Allenthalben wird beschrieben, wie stark alte Menschen in den Altersheimen unter Corona leiden: aufgrund der vielen Einschränkungen. Rebecca Bucher, Wohngruppenleiterin im Alters- und Pflegeheim Sunnematte, Escholzmatt LU, hält Rückschau auf schwierige Zeiten. Ihre Bilanz fällt milder aus.
Aufgezeichnet: Roland Grüter
«Bei uns werden grundsätzlich keine Menschen weggesperrt; das war vor Corona so und war während der Pandemie nicht anders. Zwar schützten auch wir unsere Bewohnerinnen und Bewohner bestmöglich vor dem Virus – aber mit festem Blick auf deren Lebensqualität. Was nützt es, wenn alte Menschen vom Virus verschont bleiben, aber todunglücklich sind, weil sie all die schönen Dinge hergeben müssen, die ihnen in der letzten Phase des Lebens geblieben sind? Einsamkeit und Unwohlsein belasten die Menschen auch. Und der Moment zählt für alte Menschen oft mehr als der Ausblick in eine ferne Zukunft.
Die Sorge war gross
Anfangs hatte ich Angst, dass viele der Menschen wegsterben, die ich betreue. Sie sind alt und angeschlagen und gehörten damit zur Hochrisikogruppe. Deshalb trugen meine Arbeitskolleginnen und ich im öffentlichen Verkehr und beim Einkauf Masken, lange bevor die Tragepflicht diskutiert wurde. Wir wollten ja niemanden gefährden, deshalb waren und sind wir in unserer Freizeit doppelt vorsichtig, wenn wir andere treffen.
Zur Person
Rebecca Bucher ist Pflegefachfrau FH. Sie leitet seit 2016 im Alters- und Pflegeheim Sunnematte in Escholzmatt LU die geschützte Wohngruppe, in der aktuell 14 demenzkranke Menschen leben. Das Betreuungskonzept sieht vor, dass die Türen zur WG geöffnet bleiben. Der Umgang mit den alten Menschen ist ausgesprochen persönlich – institutionelle Strukturen werden bestmöglich verwischt.
Im Alters- und Pflegeheim, in dem ich arbeite, hatten wir während des Lockdowns ein eigenes Schutzkonzept erstellt: Wir beschlossen, Spaziergänge zuzulassen. Eine Umarmung war uns wichtiger als Zwei-Meter-Distanz. Wir bemühten uns, den Kontakt zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren Liebsten nicht ganz abreissen zu lassen: mit Skype und anderen Hilfsmitteln. Natürlich liessen sich nicht alle Lücken schliessen. Eine Frau, die in meiner geschützten Wohngruppe lebt, bekommt in der Regel zwei Mal täglich Besuch von ihrem Mann. Auf einen Schlag konnte sie ihn nicht mehr sehen. Die Frau ist zwar kognitiv stark angeschlagen – trotzdem realisierte sie, dass sich ihr Leben verändert hatte. So etwas lässt sich nicht schönreden.
Zweifelsohne: Unsere Bewohnerinnen und Bewohner haben die Corona-Zeit besser überstanden, als ich annahm. Und besser als die meisten Angehörigen sowieso. Die hielten das Kontaktverbot oft schlechter aus als unsere Bewohnerinnen und Bewohner – und verstanden nicht immer, wenn wir ihnen manches verbieten oder verwehren mussten. Sie wollten ihre Mütter und Grossmütter, Väter und Opas weiterhin sehen und litten unter den Einschränkungen sehr, insbesondere unter dem zweimonatigen Besuchsverbot. Das verstehe ich. Doch wir mussten sie fernhalten. Einzig wenn jemand im Sterben lag, machten wir Ausnahmen. Dann liessen wir unter Auflagen Besuche zu – Ausnahmesituationen bedürfen manchmal Ausnahmeregelungen.
Ich leite eine Wohngemeinschaft mit 14 demenzkranken Frauen und Männern. Auch bei uns steht die Türe weit offen. Wir versuchen für die Menschen einen Lebensraum zu schaffen, der ihnen möglichst viel Freiraum für individuelle Gewohnheiten und Wünsche bietet. Entsprechend klein ist deren Drang, fortzulaufen. Das funktioniert erstaunlich gut. Bei uns gibt es keine fixen Tagesstrukturen. Nicht wir geben den Menschen vor, was sie zu tun oder zu lassen haben – sie zeigen uns, was sie wollen. Jede und jeder darf weitmöglichst über sich selber bestimmen: etwa, wann sie frühstücken, duschen oder ins Bett gehen wollen. Bei uns gibt es kein Machtgefüge zwischen Betreuenden und Betreuten. Wir stehen auf Augenhöhe, leben den Alltag gemeinsam. Dazu gehört auch, dass wir keine Arbeitskleidung tragen, diese würde uns von den Bewohnern abheben. Ausserdem lassen wir Körperlichkeiten zu, schliessen die Menschen in die Arme, wenn sie danach suchen. Diese Vertrautheit hat sich während des Corona-Lockdowns bewährt. Sie hat uns sozusagen durch die Krise getragen.
Maske behindert den Austausch
Was eine Herausforderung war und noch immer ist: die Masken. Sie behindern den Austausch mit den demenzkranken Menschen stark. Viele verstehen uns nicht mehr, da unser halbes Gesicht bedeckt ist. Sie können unsere Mimik und Lippen nicht lesen – was im Umgang sehr hinderlich ist. Also treten wir in Gesprächen jeweils etwas zurück und ziehen uns den Schutz kurz ins Kinn. Überhaupt versuchen wir erst gar nicht, krampfhaft auf den Sicherheitsabstand zu pochen. Wie könnten wir? Ein demenzkranker Mensch begreift ohnehin nicht, weshalb er Distanz halten soll. Würden wir sie zurückweisen, wäre das für die meisten unbegreiflich und schlimm.
Es sind schon verrückte Zeiten, die hinter uns liegen. Summa summarum war die Katastrophe aber kleiner als ursprünglich befürchtet. Trotz der Einschränkungen und erforderlichen Anpassungen fanden wir schnell zu einer Normalität zurück, sie war bloss etwas anders als vor Corona. In der Arbeit mit dementen Menschen wird Normalität ohnehin ständig infrage gestellt – in Zeiten wie diesen halt ein bisschen mehr.»
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