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Jeder Buchstabe zählt

Corona stellt uns alle auf die Probe – und eröffnet viele Fragen. Davon sind auch Patientenverfügungen betroffen. Dr. iur. Caroline Hartmann, Rechtsanwältin im Rechtsdienst der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), kennt die richtigen Antworten.

Interview: Roland Grüter

Die Corona-Pandemie hat die Nachfrage nach Patientenverfügungen explodieren lassen. Und sie wirft gleichermassen viele Fragen auf, vornehmlich unter Risikogruppen, etwa bei Menschen über 65 und bei Menschen mit chronischen Vorerkrankungen. Welche Therapien sind explizit ein- repektive ausgeschlossen, wie regelt man Sonderwünsche? 

Dr. iur. Caroline Hartmann, Rechtsanwältin im Rechtsdienst der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), erklärt die wichtigsten Fakten.

Viele haben bereits eine Patientenverfügung zu Hause liegen: Bei einem schweren Corona-Infekt ist eine künstliche Beatmung nötig, manche möchten diese in Betracht ziehen – andere klammern diese strikte aus. Lässt sich eine Verfügung auf solche Notlagen anpassen? 

In einer Patientenverfügung kann eine Patientin, ein Patient frei darüber bestimmen, welche medizinischen Massnahmen sie/er für den Fall einer Urteilsunfähigkeit zulassen will – respektive auf welche Massnahmen sie/er verzichten möchte. Hat jemand darin angegeben, alle medizinisch indizierten Massnahmen in Anspruch nehmen zu wollen, ist eine Beatmung bei einem Corona-Infekt eingeschlossen. Verzichtet darin aber jemand explizit auf eine Reanimation und intensivmedizinische Massnahmen, verzichtet er auch auf eine künstliche Beatmung. Will diese Person aber mit Blick auf die Pandemie eine abweichende Regelung, kann sie nachträglich tatsächlich Anpassungen vornehmen.

Im Detail heisst das: Auch wenn jemand in seiner Patientenverfügung festgehalten hat, auf eine Reanimation und auf intensivmedizinische Massnahmen zu verzichten, kann man für bestimmte Situationen spezifische Behandlungswünsche erlassen: Etwa einer intensivmedizinischen Therapie mit Sauerstoffanwendung bei einem Corona-Infekt zustimmen. Diese Sonderwünsche müssen in der Verfügung schriftlich festgehalten werden. Ausserdem kann man eine ärztliche Notfallanordnung erstellen. Diese kann als Ergänzung zur bestehenden Patientenverfügung erstellt werden und umfasst Anweisungen für den Notfall. Eine ärztliche Notfallanordnung ist zwingend mit einer ärztlichen Fachperson (z.B. dem Hausarzt) auszufüllen. 

Es kommt also darauf an, wie die Patientenverfügung formuliert ist. Deshalb ist es sehr zu empfehlen, diese mit dem Vertrauensarzt oder einer anderen Fachperson zu besprechen. Besprechen Sie allfällige Änderungen auch immer mit Ihren Angehörigen, damit diese Ihren Willen genau kennen.

Wie genau sind (Zusatz)Wünsche festzuhalten?

Damit eine Patientenverfügung gültig ist, muss diese schriftlich festgehalten, datiert und von Hand unterzeichnet sein. Falls Sie Ergänzungen in Betracht ziehen, können Sie die Patientenverfügung ganz erneuern (und die alte vernichten) – oder Sie integrieren den entsprechenden Zusatz in eine bestehende.

Wichtig: Spezifische Behandlungswünsche müssen derart ausformuliert sein, dass sie keinen Spielraum für Interpretationen offen lassen. In welchem Fall stimmt die Person einer Behandlung zu, die vom allgemeinen Wunsch abweicht (z.B. für COVID-19)? Wie genau soll diese Behandlung aussehen? Stimmt die Person einzig einer Sauerstoffversorgung (inkl. Intubation) oder sogar einer Reanimation zu? Und: Auch solche Ergänzungen müssen mit dem aktuellen Datum und einer handschriftlichen Unterschrift versehen sein, sonst bleiben sie unverbindlich.

Was, wenn jemand trotz Corona auf Anpassungen verzichten will?

Falls eine Patientin oder ein Patient in jedem Fall – also auch bei einem Corona-Infekt – auf intensivmedizinische Massnahmen verzichten möchte, sollte sie/er diesen Wunsch in der Patientenverfügung klar festhalten und diesen Entscheid mit Blick auf die aktuelle Situation präzisieren. Gerade in der heutigen Situation mit COVID-19 ist es ratsam, den Behandlungswunsch und die entsprechende Formulierung mit einem Vertrauensarzt oder einer Fachperson zu besprechen, da so auch Ängste genommen und Missverständnisse vermieden werden können. Die nächsten Angehörigen sollten wenn möglich miteinbezogen und über die Behandlungswünsche informiert werden. Zwar gilt es, die in der Patientenverfügung festgehaltenen Wünsche zu beachten. Bei Unklarheiten werden aber die behandelnden Ärzte und Ärztinnen die Angehörigen ins medizinische Prozedere miteinbeziehen – vor allem, wenn eine Patientenverfügung schon älter ist und der tatsächliche Wille der Betroffenen daraus nicht eindeutig hervorgeht.

Manche Menschen tragen einen Stempel, ein Klebe-Tattoo oder ein Pflaster über ihren Herzen, auf denen «No CPR» zu lesen ist – keine Wiederbelebung. Sind diese verbindlich?

Nein, sie sind nicht verbindlich. Solche Anweisungen genügen den Formvorschriften einer Patientenverfügung nicht. Dennoch: Solche Stempel und Pflaster (z.B. auf der Brust getragen) können für die Fachkräfte ein Hinweis sein, dass die urteilsunfähige Person diesen Wunsch hat. Trotzdem werden sie im Notfall den Gesundheitszustand erst stabilisieren, bevor sie den mutmasslichen Willen mit den Angehörigen besprechen und nach einer Patientenverfügung fragen. Es ist nicht nur Trägern von Tattoos, Pflaster oder Stempel, sondern allgemein zu empfehlen, mit einer Hinweiskarte, welche man im Portemonnaie mit dabei haben kann, auf eine Patientenverfügung zu verweisen. Auf der Hinweiskarte ist auch ersichtlich, wo diese hinterlegt ist. 

Was, wenn keine Corona-Anpassungen vorliegen? Können dann die Angehörigen und Ärzte frei entscheiden, welche Therapien angemessen sind – schliesslich gilt ein Corona-Infekt nicht als unheilbar und entsprechende Behandlungen sind in manchen Patientenverfügungen nicht ausdrücklich ausgeschlossen?

Liegt eine Patientenverfügung vor, hat die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt die darin enthaltenen Anordnungen grundsätzlich zu befolgen. Eine Ausnahme besteht dann, wenn sie begründete Zweifel haben, dass die in der Patientenverfügung getroffenen Anordnungen noch dem mutmasslichen Willen der urteilsunfähigen Person entsprechen. Ist eine Patientenverfügung schon älter und umfasst keine spezifischen Corona-Anpassungen, können solche begründete Zweifel entstehen. Der mutmassliche Wille ist dann in Gesprächen mit jener Vertretungsperson zu klären, die in der Verfügung namentlich genannt wird. Sollte keine Vertretungsperson bestimmt sein, wird das medizinische Prozedere mit den Angehörigen besprochen. 

Fazit: Ist der tatsächliche Wille aus der Patientenverfügung nicht deutlich ersichtlich, geht es darum, den mutmasslichen Willen des Patienten, der Patientin zusammen mit der Vertretungsperson bzw. den Angehörigen zu ermitteln. Gerade in Corona-Zeiten ist es deshalb wichtig, die Patientenverfügung zu überdenken, diese gegebenenfalls zu erneuern bzw. zu ergänzen und dabei eine qualifizierte Beratung in Anspruch zu nehmen. Zudem sollte eine Verfügung leicht auffindbar sein. Idealerweise bewahrt man diese beim Hausarzt und/oder zu Hause auf und vermerkt auf einer Hinweiskarte den Hinterlegungsort. 

Wer keine Patientenverfügung vorliegen hatWie lässt sich auf die Schnelle eine erstellen, die auf Corona ausgerichtet ist? 

Halten Sie in der Patientenverfügung spezifische Behandlungswünsche im Falle eines Corona-Infekts fest – und besprechen Sie diese mit einer Fachperson. Schriftlichkeit, Datum und eine handschriftliche Unterschrift machen die Ausführungen erst verbindlich. Ebenso kann im Rahmen der Corona-Pandemie eine ärztliche Notfallverordnung zusammen mit dem Hausarzt erstellt werden.

Beziehen Sie wenn möglich immer Ihre Angehörigen in Ihre Behandlungswünsche mit ein. Das ist vor allem dann wichtig, wenn sie weder eine Patientenverfügung noch eine ärztliche Notfallverordnung erlassen haben. In diesem Fall wird die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt die Behandlung mit der zur Vertretung bei medizinischen Massnahmen berechtigten Person planen. Dabei gilt die gesetzliche Kaskadenordnung: An erster Stelle ist dies ein allfälliger Beistand, an zweiter Stelle der Ehegatte oder diejenige Person, welche mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet. Erst an dritter Stelle kommen die Nachkommen – und auch nur dann, wenn diese der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten. 

Mein Wille geschehe

Das Vorsorgedossier Docupass von Pro Senectute ist eine anerkannte Gesamtlösung für alle Bereiche, die mit einem Vorsorgedokument geregelt werden können – von der Patientenverfügung bis zum Testament. Im Docupass, der in Deutsch, Italienisch und Französisch für CHF 19.– online bestellt  werden kann, können sämtliche persönliche Anliegen, Bedürfnisse und Wünsche für den Ernstfall festgehalten werden.

Die kantonalen Pro Senectute Organisationen bieten Beratungsgespräche an für alle, die eine Patientenverfügung erstellen oder diese infolge der Corona-Krise überdenken oder anpassen möchten.

Beitrag vom 16.04.2020
Dr. iur. Caroline Hartmann

ist Rechtsanwältin im Rechtsdienst der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH)

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