Mit Schockanrufen ergattern Telefonbetrüger viel Geld – auch in der Schweiz. Dabei gehen die Täterinnen und Täter so geschickt vor, dass selbst erfahrene Kriminologen in die Falle tappen.
Als beim Frühstück das Telefon klingelt, traut Erwin Bruppacher seinen Ohren nicht: «Guten Tag Herr Bruppacher, Müller von der Verkehrspolizei Winterthur. Ihr Sohn hat ein Kind totgefahren. Damit Sie Ihm einen Gefängnisaufenthalt ersparen können, müssen Sie eine Kaution bezahlen. Ein Polizist wird den Betrag von 50’000 Franken am späteren Nachmittag bei Ihnen abholen.»
Geschockt von der schrecklichen Nachricht macht sich Herr Bruppacher sogleich auf zur Bank und hebt das Geld ab und wartet zu Hause. Der Zufall will es, dass ihn sein Sohn anruft, der nichts von einem Verkehrsunfall weiss, sondern wohlauf mit seinem Hund am Spazieren ist.
Sogenannte Schockanrufe wie in diesem erfundenen Beispiel haben sich in den letzten Monaten gehäuft. Die Masche folgt einem vielfach erprobten Muster: Meist werden ältere Menschen von falschen Polizisten kontaktiert. In einem Horrorszenario – in der Regel Autounfall mit Todesopfer – wird ein Kind oder Enkelkind als Täter oder Täterin beschrieben, dem oder der eine Gefängnisstrafe droht. Gegen Bezahlung eines hohen Geldbetrags könne diese aber abgewendet werden. Das Zeitfenster, um das Ungemach zu verhindern, ist stets eng. So wird Druck auf das Opfer aufgebaut. Manchmal doppelt auch eine weitere Person nach, die sich wiederum als Polizist oder Staatsanwalt ausgibt, um den Stress zu erhöhen. Der Betrag soll dann an einem bestimmten Ort einem Polizisten übergeben werden oder dieser holt das Geld ab.
Wer nun glaubt, dass er oder sie nicht Opfer eines solchen Schockanrufs werden könnte, sollte sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen wie das Beispiel des Kriminologie-Professors und ehemaligen Justizministers von Niedersachsen, Christian Pfeiffer, zeigt. Auch er erhielt im vergangenen Jahr einen Anruf, in dem behauptet wurde, dass seine Tochter ein Kind totgefahren habe. «Ich habe mich in einer Weise verhalten, die ich nicht für möglich gehalten hätte», sagte der 78-Jährige. Nur durch Glück kam er den Betrügern auf die Schliche. Das Gespräch mit der «Polizistin» wurde unterbrochen. Pfeiffer rief bei der Polizei an und wollte mit «Frau Mertens» verbunden werden. Dort klärte sich der Sachverhalt auf. «Die Beamtin sagte sehr sensibel und gescheit: ‘Also Herr Pfeiffer, ich muss es Ihnen sagen, das war Fake‘», erzählte der Kriminalexperte gegenüber dem Norddeutschenrundfunk.
Diese fiese Form des Telefonbetrugs wird von gut organisierten Banden betrieben. Gemäss einer Medienmitteilung der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich wurden im vergangenen Herbst auf ihr Ersuchen hin in der türkischen Stadt Izmir Hausdurchsuchungen durchgeführt. Bei der Aktion wurden mehr als zwei Dutzend Personen verhaftet. Sie stehen unter dem Verdacht, als Telefonbetrüger eine grosse Anzahl von Opfern in der Schweiz um hohe Vermögenswerte gebracht zu haben.
Doch was tun, wenn man den Eindruck hat, einen Betrüger am Telefon zu haben? «Einfach aufhängen», emp- fehlen die Expertinnen und Experten, denn die Täter bauen mit ihren Horrorszenarien einen grossen Druck auf. Das Telefon auflegen mag zwar unhöflich erscheinen, aber ist der beste Weg, um sich Luft zu verschaffen. Und: Echte Polizistinnen und Polizisten verlangen nie Geld am Telefon.
Neben den Print-Ausgaben der Zeitlupe erhalten Sie Zugang zu sämtlichen Online-Inhalten von zeitlupe.ch, können sich alle Magazin-Artikel mit Hördateien vorlesen lassen und erhalten Zugang zur Online-Community «Treffpunkt».
Um diese Website optimal bereitzustellen, verwenden wir Cookies.
Mit der Nutzung dieser Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Erfahren Sie mehr in der
Datenschutzerklärung.