Rund 16 000 Menschen erleiden jährlich in der Schweiz einen Hirnschlag. Schnelles Handeln schützt Betroffene vor vielen Folgen. Darauf verweist eine nationale Präventionskampagne.
Text: Roland Grüter
Die Schicksalsnacht liegt zwar erst fünf Monate zurück. Mittlerweile steht Urs Gloor (65) aber wieder mit beiden Beinen im Leben. Wer dem Mann begegnet, kann sich nur schwer vorstellen, dass sein Leben in der Nacht vom 30. Mai an einem seidenen Faden hing. Damals kehrte er mit seiner Lebenspartnerin von einem Abendessen in seine Ferienwohnung am Thunersee zurück. Urplötzlich sackte er in sich zusammen und sprach unverständliche Dinge. Die Freundin – eine Gynäkologin – las die Zeichen richtig und alarmierte umgehend den Rettungsdienst: Hirnschlag. Kurze Zeit später lag Urs Gloor in der spezialisierten Abteilung des Berner Inselspitals. Neurologen entfernten das Blutgerinnsel aus dem Kopf des sonst gesunden Unternehmers. «Dieses hatte zwei grosse Arterien verschlossen und zu den Ausfällen geführt», sagt Urs Gloor.
In der Schweiz werden jährlich gegen 16 000 Menschen von einem Hirnschlag getroffen – 85 Prozent von ihnen sind älter als 65 Jahre. Die gute Nachricht: Fast die Hälfte der Patientinnen und Patienten erholen sich vom Hirnschlag komplett und müssen langfristig kaum Einschränkungen hinnehmen. «Dafür aber ist schnelles Handeln erforderlich», sagt Prof. Dr. Marcel Arnold, Chefarzt in der Universitätsklinik für Neurologie und Leiter des Stroke Centers des Inselspitals Bern. Will heissen: Betroffene müssen innert kürzester Zeit eine der über weit über 20 Schweizer Stroke Centers und Stroke Units erreichen, also neurologische Fachabteilungen oder -einrichtungen. Diese sind quer übers Land verteilt und innert 30 Minuten per Krankenwagen oder Helikopter erreichbar.
Gerinnsel umgehend auflösen oder entfernen
Der Zeitfaktor ist entscheidend, wie wirksam Hirnschlagbetroffene behandelt werden können. Zur Erklärung: Bei einem Hirnschlag verschliesst ein Blutgerinnsel (Thrombus) eine Arterie im Hirn. Das dahinter liegende Hirnareal wird nicht länger mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Die Zellen werden geschädigt oder sterben gar ab: Jene Körperfunktionen (Bewegen, Sehen, Sprechen), die im entsprechenden Hirnteil gesteuert werden, fallen aus. Um den Schaden möglichst klein zu halten, müssen Gerinnsel umgehend (in den ersten sechs Stunden nach einem Schlaganfall) medikamentös aufgelöst oder operativ entfernt werden. «Jede dritte Patientin, jeder dritte Patient erreicht uns noch immer zu spät», sagt Neurologe Marcel Arnold.
Deshalb hat die Schweizerische Herzstiftung unlängst eine nationale Präventionskampagne lanciert, in der auf das richtige Verhalten verwiesen wird. Bei einem kleineren Hirnschlag (Streifung, Schlägli) können Menschen oft selber Hilfe anfordern. Bei grösseren Vorfällen sind sie häufig auf die Reaktion anderer angewiesen. Was ist also nach einem Schlaganfall zu tun? «Umgehend den Rettungsdienst anrufen, also die Nummer 144», sagt Marcel Arnold. «Die Verantwortlichen sind mit dem Prozedere vertraut und werden das nächstgelegene spezialisierte Spital ansteuern», sagt er.
«Zeit ist Hirn», folgert die Schweizerische Herzstiftung in der Präventionskampagne – und listet die häufigsten Symptome auf, die auf einen Schlaganfall verweisen: plötzliche Lähmungen (meist auf einer Körperseite), Gefühlsstörungen, plötzliche Blindheit (oft nur auf einem Auge) oder Doppelbilder, Sprachstörungen oder Schwierigkeiten, Gesprochenes zu verstehen. Manche dieser Warnzeichen halten nur wenige Minuten an und verschwinden danach komplett, weil sich ein Blutklümpchen spontan auflöst oder ein Gefäss nur teilweise verschliesst – dann spricht man von einer Streifung, einem Schlägli. «Auch hier ist Handlungsbedarf gegeben», sagt Marcel Arnold. Denn bei mehr als 10 Prozent der Betroffenen folgt auf diese scheinbar harmlosen Symptome ein Schlaganfall. «Deshalb ist es wichtig, sich sofort untersuchen zu lassen», so Marcel Arnold. Die Ursachen eines Schlaganfalls sind vielfältig: Unter anderem bewirken altersbedingte Herz- oder Gefässschwächen den Thrombus, aber auch ein ungesunder Lebensstil.
Glück im Unglück
Bei Urs Gloor blieb die Ursache bislang unerkannt. Nachdem er aus der Narkose erwachte, konnte er kaum sprechen, nicht lesen und schreiben. Er musste sich seinen Wortschatz in Therapien zurückerobern. «Man hielt mir Bilder von Tieren hin. Ich hatte aber keine Ahnung, was darauf zu sehen war.» In der dreimonatigen Rehabilitation, die der Operation folgte, konnte er die meisten Lücken füllen. Einzig die Schreibschwäche ist geblieben: «Aber auch hier mache ich stetig Fortschritte.» Überhaupt ist der Mann optimistisch, den Rückschlag bald komplett zu überwinden – und wieder in sein altes Leben zurückzukehren. «Genau genommen ist es mein zweites», sagt er: Ich hatte grosses Glück imUnglück.»
Mehr Informationen zur Präventionskampagne der Herzstiftung und zum Thema «Hirnschlag» finden Sie unter: http://www.hirnschlag.ch.
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