Viele Menschen haben erhöhte Blutfettwerte im Blut. Diese allein stellen noch keinen Grund für die Einnahme von Medikamenten dar. Das hängt auch von der Lebensweise und verschiedenen Risikofaktoren ab.
Text: Martina Novak
«5.8 Millimol pro Liter! Mein Gesamtcholesterin ist zu hoch. Auf dem Laborblatt stand, ich solle meinen Lifestyle ändern … Aber was soll ich denn noch ändern? Ich ernähre mich möglichst gesund und ausgewogen, treibe Sport und rauche nicht.» Die 55-jährige Patientin, von der diese Aussage stammt, ist keine Ausnahme. Bei grossen Teilen der Schweizer Bevölkerung sind die Blutfettwerte – Cholesterin HDL, Cholesterin LDL und Triglyceride – erhöht. Das heisst, sie liegen nicht im Bereich der empfohlenen gesunden Zielwerte (Ausnahme: HDL).
Unterschiedliche Grenzwerte
Die Interpretation der gemessenen Werte im Verhältnis zu den offiziellen Zielwerten sei kompliziert und müsse bei jeder Patientin und jedem Patienten individuell erfolgen, weil sie von verschiedenen Faktoren abhänge, sagt Nicolas Rodondi, Chefarzt, Leiter der Medizinischen Poliklinik für Allgemeine Innere Medizin am Inselspital Bern und Direktor des Berner Instituts für Hausarztmedizin (BIHAM). «Es gibt unterschiedliche Grenzen für jede Person, abhängig von ihrem individuellen Risiko. Daher ist es nicht sicher nützlich, dass alle Menschen ihre eigenen Cholesterinwerte kennen wie etwa den Blutdruck.» Denn die Grenzen für den Blutdruck seien einfachere Werte als die Grenzen für die Blutfette.
Entscheidende Kriterien für das persönliche Risiko sind Vorerkrankungen, die Herz, Gehirn und
Gefässe betreffen. Wer in der Vergangenheit einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatte, trägt ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Die Lebensweise mit der Art der Ernährung, der Menge an Bewegung und Nikotinkonsum ist massgebend für weitere individuelle Risiken. Mittels Online-Tabellen können Ärztinnen und Ärzte eine genaue Risiko-Kalkulation erstellen.
Mit dem Hausarzt reden
Was es im Einzelfall bedeutet, wenn die Laborwerte für «Cholesterin gesamt», «Triglyceride», «HDL-Cholesterin» und «LDL-Cholesterin» von der Norm abweichen, sollte der Hausarzt beurteilen und zusammen mit den Betroffenen diskutieren. Eine Messung alle fünf Jahre wird bei Menschen ab 40 Jahren empfohlen, oder häufiger, falls die Werte auffällig waren oder wenn eine Therapie befolgt wird. Ab 70 und bei guter Gesundheit ist keine Messung mehr nötig. Längst nicht bei allen Patientinnen und Patienten wird das Screening aber regelmässig durchgeführt. Für grundsätzlich gesunde Personen, die die Hausarztpraxis selten aufsuchen, ist die negative Überraschung daher umso grösser, wenn mit den Cholesterinwerten etwas nicht stimmt.
Selbst wenn Betroffene keine Beschwerden haben und sich in Bezug auf die Lipide im Blut eigentlich richtig verhalten, sollten abweichende Werte mit dem Hausarzt diskutiert werden, erklärt Nicolas Rodondi. Das «schlechte» LDL-Cholesterin kann schleichend zunehmen und ein Risiko für die Gesundheit der Blutgefässe und des Herzens darstellen. «Wegen der Laborwerte allein muss man sich in der Regel aber keine grossen Sorgen machen», so der Cholesterin-Experte. Wichtig sei es, diese so gut wie möglich individuell zu interpretieren und das ganze Bild anzuschauen.
Familiäre Vorbelastungen sind wichtig
Verschiedene Faktoren führen zu erhöhten Blutfettwerten. Das steigende Alter ist einer davon. Bei Frauen nach der Menopause bewirkt die hormonelle Veränderung einen noch grösseren Anstieg von Cholesterin, der diskutiert werden sollte. Wichtig sind die familiären Vorbelastungen. «Bei Personen, deren Elternteile oder Geschwister schon vor dem 65. Altersjahr einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben, besteht ein erhöhtes genetisches Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Da muss man die Cholesterinwerte gut im Auge behalten. Aber eine solche familiäre Hyperlipidämie kommt bei nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung vor», sagt Rodondi.
Patientinnen und Patienten mit einer kardiovaskulären Vorgeschichte kommen kaum um die medikamentöse Behandlung des Cholesterins (Sekundärprävention) zum Verhindern weiterer Ereignisse herum. Wann bei Personen ohne Risikofaktoren neben der regelmässigen Beobachtung ihrer Blutfettwerte und einer angemessenen Lebensweise eine medikamentöse Behandlung angesagt ist (Primärprävention), müssen Ärztin oder Arzt mit den Betroffenen gemeinsam erörtern. Die Statine können auch Nebenwirkungen zeigen, wie Muskelschmerzen, und dadurch die Lebensqualität beeinträchtigen.
Ernährung, Bewegung, Rauchverzicht
Auch wer Medikamente zur Senkung des LDL-Cholesterins nimmt, tut gut daran, die eigene Lebensweise anzupassen. «Ernährung, Bewegung und Rauchverzicht sind die drei Säulen, mit denen jede Person Einfluss nehmen kann», sagt Nicolas Rodondi. Durch eine mediterrane Ernährung mit mehr Gemüse, Olivenöl, Fisch und weniger Fleisch und Süssigkeiten mit gesättigten Fettsäuren aus Palmöl lasse sich das LDL-Cholesterin um etwa fünf bis zehn Prozent senken, aber das kardiovaskuläre Risiko noch mehr. Der positive Effekt dieser Ernährung auf das Gesamtrisiko für Herzkreislauferkrankungen mache sogar 30 Prozent aus, betont er. Mit regelmässiger moderater Bewegung wie Walking oder Velofahren hingegen wird das HDL, das gute Cholesterin, noch gesteigert, also verbessert.
Die eingangs erwähnte Patientin wird die Frage, wie sie ihre Blutfette selbst noch beeinflussen kann oder ob Medikamente in ihrem Fall wirklich nötig sind, mit ihrem Arzt klären. Die Option der medikamentösen Therapie würde sie in Kauf nehmen. Und notfalls auch auf den Kuchen zum Kaffee verzichten.

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