Abschiedsmonat 22. Februar 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von überraschenden Jodelklängen, Trauer und Dankbarkeit.
Für meine schwedische Musikerfreundin in Wien und mich ist der Februar ein Abschiedsmonat. Unsere Eltern starben zwar in verschiedenen Jahren, aber alle zwischen dem 13. und dem 25. Februar. Sie waren ein Leben lang miteinander verbunden, später ist ihre Freundschaft auf uns übergegangen. Zum Todestag meiner Mama schickt mir meine Freundin eine Mail. Vor zwei Tagen habe sie alte Audiokassetten digitalisiert und sei dabei auf Aufnahmen von 1972 gestossen, als meine Eltern wieder einmal ihre schwedischen Freunde in Stockholm besucht hatten.
Ich öffne die Datei «Jodeln und Spass mit den Schweizer Freunden». Die Stimme meiner Mama tönt aus dem PC, so nah, so lebendig und so frisch: «Müottär, äs sind Büobu daa, well’ wer schi ächt icha laa …» Dann folgt der Jodel, trillert sich in die Höhe, die Töne purzeln mir entgegen, überschlagen sich blitzschnell – so wie es das Walliser Jodellied vorsieht. Unverkennbar meine Mama, wie sie ihr Leben lang und noch an ihrer eisernen Hochzeit kurz vor ihrem Tod gejodelt hat. Erst im Alter ist ihre Stimme brüchiger und leiser geworden.
Auch an meinem Hochzeitsfest hat sie dieses Lied gejodelt: «Ja, Müottär, wie hesches de du gmacht? Nah dum Tag chunnt doch oi d Nacht…», dabei schelmisch in die Runde geblickt und mir zugezwinkert. Plötzlich spüre ich, wie meine Augen feucht werden. Eine Träne rollt über meine Wange. Jetzt nur nicht hinter mich schauen, wo mein Mann steht und sich über den Jodel seiner Schwiegermutter freut. Er würde «E-e» sagen und mir etwas hilflos den Nacken streicheln. Seine Eltern sind schon seit Jahrzehnten tot, schon so unendlich weit weg.
Wehmut, Trauer und Sehnsucht überkommen mich. Ich gehe nie auf den Friedhof – aber vielleicht heute? Vor einem Jahr ist mein Papa gestorben. Die Erinnerungen an die letzten intensiven Tage sind noch so lebendig. Während ich hin und her überlege, kommt die Kleine zur Tür herein. An der Gürbe habe sie einen Asthaufen gesehen, da möchte sie Weidenzweige für ihr Gärtchen schneiden. «Mama und Papa haben keine Zeit. Kommst du mit? Bittebitte.» Natürlich gehe ich mit. Wir packen Proviant, Obstschere und Leine in ihren kleinen Rucksack und machen uns samt Hund auf den Weg.
Zwei Stunden verweilen wir am Wasser. Die Kleine schneidet ihre Weidenzweige, hüpft mit dem Hund auf den Steinen herum und baut einen Staudamm. Ich sitze auf der Bank in der Sonne und hänge meinen Gedanken nach. Man könne nicht dankbar und traurig gleichzeitig sein, hat mir einmal eine Zeitlupe-Gesprächspartnerin gesagt. Aber nacheinander, das kann man. Das spüre ich.
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