Mein erstes Mal … bei einer Grabaufhebung

Neue Erfahrung bei nicht alltäglichen Erlebnissen. Diesmal: Liturgische Feier zur Grabaufhebung.

Marco Hirt, Stv. Chefredaktor Zeitlupe
Marco Hirt
Stv. Chefredaktor

Es ist ein Schreiben, mit dem wohl alle ­konfrontiert werden: In nüchternem Tonfall informiert die Gemeinde über die Grab­räumung von Angehörigen. Ein Termin gibt an, ab wann auf dem Friedhof nichts mehr an die dort beigesetzten Personen erinnert. Bevor es bei meinen Grosseltern so weit war, entschieden wir in der Familie, uns bei ihnen nochmals zu versammeln und am Platz, den sie sich für ihre letzte Ruhe gewünscht hatten, in Gedanken bei ihnen zu sein.

So überraschte es mich, als bei meinem ­Vater zwar das Ende der Grabesruhe, gleichzeitig aber auch eine liturgische Feier angekündigt wurde. «Vor der Aufhebung wollen wir uns vom Ort des Erinnerns verabschieden und der Verstorbenen gedenken», schrieb Pfarrerin Christine Bürk von der ­Reformierten Kirche Leerau. Eine Einladung, die auf grossen Anklang stiess. An die 150 Angehörige versammelten sich an einem Sonntagnachmittag auf dem Friedhof im aargauischen Kirchleerau: 88 Gräber wurden aufgehoben, 88 Mal läutete die Totenglocke. Christine Bürk nannte die Namen der Verstorbenen, sprach Gottes Segen, und ein Duo liess Akkordeon und Geige als ­Zwischenspiel ertönen. Ein friedvoller Moment – und ich habe meinen Vater vor Augen, sein Lachen, seine Stimme. Ich schaue zum Grabstein, im Blick sein Todesjahr 1997. Wie viel Zeit seither vergangen ist, denke ich, wie viele Jahre wir nicht teilen konnten.

Friedhof mit schönem Baum im Licht.
© plainpicture/ Marcus Bastel

«Was bleibt von einem Menschen, wenn nicht einmal der letzte Ruheort vor Veränderung verschont bleibt?», fragt Christine Bürk in ihrer tröstlichen Predigt später in der Kirche. «Es ist die Liebe in unseren Herzen, die bleibt», sagt sie und blickt auf den Taufstein, wo für die Verstorbenen 88 Kerzen brennen. «Da ich neben dem Friedhof wohne, treffe ich regelmässig Menschen an, die ein Grab besuchen, um es zu pflegen und dort zu verweilen», erklärt sie mir später. «Als ich von der Aufhebung las, kam mir die Idee, eine liturgische Feier zu machen.» Sie sei überwältigt gewesen vom Interesse. «Das bestätigte mir, dass es für manche Hinterbliebene wichtig ist, eine Grabaufhebung mit einem christlichen Ritual, mit einem Gebet und mit Gottes Segen zu begleiten.»

Und so schliesst sich der Kreis für meinen Papi – von Geburt bis Tod und dem Ende der Grabesruhe – auf behutsame Weise.

Eine Gedenkfeier zur Grabaufhebung hatte Pfarrerin Christine Bürk zuvor auch noch nie ausgerichtet. Die vielen Anwesenden hätten ihr bestätigt, dass dies sehr begrüsst wurde. Heutzutage findet das Aufheben von Gräbern meist sang- und klanglos statt.

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