Brennnesseln sind im Hobbygarten ungern gesehen. Dabei bringen die Stauden Qualitäten in die Beete, die den meisten anderen Pflanzen abgehen. Ein Plädoyer für eine verschmähte Spezies.
Text: Roland Grüter
Wegwarte, Schafgarbe, Wiesensalbei: Im naturnahen Gärtnern kommen viele heimische Wildstauden zum Einsatz, denn sie geben Insekten und anderen Tieren Nahrung – und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt. Dieser Adelsschlag blieb der Brennnessel bislang verwehrt. Sie wird noch immer in der Gartenkunst meist als lästiges Unkraut gesehen und gejätet, wo immer sie in Menschennähe wächst. Dabei ist der ökologische Wert dieser Wildstaude immens. Zahlreiche Insekten, darunter 50 Schmetterlingsarten, leben von ihren Blättern. Admiral, Kleiner Fuchs und Tagpfauenauge beispielsweise sind auf die Pflanze angewiesen. Im Klartext: Wer Brennnesseln aus den Beeten verbannt, verschliesst diese gleichzeitig auch diesen Flüglern.
Später Adelsschlag
Anhänger der Naturheilkunde versuchen nun das Image der Brennnessel zu korrigieren – sie erklärten sie zur Heilpflanze des Jahres. Denn in der Hausapotheke ist das Kraut seit Jahrhunderten gern gesehen und anerkannt. Bereits 400 vor Christus schätzte Hippokrates deren vielfältigen Wirkungen. Sie ist leicht harntreibend, entzündungshemmend, schmerzstillend, durchblutungsfördernd und immunmodulierend, wird im Kampf gegen Rheuma, Gicht, Ischias, Hexenschuss, Allergien, verschleimte Lungen und Bronchien eingesetzt. Ein wahres Teufelskraut also.
Im Garten lässt die Anerkennung jedoch auf sich warten. Zugegeben: Brennnesseln sind nicht sonderlich hübsch, ihre unscheinbaren Blüten sind keine Augenweide. Darüber hinaus untergraben sie die Autorität der Hobbygärtnerinnen und -gärtner. Denn sie lassen sich unterirdische Ausläufer wachsen und beanspruchen über die Jahre immer mehr Platz. Auch ihr Wesen ist sperrig. Die Verschmähte speichert in ihren Brennhärchen an Blättern und Stielen ein tückisches Kontaktgift. Ein Zehntel Mikrogramm davon genügt, um Fressfeinde und übermotivierte Gärtnerinnen und Gärtner fernzuhalten. Wer deren Kraft missachtet, hat zu leiden: Auf der Haut bilden sich juckende Quaddeln, sobald man Blätter und Stiele anfasst – also Vorsicht!
Diese Anarchie wird im Hobbygarten ungern gesehen – Pflanzen haben dem Menschen zu gefallen und ihn nicht zu vergällen. Ein weiterer Grund, weshalb sie auf der Hitliste der Gartenstauden ganz weit unten stehen.
Fasern für feinstes Tuch
Die Vorbehalte erstaunen trotzdem, denn Brennnessel und Mensch sind seit Jahrhunderten ein bewährtes Team. Bereits in der Antike wurde aus deren Fasern feinstes Tuch gewoben oder Schnüre und Taschen gefertigt. Ihre Fasern wurde in der Papierproduktion genutzt und die Blätter färbten Wolle grün. Darüber hinaus füllt das Kraut seit je hungrige Mägen, ob als Suppe, Salat oder Spinatersatz. Denn durch die Verarbeitung in der Küche verliert sie ihr tückisches Gift – und zeigt sich schmackhaft und freundlich.
Höchste Zeit also, dieser Spezies mehr Raum zu bieten. Man muss sie ja nicht zwingend vor dem Liegestuhl wachsen lassen. Sie lässt sich willig in eine entlegene Ecke rücken. Auch Pflege bedarf sie wenig, dafür etwas mehr Respekt. Die Natur wird dadurch ein gutes Stück reicher.
Diese Eigenheiten zeichnen Brennnesseln aus
Die Stauden sind mit Brennhärchen besetzt, die wie Glas brechen, wenn man sie berührt. Die Folge: juckende Bläschen auf der Haut. Diese lassen sich mit kaltem Wasser oder Aloe-Vera-Gel mindern.
Man braucht sie nicht extra auszusähen. Sie wandert oft zu, so wie viele Wildstauden.
Sie sind genügsame Gewächse, lieben zwar humus- und nährstoffreiche Böden, gedeihen aber auch an anderen Lagen, egal ob diese im Schatten oder in der Sonne liegen.
Sie begünstigen die Humusbildung, aktivieren Mikroorganismen und tragen damit zur Gesundung der Böden bei.
Alle Pflanzenteile, auch die Wurzeln, werden in der Hausapotheke genutzt. Teeaufgüsse aus getrockneten Blättern mildern beispielsweise die Schmerzen bei allerlei Gelenkerkrankungen und fördern die Wasserausscheidung, etwa bei Harnwegsinfekten. Tinkturen wiederum pflegen Kopfhaut und Haare. Deshalb wurde die Brennnessel zur Heilpflanze des Jahres erkoren.
Brennnesseln gelten als Superfood. Sie enthalten viel Vitamin C, aber auch Eisen, Magnesium und Kalium.
Sie agieren als sogenannte Zeigerpflanzen. Wo sie wachsen, ist der Boden stickstoffreich und feucht.
Aus den Blättern lassen sich Jauchen herstellen, auf die naturnahe Gärtner schwören.
Daraus gewonnene Brühen sind ein erprobtes bio-logisches Spritzmittel gegen Schädlinge (Blattläuse) und Pilzkrankheiten.
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