Der Waschbär, einst aus Amerika eingeführt, sorgt in manchen deutschen Städten für Aufsehen. Auch in der Schweiz sind diese anpassungsfähigen Kleinbären ab und zu beobachtet worden, doch bleiben sie bisher selten.
Text: Esther Wullschleger Schättin
Waschbären sind herzig, etwa katzen- bis fuchsgross und mit der typischen schwarzen Augenbinde im spitz zulaufenden Gesicht unverkennbar. In der Schweiz sind Begegnungen mit diesen tierischen Neubürgern die Ausnahme, doch in manchen Städten Deutschlands wie Kassel kennt man sie nur zu gut. Kassel gilt als «Hauptstadt der Waschbären», sorgen die vorwitzigen Tiere dort doch in grosser Zahl für Zwischenfälle. Sie plündern Abfalleimer und suchen Häuser heim, gerne über die Regenrinne, an der sie ohne Probleme emporklettern, um das Dach zu erreichen. Manch einer ist schon durch das Katzentürchen in ein Haus gelangt, wenn darin Nahrung lockte.
Die Waschbären stammen aus Nord- und Mittelamerika und wurden in den 1920er- bis 1930er-Jahren in europäische Pelztierfarmen verbracht, wo sie ein trauriges Dasein fristen mussten. 1934 wurden Waschbären in Hessen auch gezielt freigelassen, da man die Tiere ansiedeln wollte. Die anpassungsfähigen Kleinbären breiteten sich im Lauf der Zeit von den Gebieten her aus, wo sie in die Natur entkamen oder freigelassen wurden. In der Schweiz tauchten sie erstmals 1976 in Schaffhausen auf. Seither werden Waschbären in tieferen Lagen des Landes vor allem nördlich der Alpen ab und zu gesehen, doch scheint es sich weiterhin meist um Einzeltiere zu handeln.
Flexible Allesfresser
Sie besiedeln eine Vielzahl von Lebensräumen, solange diese nicht zu trocken sind, bevorzugen jedoch gewässerreiche Laubmischwälder, wie Auenwälder, mit alten Baumbeständen. Ihre Baue legen sie oft in hohlen Baumstämmen oder in ähnlichen Nischen an – im Siedlungsraum auch in den Dachstöcken von Gebäuden. Die flexiblen Allesfresser sind meist nachts oder während der Dämmerung unterwegs und suchen ihre Nahrung als Stöberer, wobei sie ein ausgezeichneter Geruchssinn leitet. Ebenfalls hilfreich sind ihre kleinen Greifhände, die mit feinstem Tastsinn ausgestattet sind. Im Wasser tasten sie damit nach Beute wie Insektenlarven, Krebsen oder anderen Kleintieren, die sie äusserst geschickt erfassen. In den Siedlungsgebieten können Waschbären wegen des reichen Nahrungsangebots und vieler Versteckmöglichkeiten sehr viel höhere Populationsdichten erreichen.
Auf keinen Fall dürfen diese Tiere zusätzlich gefüttert werden. Ähnlich wie die Stadtfüchse werden sie recht schnell zutraulich und «frech», und wie bei anderen Wildtieren können sich über ihre Bisse Krankheiten übertragen. Auch der Waschbärspulwurm, der sich über den Kot dieser Tiere überträgt, ist in manchen Gebieten mit hoher Waschbärdichte aufgetreten.
Ab auf den Wolkenkratzer
Als exotische Tierart ist der Waschbär in der Schweiz nicht geschützt und kann von Jägern ganzjährig erlegt oder eingefangen werden, um einer Festsetzung des Tieres im Land vorzubeugen. Waschbären sind Neozoen, also tierische Neubürger, die durch den Menschen von weither an einem fremden Standort angesiedelt wurden. Deshalb können sie schädliche Auswirkungen im Gefüge der Natur haben, welche an den Fremdling nicht angepasst ist. Der Umgang mit solch tierischen Neuzuzügern sorgt immer wieder für Kontroversen und schwierige Situationen. In Deutschland jedenfalls kann der stark angewachsene Waschbärbestand wohl kaum mehr völlig entfernt werden. Gebietsweise können Waschbären gefährdete einheimische Tierarten zusätzlich unter Druck setzen. Seltene bodenbrütende Vögel wie der Kiebitz müssen vor ihnen ebenso wie vor dem Fuchs bestmöglich geschützt werden.
Dass die kletter- und schwimmtüchtigen Neubürger auch Vogelnester an unzugänglichen Felshängen oder ähnlichen Stellen aufspüren und erreichen, bewies ein Waschbär im deutschen Ahrtal gleich selbst. Er stöberte ein Uhunest auf, das von einer Webcam der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen «überwacht» wurde, als die Uhumutter auf Nahrungssuche war. Die jungen Uhus hatten keine Chance, sich gegen den Angreifer zu verteidigen, wie sich vor laufender Kamera zeigte.
In ihrer amerikanischen Heimat haben sich Waschbären ebenfalls als innovative Anpassungskünstler im Siedlungsraum erwiesen. Doch manchmal wird es vermutlich auch ihnen zu viel. Ein Waschbär, der in einer Stadt im amerikanischen Minnesota aufgeschreckt wurde, kletterte seiner Natur gemäss in die Höhe. Sein Refugium war aber ein 25-stöckiger Wolkenkratzer der Bank UBS mit einer Fassade mit unebener Oberfläche. Das kleine Bärchen kletterte unentwegt weiter und ruhte sich zwischenzeitlich auf den Fenstersimsen aus, bis es das Dach erreichte. Dort konnte das verwegene Tier eingefangen und in Sicherheit gebracht werden.
Waschbären gehören verwandtschaftlich zu den Kleinbären, eine mit den Mardern verwandte Tiergruppe aus der Neuen Welt. Zu ihren Verwandten zählen die vorwitzigen Nasenbären aus Mittel-und Südamerika, aber auch seltene und wenig bekannte Spezies wie der Olinguito. Olinguitos sind die kleinsten und merkwürdigsten der Kleinbären. Sie leben in den Bergnebelwäldern von Ecuador und Kolumbien auf Bäumen und verzehren vor allem Früchte. Erst in den 2000er-Jahren wurden diese «Anden-Makibären» als eigene Art identifiziert und in der Natur fotografiert! Sie leben in höheren Lagen als ihre nächsten Verwandten, die Olingos.
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