Das letzte Stündchen
Elena Ibello spricht in ihrem neuen Podcast «Das letzte Stündchen» mit verschiedenen Menschen über ein Tabuthema unserer Gesellschaft: das Sterben.
Interview: Jessica Prinz
Wahrscheinlich sei ihr die Idee beim Joggen gekommen, sagt die Zürcher Journalistin Elena Ibello. Irgendwann habe sie sich gefragt, wieso sie immer nur schreibe, dass man über den Tod sprechen solle – und nicht selbst darüber rede. Ein paar Jahre musste die Idee reifen, bevor die zweifache Mutter, deren Karriere beim Radio begann, sie in Form eines Podcasts umsetzte.
Elena Ibello arbeitete mehrere Jahre bei der Organisation «Palliative zh+sh», einem Verein, der die spezifischen Anliegen der Palliative Care regional und kantonal vertritt. Heute ist die 39-jährige selbstständige Kommunikationsfachfrau und befasst sich hauptsächlich mit Gesundheitsfragen, Generationenthemen, dem Alter und Sterben.
Elena Ibello, was hat Sie bewogen, sich so intensiv mit dem Sterben zu befassen?
Das ergab sich einfach. Eines Tages klingelte mein Telefon und jemand fragte mich: «Wissen Sie eigentlich, was Palliative Care ist?» In meiner journalistischen Arbeit beschäftigte ich mich schon vorher oft mit Themen wie Krankheiten, Beeinträchtigungen oder Lebensende, und fragte mich, welchen Stellenwert vulnerable Menschen in unserer Gesellschaft haben. Und wie bewusst wir uns eigentlich sind, dass auch gesunde und fitte Menschen sehr schnell in eine fragile Situation geraten können. Als ich bei «Palliative zh+sh» als Webredaktorin anfing, kam meine Freundin mit der Idee eines Dokfilms auf mich zu. Der Krebstod ihres Vaters beschäftigte sie in dieser Zeit sehr stark und auch in meinem Umfeld hatte es kurz davor einen traurigen Suizidfall gegeben. Das Thema kam für mich also nicht überraschend.
Warum tun wir uns so schwer damit, über den Tod zu sprechen?
Ich glaube, es stinkt uns, dass wir sterben müssen. Die meisten wollen ihr Leben nicht hergeben. Viele wollen auch weiterleben, wenn sie alt und schwach sind. Die Vorstellung, dass es einfach irgendwann fertig ist, ist krass.
Ist es denn tatsächlich fertig?
Ich war früher immer überzeugt, dass es so ist. Das Leben nach dem Tod war für mich inexistent und interessierte mich folglich nicht. Seit einer Weile – und besonders seit ich meinen Podcast gestartet habe – gerate ich ein wenig ins Wanken. Ich begann mich für verschiedene Jenseitsvorstellungen zu interessieren und merkte, dass es wertvoll sein kann, sich vorzustellen, dass nach dem Tod noch etwas kommt. Hätte ich damals, als der Suizid passierte, schon so gedacht, wäre dies für mich sehr tröstlich gewesen. Der Gedanke, dass nach dem Tod nichts mehr ist, war damals schlimm für mich.
Hat es das Umfeld nicht viel schwerer als die Sterbenden selbst?
Das dachte ich auch immer. Aber wenn man stirbt, dann muss man sich ja von seinem eigenen Leben verabschieden, alles hergeben. Diese Vorstellung bereitet mir manchmal Mühe. Allerdings ist es vermutlich trotzdem einfacher, selber zu sterben, als jemanden zu verlieren. Da kann ich aber nur mutmassen.
Was erhoffen Sie sich von Ihrem Podcast?
Dass er dazu angeregt, über den Tod nachzudenken – und darüber zu reden. Sei es mit dem Partner, einer Freundin, den Eltern oder Bekannten. Ich finde es wichtig, dass die Leute merken, dass man das kann und darf. Und ich möchte zeigen, wie vielschichtig und vielseitig der Tod ist – persönlich, gesellschaftlich, politisch.
«Wenn man stirbt, muss man sich von seinem eigenen Leben verabschieden. Diese Vorstellung bereitet mir manchmal Mühe.»
Inwiefern politisch?
Es gibt viel übers Sterben zu sagen, das nicht an die Todesangst geknüpft ist, die viele hemmt, über das Lebensende zu sprechen. Die Versorgung und Betreuung in der letzten Lebensphase etwa. Wir sind als Gesellschaft in der Pflicht, auch in dieser Zeit eine gewisse Lebensqualität zu ermöglichen. Bei Krankheiten sind wir gut versorgt. Wir bekommen Hilfe, das Angebot ist meist nicht schlecht gebündelt und relativ gut zugänglich. Für viele Probleme verfügen wir über eine Infrastruktur und haben entsprechende Institutionen aufgebaut. Sobald aber das Sterben am Horizont auftaucht, fällt vieles weg und interessiert uns nicht mehr. Wir konzentrieren uns aufs Leben – was grundsätzlich gut ist. Aber das Leben hört erst mit dem Tod auf, nicht vorher.
Wie meinen Sie das?
Wir kümmern uns bestenfalls ein ganzes Leben lang umeinander. Es kann nicht sein, dass Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben, nicht mehr gut betreut werden, weil sie am Lebensende stehen und «man nichts mehr machen kann». Man kann das Leben vielleicht nicht mehr verlängern, trotzdem kann man noch sehr viel tun, damit es den Betroffenen bis zum Schluss so gut wie möglich geht. Ich sehe uns in der Pflicht, die Menschen zu begleiten, bis sie tatsächlich sterben. Einerseits sollte sich also die Medizin nicht plötzlich abwenden, weil sie zur Heilung nichts mehr beitragen und an den Betroffenen möglicherweise auch nicht mehr viel verdienen kann. Andererseits sollten Angehörige die Situation aushalten und da bleiben und sich nicht abwenden aus lauter Hoffnungslosigkeit oder Angst. Die Sterbenden sind noch am Leben – bis sie gestorben sind.
Verspüren sie auch ab und zu Freude, wenn sie über den Tod sprechen?
Natürlich. Etwa wenn man mir erzählt, wie die letzten Momente erlebt werden. Das sind zum Teil sehr schöne Erzählungen und anrührende Anekdoten. Beispielsweise wenn jemand vor dem Tod noch einen Witz erzählt. Und manchmal vermischt sich die Trauer mit der Freude, wodurch die Trauer an Schwere verlieren kann.
In Ihrer ersten Podcastfolge sprechen Sie mit Ihrer Freundin Alva über den Tod ihres 32-jährigen Verlobten. Zu Beginn hat man als Hörerin das Gefühl, der Einstieg ins Gespräch mache Sie nervös. Ist das so?
Absolut. Denn ich spüre, dass von mir erwartet wird, dass ich mit der Situation souverän umzugehen weiss, weil es ja um «mein» Thema geht. Oft schaffe ich das aber auch nicht. Wenn ich zum Beispiel weiss, dass jemand von einem Verlust tief getroffen ist. Dann bin ich sehr hilflos. Beim Podcast mit Alva zum Beispiel wusste ich, dass es noch sehr viele Fragen und Wunden vorhanden sind. Ich wollte trotzdem so offen wie möglich mit ihr sprechen, gleichzeitig aber keinen Druck aufbauen und ihr die Entscheidung überlassen, was sie preisgeben will und was nicht.
Haben Sie Strategien dafür, wenn Sie in solchen Gesprächen sprachlos sind?
Ich habe gelernt, meine Sprachlosigkeit zum Thema zu machen. Ich versuche, mich nicht zurückzuziehen, nur weil ich nicht weiss, wie ich mich verhalten soll und probiere, noch einen Schritt auf mein trauerndes Gegenüber zuzugehen. In der Erwartung, dass sich die Betroffenen selbst zurückziehen, wenn es ihnen zu viel wird. Meine Worte sind oft: «Ich weiss gar nicht, was ich sagen kann, um dir Trost zu spenden. Aber ich höre dir gerne zu.» Oft gibt es ja gar nichts zu sagen. Und in solchen Situationen hilft es mehr, zuzuhören, als zu erklären: «Das chunnt scho wieder guet.» Ich finde, man darf zeigen, dass man selbst auch traurig, schockiert und überfordert ist.
«Manchmal hat man einfach keine Lust, über den Tod zu reden, etwa wenn man grad frisch Eltern geworden ist. Das finde ich okay.»
In besagter Folge spricht Alva darüber, dass sie ihren jetzigen Ehemann beim Onlinedating als Erstes gefragt habe, was seiner Meinung nach nach dem physischen Tod kommt. Später erzählt sie, dass sie mit ihm heute trotzdem kaum über den Tod spricht. Das erstaunt mich.
Mich auch. Aber dann merkte ich, dass es bei mir ähnlich ist. Mein Mann und ich haben zwar damit begonnen, über unseren Tod zu sprechen, und wir möchten auch «die Dinge» regeln. Seit einem Jahr reden wir schon darüber, dass wir uns beispielsweise unsere Passwörter mitteilen sollten. Ganz durchgezogen haben wir die Gespräche bis heute aber nie – es kam immer das Leben dazwischen. Immerhin wissen wir voneinander ungefähr, was uns wichtig ist im Leben. Das wird wohl auch im Sterben wichtig sein. Mit meinen Eltern hingegen habe ich ausführlich über den Tod gesprochen. Ich denke, manchmal hat man einfach keine Lust, darüber zu reden, beispielsweise wenn man grad frisch Eltern geworden ist. Das finde ich okay.
Welche Rolle spielt der Tod im Umgang mit Ihren Kindern?
Ich glaube nicht, dass ich mehr mit ihnen übers Sterben rede als andere Eltern. Ich will den Tod aber nicht ausklammern. Mein Sohn ist sieben, die Tochter fünf. Meine Tochter beschäftigt das Thema derzeit sehr – was laut meinen Eltern bei mir genau gleich war in diesem Alter. Sie merkt langsam, dass auch ihr Leben irgendwann ein Ende hat. Das Thema begegnet uns auch im Alltag immer wieder. Kürzlich entdeckten wir einen toten Vogel. Dann kamen die Fragen: Schläft er? Oder ist er tot? Ich denke, es hilft schon, wenn man diesen Fragen nicht ausweicht und sich dafür Zeit nimmt, auch wenn es nur zwei Minuten sind. Unsere Kleine fand es sehr traurig, dass dieses Vögelchen jetzt nie mehr fliegen kann und wir haben ihm ein Grab bereitet.
Und ihr Sohn?
Als er vom Podcast erfuhr, sagte er: «Wieso schon wieder dieses Thema? Es ist so traurig.» Darauf kann ich gut reagieren und ihm antworten, dass die Gespräche manchmal traurig, manchmal aber auch schön und hoffnungsvoll sind. Schwierig finde ich es, wenn meine Kinder durchblicken lassen, dass sie Angst davor haben, jemanden zu verlieren. Da kann ich nicht viel dazu sagen, sondern nur mit ihnen hoffen, dass dies nicht geschieht. Aber ich lasse die Gefühle und die Gespräche darüber bewusst zu.
Sie sind auf Social Media aktiv. Kann man ein Thema wie den Tod überhaupt «liken»?
Wie für alle Special-Interest-Themen – wobei ich den Tod eigentlich gar nicht als Special Interest bezeichnen würde – gibt es auch hier eine eigene Community, die meiner Meinung nach eine positive Form gefunden hat, über das Thema zu informieren. Ein Like kann ja viel mehr ausdrücken als blosses Gefallen. Man kann damit anzeigen, dass man etwas gelesen, eine Situation zur Kenntnis genommen hat und daran teilnimmt. Ein Like steht also nicht nur für Zustimmung, ein Like kann auch bedeuten, dass man etwas interessant findet. Ich finde das Sterben an sich ein sehr soziales Thema – es betrifft alle von uns. Wieso also nicht darüber auf Social Media berichten?
Finden Sie das auch dann, wenn Angehörige den Sterbeprozess einer Person teilen oder Blogger über ihr eigenes Sterben hautnah berichten?
Oft werden solche Leute angefeindet, weil sie die Geschehnisse so detailliert dokumentieren – und am Ende sogar noch die Angehörigen den letzten Blogpost veröffentlichen lassen, wenn ihr Tod eingetreten ist. Solche Geschichten schlagen manchmal hohe Wellen. Man unterstellt diesen Personen, dass sie Mitleid heischen möchten und sich selbst extrem wichtig nehmen. Ich finde: Wer so etwas nicht sehen will, soll es einfach ignorieren. Wenn es den Betroffenen besser geht, weil sie dadurch das Erlebte besser bewältigen können, dann darf man es ihnen nicht verbieten. Schliesslich ist der Tod sehr individuell und persönlich.
Elena Ibello (39) studierte Journalismus und Kommunikation in Winterthur und machte einen Master in Kulturpublizistik an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie arbeitete als Print- und Radiojournalistin und später mehrere Jahre als Kommunikatorin und Web-Redaktorin für «Palliative zh+sh». Mittlerweile ist Elena Ibello freie Journalistin und Kommunikationsfachfrau und beschäftigt sich in Buch-, Film- und Podcastprojekten immer wieder mit dem Thema Sterben – dies mit dem Fokus, darüber zu reden oder zu schreiben.
Ihren Podcast kann man auf Spotify, Apple Podcasts oder auf Podigee hören.
- Memento mori – sei dir deiner Sterblichkeit bewusst: In unserem Themenschwerpunkt widmen wir uns einen Monat lang Themen rund um den Tod und das Sterben. Zum Dossier.