Fotografin zum Gruppenbild organisiert. Ich traue meinen Augen nicht: Die Mädchen in eng anliegenden, bodenlangen Kleidern, mit Spaghettiträgern oder schulterfrei, paillettenbesetzt und mit Stickereien verziert. Die Jungen tragen einen Anzug oder zumindest eine Hose mit dazu passender Weste, ein Gilet, eine Krawatte oder eine Fliege. Die Haare sind in Locken gelegt, frisiert, gegelt. Ich suche unter den gestylten jungen Menschen «unseren» Konfirmanden: Ich erkenne ihn nicht. Sind das die jungen Leute von heute?

Der Einzug in die Kirche ist das genaue Gegenteil: Aus den Lautsprechern erklingt laute Popmusik, und eine Rauchpetarde vernebelt den Kirchenraum. Als Thema haben die Konfirmandinnen und Konfirmanden die Geschichte von der Speisung der Fünftausend gewählt. In einem kurzen Theaterstück führen sie auf, wie die Jünger versuchen, Essen für so viele Menschen zu beschaffen: Philippus, der rechnet, wie weit zweihundert Silberstücke reichen würden. Andreas, der den kleinen Jungen mit seinen fünf Gerstenbroten und den zwei Fischen findet.

Daran knüpft die anschliessende Predigt an. Der Pfarrer öffnet eine Flasche Cola, klaubt zwei Mentos aus dem Papier – ich muss bei meiner jungen Banknachbarin nachfragen, was das ist – und gibt die beiden Pfefferminzbonbons in die Flasche. Die Jungen lachen, sie wissen bereits, was folgt: Eine braune Fontäne spritzt aus der Cola-Flasche. Manchmal brauche es nur wenig, sagt der Pfarrer, um Grosses zu bewirken. Wichtig sei, dass jeder und jede – wie in der Geschichte die Jünger Philippus und Andreas – bei der Suche nach Lösungen mithelfe. Und alle ihren Beitrag leisten. Vielleicht könne gerade daraus etwas Neues, vielleicht sogar ein Wunder, geschehen! Mir gefällt die Predigt. Allzu oft ertappe ich mich dabei, wie ich für unsere kranke Welt einfach keine Lösung mehr sehe.

Jeder Konfirmand und jede Konfirmandin hat sich ein Bild und einen Konfirmationsspruch ausgewählt. Diese werden an die Wand projiziert, dazu legen die jungen Menschen ihr Glaubensbekenntnis ab. Ich staune, wie selbstverständlich und ungezwungen sie sich ausdrücken. Von «Ich habe Gott nicht gefunden» bis «Ich glaube, dass er mein ständiger Begleiter ist» ist alles zu hören. Zum Schluss legt ihnen der Pfarrer die Hand auf die Schulter – er habe vorher gefragt, sagt «unser» Konfirmand beim Mittagessen – und gibt ihnen den Segen mit auf den Weg. Vor der Kirche werden bunte Ballons verteilt. «Zehn, neun, acht…» zählen alle gemeinsam rückwärts, dann steigen die Ballons himmelwärts. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden lassen ihren Pfarrer hochleben und stemmen ihn in die Höhe. Sie nennen ihn «Fippu».

Ich denke an meine Jugendzeit zurück, an meine Erste Kommunion und die Firmung. Anders als mit «Herr Pfarrer» hätten wir unseren Pfarrer niemals angesprochen. Wir wussten auch, was wir zu glauben hatten, und daran wurde nicht gezweifelt. Der Pfarrer musste uns nicht um Erlaubnis fragen, wenn er uns segnete: Dann legte er einfach seine dicke Hand auf unseren Kopf, und zeichnete mit dem Daumen das Kreuzzeichen auf unsere Stirn. Die Kommunion erforderte höchste Zungenakrobatik, weil ich neben der Hostie nicht auch noch den Finger des Pfarrers in meinem Mund spüren wollte. Ach, diese alten Zeiten. Ich bin froh, sind sie vorbei. Dann tausendmal lieber Mentos und Cola!


  • Wie denken Sie über die Kirche von damals und heute, über die moderne Umsetzung von kirchlichen Traditionen? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns Ihre Meinung schreiben oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
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Beitrag vom 02.06.2025
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin
© Jessica Prinz

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