Generationenprojekte haben Hochkonjunktur. Warum?
Die Idee des gemeinschaftlichen Zusammenlebens ist nicht neu. Früher lebten mehrere Generationen in einem Haus. Danach folgte eine Phase, in der Generationen getrennt wohnten. Jetzt gibt es ein Comeback, aber nicht als ein Haushalt, sondern in Form einer grösseren Überbauung mit Wohnungen für mehrere Generationen.
Was steckt dahinter?
Der Grundgedanke ist der Aufbau von Nachbarschaftskontakten und -hilfen. Man kümmert sich umeinander.
Geht diese Wunschvorstellung der Nachbarschaftshilfe tatsächlich in Erfüllung?
Man darf das Ganze nicht romantisieren. Die theoretische Idee ist sehr gut, aber abhängig von den Personen, die sie ausgestalten. Es ist ein Unterschied, nur Mieter oder eben Nachbar zu sein. Nur wenn alle wissen, dass es ein Geben und Nehmen ist, kann ein solches Modell funktionieren. Es muss gelebt werden.
Und wie funktioniert das?
Auf einer baulichen Ebene müssen gemeinsame Räume geschaffen werden. Dann braucht es Dinge wie beispielsweise jeden zweiten Monat ein Treffen oder eine Veranstaltung. Wichtig ist, dass der Aufbau moderiert wird. Wenn Gemeinschaft nicht gewachsen ist, muss jemand nachbarschaftliche Kontakte anregen.
Nachbarn kann man sich – besonders bei einem neuen Projekt – eigentlich nicht aussuchen. Welche Voraussetzungen braucht Generationenwohnen?
Neben den Dingen, die das Projekt mitbringt, müssen sich die Personen auf die Idee einlassen, nicht nur Mieterin, sondern aktive Nachbarin zu sein.
Was zeichnet eine gute Nachbarschaft aus?
Wenn wir von Nachbarschaft sprechen, denken wir an das Räumliche, wie das Quartier oder die Kontakte. Dabei ist wichtig, dass man nicht nur ans eigene Haus denkt, sondern auch zwei, drei Strassen weiter schaut. Die zweite Ebene, die Nachbarschaftlichkeit, umfasst die sozialen Aspekte der Nachbarschaft, das Leben und die Frage: Wie weit sind diese aktiv? Und dann gibt es noch die Nachbarschaftsrolle der Person. Sie definiert, wie wichtig ihr der Austausch ist. Damit es gelingt, braucht es alle drei Elemente.
Man spricht von Generationenwohnen. Wie weit ist das Alter ein zuverlässiger Indikator als Auswahlkriterium?
Vielleicht wäre der Begriff «Gemeinschaftliches Wohnen» zutreffender. Das Alter sollte nicht das alleinige Unterscheidungsmerkmal sein. Im Leben können sich Situationen verändern, unabhängig vom Alter. Es gibt immer wieder Momente, in denen wir froh um nachbarschaftliche Hilfe sind. Die Nachbarn sollen nicht aufgrund des Alters helfen, sondern wegen der Sympathie. Im Vordergrund steht die Lebenssituation, etwa wenn man Kinder hat, schwanger ist oder pflegebedürftig. So oder so braucht es den Willen, aufeinander zuzugehen. Wohnen miteinander, nicht nebeneinander.
Führen die unterschiedlichen Bedürfnisse – die einen wollen Ruhe, die anderen machen Party – nicht zu Friktionen?
Die Personen sollten sich der Wahl bewusst sein, wenn sie in eine Generationensiedlung einziehen. Auf dem Papier klingt es möglicherweise anders als in der Wirklichkeit. Entscheidend ist, wie weit man sich auf die Idee einlässt.
Ist Generationenwohnen das Modell der Zukunft?
Generationenwohnen ist nur eines von vielen Modellen. Wohnprojekte werden immer vielfältiger. In Zukunft gilt es, aus den unterschiedlichen Angeboten das für sich passende auszuwählen.
Manche Projekte haben sogenannte Siedlungskoordinatorinnen. Funktionieren diese besser als jene ohne?
Daten liegen noch keine vor, weil die Projekte oft jung sind, aber die Rolle ist wichtig. Es geht nicht nur um Angebote, sondern darum, dass eine Ansprechperson für verschiedene Bedürfnisse da ist. Eine lebendige Nachbarschaft aufrechtzuerhalten, bedeutet viel Arbeit. ❋
Dr. Alexander Seifert
Soziologe und Sozialarbeiter mit den Themenschwerpunkten «Nachbarschaft» und «Digitalisierung/Techniknutzung» u.a. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).
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