Die Sexualmedizinerin Eliane Sarasin beantwortet Ihre Fragen zu Liebe, Partnerschaft und Sexualität – ohne Tabus und falsche Scham.
«Vor drei Jahren ist mein Mann gestorben. Nun habe ich kürzlich auf einer Wanderreise einen neuen Partner kennengelernt. Dass ich mich noch einmal verlieben würde, hätte ich nie gedacht! Doch jetzt, wo es darum geht, miteinander intim zu werden, bin ich plötzlich verunsichert: Kann ich ihm meinen alten Körper zumuten? Will ich das überhaupt?» Elisabeth, 72
Zuerst einmal möchte ich meine Freude darüber ausdrücken, dass Sie im fortgeschrittenen Alter eine neue Liebe erleben dürfen. Das ist wunderbar! Gleichzeitig höre ich aus Ihrer Frage viel Scham heraus. Scham, Ihren Körper so zu zeigen, wie er jetzt ist, mit all seinen Alterserscheinungen. Sie empfinden ihn als «Zumutung» und befürchten, Ihr Freund könnte das ebenso sehen – was in der Tat sehr verletzend wäre.
Doch lassen Sie uns das Gefühl der Scham ein bisschen genauer betrachten. Einerseits hat sie mit Selbstabwertung zu tun. Hinter der Scham steckt die Angst, zurückgewiesen zu werden, es «nicht wert» zu sein. Sie kann uns daran hindern, neue Erfahrungen zu machen, die eigentlich wichtig für uns wären. Andererseits ist die Scham auch eine Wächterin der Grenzen unserer Intimsphäre. Wenn Sie sich schämen, ist das ein wichtiges Signal, das Sie nicht einfach ignorieren sollten.
Fragen Sie sich, ob Sie schon so weit sind, sich einem neuen Mann hinzugeben. Fühlt es sich richtig an, ihn so nahe an sich heranzulassen? Oder ziehen Sie es nur in Betracht, weil er es will? Ist Ihre Trauer noch sehr präsent? Brauchen Sie mehr Zeit? Käme Ihnen Sex mit einem neuen Partner sogar vor, als ob Sie Ihren verstorbenen Mann betrügen würden? Da sollten Sie gut in sich hineinhören.
Wenn Sie sich jedoch bereit fühlen für eine neue Beziehung und vielleicht sogar annehmen, Ihr verstorbener Mann würde sich darüber freuen, dass Sie wieder jemanden an Ihrer Seite haben, dann sollten Sie an Ihrem Selbstwertgefühl arbeiten. Versuchen Sie, einen liebevolleren Blick auf Ihren Körper zu bekommen. Seien Sie stolz darauf, dass er Sie schon so lange durch Ihr Leben trägt. Die Spuren, die die Zeit an ihm hinterlassen hat, gehören zu Ihnen, wie Ihre Erinnerungen und Erfahrungen. Cremen Sie liebevoll Ihre trockene, faltige Haut ein. Wenn man sich gut pflegt, gibt einem das auch das Gefühl, attraktiv zu sein. Meinen Brustkrebs-Patientinnen sage ich deshalb oft, dass sie ihre Narben eincremen sollen, um wieder einen freundlicheren Blick auf sich zu bekommen. Solche Rituale können sehr hilfreich sein.
Sexuelle Anziehung hat wenig damit zu tun, wie viele Falten jemand hat. Viel wichtiger ist die Ausstrahlung. Reduzieren Sie sich nicht auf Ihre körperlichen Altersveränderungen. Behandeln Sie sich selbst wie Ihre beste Freundin. Versuchen Sie, mit Ihrem selbstbewussten und begehrenswerten Ich Kontakt aufzunehmen. Und vor allem: Sprechen Sie mit Ihrem neuen Partner über Ihre Ängste und Zweifel. Damit öffnen Sie auch ihm eine Tür. Wer weiss, vielleicht geht es ihm ja ähnlich. Natürlich, es ist keine leichte Übung, so offen miteinander umzugehen. Indem Sie zu Ihrer eigenen Verletzlichkeit stehen, zeigen Sie jedoch Stärke. Und das wiederum macht Sie zu einer begehrenswerten, attraktiven Frau.
Hier lesen Sie ein Interview mit unserer Expertin, und hier finden Sie die anderen Beiträge dieser Rubrik.
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