Der Zugspass ist aufgegleist

Die Schweiz ist ein Paradies für Reisen auf Schienen. Die Zeitlupe stellt fünf landschaftlich reizvolle Routen vor, die jeweils in lohnenswerten Städten beginnen und enden – zweimal gar im Ausland. Neben steilen ­Bergpassagen sind darunter auch Bahnstrecken, die gerne etwas vergessen gehen.

Texte: Jessica Prinz und Fabian Rottmeier, Illustration: Martin Haake

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Nume nid gsprängt!

Luzern–Bern via Entlebuch

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Seit 1875 quert die Zugstrecke von Luzern nach Bern das Entlebuch, das mit diversen Naturschätzen auftrumpft. Bekannt ist die «Biosphäre» für ihre sanften Hügel, auf denen immer mal wieder ein Windrad steht. In der Gegend zwischen Entlebuch und Emmental dreht sich alles um den Napf. Der höchste Gipfel der Emmentaler Alpen bildet das Zentrum der Region und kann von vielen Seiten her bestiegen werden. Eine der einfachsten Routen: Von Trubschachen fährt ein Postauto nach «Fankhaus, Schulhaus» – am Wochenende sogar bis zur Mettlenalp. Von dort aus dauert der Aufstieg nur 1,5 Stunden.

Zurück in Trubschachen lohnt sich ein Besuch der Kambly-Fabrik, dem lokalen Guetzligiganten. Auf der weiteren Zugfahrt und nach einem Wechsel auf die S2 in Langnau i. E. rückt das Emmental in den Blick. Hier gesellen sich zu den Hügeln die traditionellen Emmentaler Häuser. Je städtischer die Umgebung wird, umso mehr wächst die Vorfreude auf das Lorraine-Eisenbahnviadukt in Bern, von dem aus man einen Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau erhaschen kann.

Route: Luzern–Langnau i. E. (S6), Langnau i. E.–Bern (S2); 2 Stunden 2 Minuten, 1 Umstieg

Tipp für Luzern: Besuchen Sie das Richard-Wagner-Museum, das man über einen Spazierweg am See entlang erreicht.
Tipp für Bern: Das Museumsquartier imponiert von aussen und beherbergt auch mehrere sehenswerte Ausstellungen.

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Vom Tösstal bis ins Toggenburg

Winterthur–Rapperswil–St. Gallen

Langsam und stetig kämpft sich die Tösstalbahn von Winterthur hinauf nach Gibswil, entgegen der ­Fliessrichtung des namensgebenden Flusses. Etwa 300 Höhen­meter sollen es schliesslich sein bis zu ­jenem Punkt, an dem die Bahn innert kürzester Zeit den Grossteil der gewonnenen Höhenmeter wieder verliert. Von Rüti aus ist es dann nur noch ein Katzensprung bis nach Rapperswil, der Stadt am Zürichsee, deren Seedamm berühmt ist. Von dort aus gehts ­weiter im Voralpenexpress nach St. Gallen. Nach der Durchquerung des 8,6 Kilometer langen Ricken­tunnels landet man in Wattwil, dem Zentrum des Toggenburgs. Bei Mogelsberg lohnt sich ein Abstecher zum Baumwipfelpfad Neckertal für einen Spaziergang der besonderen Art: hoch oben in den Baumkronen. ­Weiter geht es dann nach St. Gallen – links toggenburgische und appenzellische Hügellandschaft, rechts schon fast das Alpsteingebirge und über das Sitter­viadukt, das mit 99 Metern das höchste Eisenbahnviadukt der Schweiz ist.

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Route: Winterthur–Rüti ZH (S26), Rüti ZH–Rapperswil-Jona (S5), Rapperswil-Jona–St. Gallen (IR); 2 Stunden 12 Minuten, 2 Umstiege

Tipp für Winterthur: Mitten in der Altstadt können in Georg Kerns Radiomuseum 1000 alte Radios und andere nostalgische Geräte bewundert werden.
Tipp für St. Gallen: Der Klosterbezirk mit seiner Bibliothek gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.

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Cent’anni Centovalli

Domodossola–Locarno mit der Centovalli-Bahn

Seit über einem Jahrhundert durchquert die Centovalli-Bahn, die die Simplonlinie mit der Gotthardbahn verbindet, eines der wildesten Täler des Tessins. Fleissig tuckert sie talaufwärts, sobald sie die italienische Stadt Domodossola verlässt (ab Brig per BLS oder Postauto erreichbar). Die «Centovallina» führt durch tiefe Schluchten und vorbei an wilden Wasserfällen, passiert kleine Rebberge, Kastanienwälder und immer wieder nostalgische Dörfer. Eines davon ist Intragna, Hauptort des Centovalli. Es beeindruckt mit einem 80 Meter hohen Eisenbahnviadukt (eines von 83 Brücken und Viadukten auf der Fahrt) und dem höchsten Glockenturm des Tessins. Über einen Saumpfad erreicht man eine restaurierte Römerbrücke mit kleiner Kapelle in deren Mitte. Bergab geht es ähnlich weiter, mit dem kostenlos downloadbaren Audioguide der Centovalli-Bahn bleibt aber auch die restliche Fahrt bis Locarno unterhaltsam.

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Route: Domodossola–Locarno (PE 72 oder RE 73); 1 Stunde 58 Minuten, ohne Umstieg, vigezzinacentovalli.com

Tipp für Domodossola: Vom Bahnhof Richtung Altstadt spazieren und auf der typisch italienischen Piazza del Mercato draussen an der Sonne einen Prosecco geniessen – oder einen Espresso für 1 Euro.
Tipp für Locarno: Die Wallfahrtskirche Madonna del Sasso steht auf einem spektakulären Felsvorsprung mit Sicht auf Locarno, den See und die umliegenden Berge.

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Vorsicht, Abgrund links!

Martigny–Chamonix

Wer nicht an Höhenangst leidet, sitzt besser in Fahrtrichtung links. Denn der Mont-Blanc-Express, der ab Martigny im Zahnradmodus die Kurven hochschlängelt, bietet nur zur Linken das volle Spektakel. Just neben der Fahrspur fällt der Blick bald einmal steil in den Abgrund. Man fragt sich verblüfft, weshalb das Trienttal in der Deutschschweiz wenig bekannt ist: überall Berge und unberührte Wälder – wenn nicht ein Tunnel oder eine Galerie die Sicht einschränkt. Beim zweitletzten Schweizer Halt, in Le Châtelard, lohnt sich ein Zwischenstopp. Von hier aus lässt sich der zweitgrösste Schweizer Stausee erkunden, der Lac Emosson. So beeindruckend in den Bergen eingebettet der See liegt: Auch der Weg ist das Ziel, denn dabei warten mit «Verticalp» drei unvergessliche Transportmittel – eine Standseilbahn, ein Panoramazügli und ein Mini-Funi, das jedes Herz zum Schmelzen bringt. Zurück im Tal, geht die Fahrt nach einem Umstieg im französischen Vallorcine weiter ins Tal der Arve. Das Mont-Blanc-Massiv rückt immer näher.

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Route: Martigny–Vallorcine (F) per Mont-Blanc-Express, Vallorcine–Chamonix-Mont-Blanc; 1 Stunde 38 Minuten, 1 Umstieg, mont-blanc-express.ch

Tipp für Martigny: Sehenswert sind das römische Amphitheater und weitere Orte, die von der römischen Vergangenheit zeugen.
Tipp für Chamonix: Noch mehr Berge? Die Montenvers-Zahnradbahn fährt 5 Kilometer weit, bis auf 1900 Meter – mit tollen Ausblicken.

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Jura macht zufrieden

Neuchâtel–La Chaux-de-Fonds–Delémont

Zugfahren kann auch meditativ sein. Etwa dann, wenn die vorbeiziehende Landschaft bezaubernd schön ist, die Zugfahrenden aber nicht mit zu vielen Reizen überfordert. Der Jura ist dafür perfekt geeignet. Es ist eine liebliche, friedliche Gegend, sattgrün im Sommer, dünn besiedelt. Sie scheint so anders als die restliche Schweiz. Die Schmalspurzüge der «Chemins de fer du Jura» sind herzig und selten stark besetzt. Im Fensterkino: grasende Kühe, Pferdeherden auf Hochweiden und Tannenwälder à discretion. Bahnfans registrieren zudem auf der Fahrt vom ­Kanton Neuenburg in den Kanton Jura erfreut zwei Spitzkehren. Wanderlustigen sei ein Zwischenstopp in Saignelégier empfohlen, von wo aus der colafarbene Moorsee Étang de la Gruère etwa 75 Gehminuten entfernt liegt.

Route: Neuchâtel–La Chaux-de-Fonds (IR66 oder RE6), La Chaux-de-Fonds–Glovelier (R36), Glovelier–Delémont (S3); 2 Stunden 10 Minuten, 2 Umstiege

Tipp für Neuchâtel: Der weit in den See ragende Steg «La Passerelle
de l’Utopie» ist ein beliebtes Fotosujet an der mediterranen Uferpromenade.
Tipp für Delémont: Die Altstadt von Delémont ist (noch) ein kleiner Geheimtipp. Unbedingt durchschlendern.

  • Buchtipp: Ruedi Eichenberger, «Schweizer Bahnreiseführer», 420 S. , CHF 48.–, AS Verlag
  • Webtipp: Gratis so tun als ob, Zugreisen mit dem Youtube-Kanal «Rail Relaxation» – mit Sicht aus dem Führerstand. Entschleunigend!

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