So schön können Videospiele sein
Das Schweizer Game «Far: Changing Tides» besticht nicht nur mit kniffligen Rätseln, sondern auch mit kunstvollen melancholischen Bildern.
Von Marc Bodmer
Die für viele Computerspiele übliche Hektik fehlt in «Far: Changing Tides». Klar gibt es hin und wieder Momente, in denen man etwas schneller reagieren muss. Im Vordergrund dieses hervorragenden Games des Schweizer Studios Okomotive stehen Atmosphäre und Rätsel, die es allerdings in sich haben.
Die verblassten Werbegrafiken an den ausgewaschen pastellfarbenen Gebäuden erinnern an die Zwanzigerjahre. Doch die guten Zeiten sind längst vorbei. Alles steht unter Wasser, das im Sonnenlicht dunkel schimmert. Da und dort ragen ein paar Häuserruinen und Dächer heraus. Keine Menschenseele ist zu sehen. Nur ein kleiner Junge, der aus dem Nichts in die Tiefen des omnipräsenten Wassers geplumpst ist.
Toe, so heisst der Bub, ist ein begnadeter Schwimmer und Taucher. Doch immer wieder stellen sich ihm Hindernisse in den Weg. Der kleine Kerl bewegt sich vom linken zum rechten Bildschirmrand im bekannten Side-Scrawling-Stil. Auf dieser spielerischen Ebene gilt es, die Rätsel zu lösen, die Toes Fortschritt stören. Es wird auch nicht einfacher für ihn, als er ein so eigenartiges wie riesiges Schiff besteigt und dessen Segel setzt.
Verdientes Lob für die Fortsetzung
Wie schon bei «Far: Lone Sails» (2018) bringt es das Schweizer Game-Studio Okomotive fertig, dass man sich augenblicklich um den Protagonisten sorgt. Das kleine wortlose Wesen, das seinen Weg durch diese post-apokalyptische Tristesse sucht, will beschützt sein. Die melancholische Musik von Joel Schoch verstärkt die emotionalen Bande.
«Far: Changing Tides» ist nicht hektisch, obschon es gelegentlich Momente gibt, in denen man sich mehr Zeit wünscht. Doch Stress gehört nicht zum Grundkonzept. Hier stehen räumliche Rätsel und kombinatorisches Denken im Vordergrund. Die Verbindungen sind längst nicht immer offensichtlich. Es hilft, die Augen für hellblaue Gegenstände und andere Hinweise offenzuhalten. Und sich bewusst zu sein, dass es zu jedem Problem eine Lösung gibt.
Das Computerspiel ist als «side scrawler» aufgebaut. Das heisst, dass sich Toe nur von rechts nach links beziehungsweise umgekehrt bewegen kann. Auf dieser zweidimensionalen Ebene kann er selbstverständlich klettern, hochspringen oder in die Tiefe abtauchen. Diese Einschränkung ist hilfreich, weil sie die Lösungsmöglichkeiten reduziert und einen nicht verführt, weiter zu suchen.
Hin und wieder lässt die Präzision der Steuerung aber etwas zu wünschen übrig. Solcherlei Abstriche sind längst nicht nur «Far: Changing Tides» vorbehalten. Internationale Multimillionen-Produktionen haben jeweils weit grössere Patzer zu verzeichnen. Zu Recht wird deshalb das Schweizer Game weltweit mit Lob überschüttet.
Das Studio Okomotive hat es fertiggebracht, seinem erfolgreichen Bestseller «Far: Lone Sails» gerecht zu werden, ohne ein simples Selbstplagiat zu programmieren. Die Rätsel sind knifflig, aber vor allem sind sie in wunderschöne Tableaux eingebettet. Hier hat das Team um Don Schmocker und Goran Saric ganze Arbeit geleistet. So macht es einem nichts aus, etwas länger an der Lösung zu hirnen, weil man sich an der melancholischen Szenerie kaum sattsehen kann.
Far: Changing Tides, Okomotive/Frontier Foundry, PC, PS 4&5, Switch, Xbox One & Series X