Sternenkrieger
Die Filme cool zu finden, reicht ihnen nicht. Wahre «Star Wars»-Fans bauen die Kostüme nach und treten damit in der Öffentlichkeit auf.
Text: Claudia Senn, Fotos: Jessica Prinz/ Medienart
Im realen Leben arbeitet Vanessa (21) hinter der Käsetheke beim Coop und ist so abgrundtief freundlich, dass man ihr keinen finsteren Gedanken zutrauen würde. In ihrer zweiten Existenz jedoch spielt sie den Imperator Palpatine, der mit seinem Machthunger ganze Galaxien ins Verderben stürzt. In dieser Rolle trägt Vanessa eine Silikonmaske und dazu passende Handschuhe, die ihrer jungen Haut einen gruseligen Greisenlook verpassen.
Die Requisiten sind auf Mass gefertigt, von einem Spezialisten, der auch für die besten Maskenbildner Hollywoods arbeitet. Gemeinsam mit Umhang und Accessoires hat sich Vanessa ihr Kostüm fast 3000 Franken kosten lassen, plus Transport und Zoll. Ein Schnäppchen ist das nicht, «dafür gehe ich aber sonst kaum shoppen».
Schon nur der Helm von Flos «Darth Vader»-Kostüm kostete rund 900 Franken. Wie ein Monument der Macht steht er vor Daniela, die in ihrem flauschigen Ewok- Kostüm steckt. Im Hintergrund: Vanessa als Offizierin des Imperiums und Anja als Jawa. © Jessica Prinz/ Medienart
Auch Flo investiert viel in seine Leidenschaft. Der 39-Jährige arbeitet bei einer Recycling-Firma, wo er wiederaufbereitete IT- und Medizinaltechnik-Geräte verkauft. Hat er frei, wird er zu Darth Vader, dem Superschurken aus «Star Wars». Sein Kostüm ist so spektakulär, dass die Menschen ganz von selbst eine Gasse bilden, wo immer er damit auftaucht. 20 Kilogramm wiegt seine Verkleidung. Allein der schwarze Helm hat gut 900 Franken gekostet. Gebaut hat ihn ein Kunsthandwerker aus England. Die Rüstung: massgeschneidert aus feinstem argentinischem Rindsleder; die Schuhe: so riesig, als wären sie für einen Drei-Meter-Hünen gemacht. Dabei trägt Flo auch im richtigen Leben schon Grösse 49. Am furchterregendsten jedoch ist das Atemgeräusch, das dumpf aus Flos Helm dringt. Einatmen, ausatmen – wie ein Zombie auf der Intensivstation. Eine Menschmaschine. Ein düsterer Cyborg aus einer fremden Galaxie.
Paralleluniversum
Für die meisten Menschen ist «Star Wars» eine stilbildende Science-Fiction-Saga, zu der immer wieder neue Sequels (Fortsetzungen), Prequels (Fortsetzungen, die in der Vergangenheit spielen) und Serien erscheinen. Für Flo und Vanessa ist es mehr: ein Paralleluniversum, eine Spielwiese, die Chance, eine schillerndere Version von sich selbst darzustellen, wenn auch nur für ein paar Stunden. 1977 erschien der erste Teil von George Lucas’ oscargekrönter «Krieg der Sterne»-Reihe. Der Regisseur erfand dafür ein ganzes Universum voller origineller Details, bevölkert von galaktischen Kriegern, exzentrischen Prinzessinnen, pelzigen Kreaturen und sprechenden Robotern. Stets geht es um den Kampf der Rebellen gegen das übermächtige Imperium. Oder im «Star-Wars»-Jargon: der hellen Seite gegen die dunkle.
Das Raumschiff des Rebellen Han Solo flüchtet vor der Flotte des Imperiums. © Star Wars / Disney
Beide Seiten haben in der Schweiz ihre eigenen Fanclubs, deren Mitglieder die Kostüme akkurat nachbauen. Für das Imperium ist das die «Swiss Garrison», die Schweizer Rebellen nennen sich «Helvetica Base». Mitglieder müssen mindestens ein Kostüm vorweisen, das den strengen Richtlinien genügt. Der Nachwuchs trifft sich in der «Galactic Academy», wo die Verkleidungen auch mal ein bisschen selbstgebastelter aussehen dürfen.
Hardcore-Fans bauen sich Lichtschwerter, die sie bewegungsgesteuert in allen Regenbogenfarben aufblitzen lassen können. Sie tätowieren sich die Namen ihrer Lieblings-Charaktere unter die Haut, so wie Vanessa. Oder sie erzählen sich Witze, die nur Eingeweihte verstehen: «Wie viele Sith Lords (dunkle Lords, Anm. d. Red.) braucht es, um eine Glühbirne einzuschrauben?», fragt Flo. Antwort: «Keinen. Wir lieben die dunkle Seite.»
Keine verschrobenen Nerds
Daniela (54) hatte anfangs Bedenken, ob sie nicht schon zu alt sei für die «Helvetica Base». Würden die Jungen sie überhaupt ernst nehmen? «Doch dann merkte ich, dass mein Alter überhaupt keine Rolle spielt», sagt die zweifache Mutter, die in einem Heim für geistig und körperlich schwer beeinträchtigte junge Menschen arbeitet. «Es geht hier nicht darum, wer du bist oder woher du kommst. Uns verbindet unsere Begeisterung.»
«Ich merkte, dass mein Alter keine Rolle spielte.»
Das jüngste Mitglied ist 18 Monate alt, das älteste 66 Jahre. In manchen Familien wird das «Star-Wars»-Virus vom Grossvater auf die Enkelin übertragen. Die Fans sind keine verschrobenen Nerds, die einsam in ihren Kellern vor sich hin werkeln. Cosplaying, wie die Kostümierung als Film- oder Videospiel-Figur genannt wird, ist längst salonfähig. Publikumsmessen wie die Fantasy Basel oder die Pop Con in Zürich ziehen Zehntausende von Besucherinnen und Besuchern an. «Das sind Anlässe, für die man sich extra freinimmt», sagt die Pflegeassistentin Anja (43). Ein weiterer Fixpunkt des Jahres sind die «Star Wars»-Konzerte im Luzerner KKL.
Neben diesen Grossveranstaltungen treten die Fans auch an Hochzeiten oder Kindergeburtstagen auf. Alle Einnahmen fliessen an eine wohltätige Organisation, denn zentrales Element der «501st Legion» ist der Charity-Gedanke. 1997 rief der Amerikaner Albin Johnson in South Carolina den allerersten Ableger der Fan-Organisation ins Leben. Bald darauf erkrankte seine Tochter Katie schwer an einem Hirntumor, an dem sie später verstarb. Während ihrer Therapie wünschte sie sich einen R2-D2 in ihrer Lieblingsfarbe rosa, der auf sie aufpassen sollte. Johnsons Freunde bauten den elektronisch piepsenden Roboter nach und nannten ihn R2-KT (ausgesprochen: kei ti, also Katie). Nach dem Tod seiner Tochter begann Johnson damit, in «Star Wars»-Kostümen Kinderkrebsstationen zu besuchen, um dort die kleinen Patienten aufzuheitern. Als Hommage an Katie und ihren Vater liess George Lucas den rosa Roboter später in seinen «Star Wars»-Filmen und -Serien auftreten.
VANESSA (21), fotografiert als: Imperial Officer
«Ein gutes Einsteiger kostüm, weil es ganz aus Stoff und deshalb ziemlich bequem ist.»
Weitere Kostüme: neun, alle von der dunklen Seite. «Bösewichte sind einfach interessanter.»
DANIELA (54), fotografiert als: Ewok
ein pelziges, bärenartiges Wesen, «das keine Kultur und Bildung hat, aber trotzdem sehr schlau ist». Die Tasche ihres Ewoks hat Daniela liebevoll mit Pouletknochen dekoriert.
Weitere Kostüme: Prinzessin Leia. «Auch das Rebellisch Prinzessinnenhafte steckt in mir.»
ANJA (43), fotografiert als: Jawa, eine Art Schrottsammler der Galaxis
«Die kleinen Lederbehälter sind ausgemusterte Munitionstaschen der Schweizer Armee.»
Weitere Kostüme: ein zweiter Jawa. «Jawas sind ein bisschen wie ich: heimlifeiss, verschmitzt und für jeden Schabernack zu haben.»
FLO (39), fotografiert als: Darth Vader
«Unsere Geheimwaffe bei jedem Kostüm, das das Gesicht verdeckt, sind eingebaute Ventilatoren. Ohne sie würden wir innert Minuten überhitzen und wegen der feuchten Atemluft kaum etwas sehen.»
Weitere Kostüme: 13 fertige, 3, an denen er noch arbeitet.
Auch Daniela, Anja, Vanessa und Flo sind sich einig, dass der Kontakt mit Kindern das Schönste an ihrem Hobby sei. «Die freuen sich so!», sagt Vanessa. Daniela erzählt von einem nichts ahnenden 9-Jährigen, der an seiner Geburtstagsparty von einem «Troop» überrascht wurde. «Plötzlich lief die ‹Star Wars›-Melodie, und wir gesellten uns zu den Partygästen.» Der Junge flippte dermassen aus vor Begeisterung, dass Daniela in ihrem flauschigen Ewok-Kostüm Rotz und Wasser heulte.
«Einen kranken Jungen durften wir über Jahre begleiten», erzählt Flo. Als er schliesslich genesen war, wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. Einen anderen besuchten sie kurz vor seinem Tod, da konnte er schon nicht mehr sprechen. Es war bereits das zweite Treffen. Beim ersten hatte sich der Junge ein Lichtschwert-Training mit dem Jedi Luke Skywalker gewünscht, dem strahlenden Helden der hellen Seite. Es hiess, der kranke Bub könne vielleicht nur wenige Minuten durchhalten. «Doch er freute sich dermassen, dass er sämtliche Energien mobilisierte», sagt Flo. Nach drei Stunden musste Luke Skywalker die Reissleine ziehen – weil er einfach nicht mehr konnte. Auch ein Jedi hat schliesslich seine Belastungsgrenze.
Weltweiter Fanclub
Die «501st Legion» ist eine der grössten Fan-Organisationen der Welt. Fast überall gibt es Ableger, auch in Saudi-Arabien, Hawaii, Vietnam und sogar in der Arktis. Grosse Fan-Gruppierungen heissen «Garrisons» (Garnisonen), kleinere nennen sich «Squads» (Trupps) oder «Outposts» (Aussenposten). Die «Swiss Garrison» hat zur Zeit gut 100 Mitglieder, bei der «Helvetica Base», in der die Fans der hellen Seite organisiert sind, sind es 36.
Mehr Informationen:
Swiss Garrison:
swiss-garrison.ch
Helvetica Base:
forum.rebellegion.com
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