Schon so manches Mal wurde die Zeitlupe im vergangenen Jahrhundert zum Postillon d’amour. Sie bringt Menschen zusammen und lässt Herzen höherschlagen. So erging es auch Charlotte Knöpfli und Wilfried Schmidt, die über ein Inserat in der Zeitlupe zueinanderfanden.
Es war ein verregneter Sonntag vor fünf Jahren, als Charlotte Knöpfli den Entschluss fasste, ihrer Einsamkeit ein Ende zu setzen. Seit dem Tod ihres Mannes hatte sie schon so oft davon geträumt, wieder einmal zu verreisen. Allein erschien das der ehemaligen Verlagsautorin etwas trostlos. Als sie dann, zwischen Reiseberichten und Ferienbroschüren, in der Zeitlupe blätterte, blieb sie beim Inserateteil hängen. «Wieso eigentlich nicht?», fragte sich die heute 90-Jährige und griff kurzentschlossen zur Feder, um ein Inserat zu verfassen – das erste und einzige ihres Lebens. Kurz und bündig hiess es da: «Ältere, vitale und lebensfrohe Seniorin (Witwe) freut sich auf einen vielseitig interessierten Freund mit Kultur und Herzensbildung für gemeinsame spannende Reisen, Ferien, kulturelle Anlässe, Wanderungen und glückliches Beisammensein. Chiffre 12860.»
Ein passgenauer Beschrieb, der Wilfried Schmidt ins Herz traf. Er hatte seinerseits in der Zeitlupe per Inserat nach einer Haushälterin gesucht. Viel zu gross war das Haus, das er mit seiner verstorbenen Frau bewohnt hatte. Eine Putzhilfe fand er zwar nicht, doch Charlotte Knöpflis Inserat liess ihn innehalten. «Wieso eigentlich nicht auf eine Kontaktanzeige antworten?», lautete der erste Satz des Briefes, den der 86-Jährige an die St. Gallerin schrieb. Für ihn war es das erste Mal, dass er auf ein Inserat antwortete. Sein Brief überzeugte die Schriftstellerin – zudem war er auch orthografisch korrekt. Damit stach Schmidt aus den Zuschriften, die Knöpfli erreicht hatten, heraus: «Wenn einer Schreibfehler macht, kann er es sowieso gleich vergessen.»
Es dauerte nicht lange, bis die beiden Mittachtziger ein Treffen vereinbarten. In Zürich wartete Charlotte Knöpfli ungeduldig auf ihr Date, als sie von Weitem einen gut aussehenden älteren Herrn mit Hut entdeckte. «Ich dachte sofort: Wenn es doch nur der wäre! Und tatsächlich kam er auf mich zu – und es war, wie wenn ein Licht in mir aufgegangen wäre.» Ähnlich erging es dem Lostorfer. Knöpflis Erscheinung und ihr selbstsicheres Auftreten gefielen dem pensionierten Ingenieur auf Anhieb. «Obwohl ich mich alles andere als selbstsicher fühlte. Das alles war neu und unbekannt für mich – ich hatte Schiss!», erinnert sich Knöpfli.
Aus einem Treffen wurden mehrere, Charlotte Knöpfli und Wilfried Schmidt kamen sich näher, verliebten sich. «Diese anfängliche Anziehung zu einem Menschen fühlt sich an wie ein Funke, der überspringt und sich langsam zu einem warmen Feuer ausbreitet», beschreibt die Seniorin ihre Gefühle, die dazu führten, dass die beiden fortan viel Zeit miteinander verbrachten.
Die Pandemie sorgte dafür, dass Wilfried Schmidt nicht mehr jedes Wochenende mit dem Zug hin- und herfahren konnte. So kamen sich die beiden noch näher. Eines Tages sei Schmidt deshalb mit zwei Koffern vor Knöpflis Tür gestanden und habe gesagt: «Ich bleibe jetzt mal eine Weile.» Geblieben ist er bis heute, in St. Gallen fühlt er sich mittlerweile zu Hause. Mit 86 respektive 90 Jahren gehen die beiden Verliebten heute ihren eigenen Interessen wie auch ihren Gemeinsamkeiten nach: sie am Schreibtisch, er in der Werkstatt oder im Garten. «Seit seiner Pensionierung kommt Wilfrieds handwerkliche Begabung in allen Varianten zum Tragen. Ich hingegen verkrieche mich hinter den Computer, um meine Gedanken zu sammeln und zu schreiben. Und dann freuen wir uns immer darauf, wieder zusammenzukommen, etwas zu kochen, gemeinsam zu lesen oder nur zu geniessen», erzählt Charlotte Knöpfli. Es sei wohl eines der Geheimnisse einer grossen Liebe: So viel wie möglich gemeinsam zu unternehmen, ohne sich selbst dabei aus den Augen zu verlieren.
Fünf Jahre hatte Charlotte Knöpfli nach dem Tod ihres Mannes allein im grossen Haus oberhalb von St. Gallen gelebt. «Meine erste grosse Liebe hat sich nach 60 gemeinsamen Jahren in ein stilles Licht verwandelt. Umso dankbarer bin ich dafür, dass ich mich mit 86 Jahren noch einmal verlieben durfte, dass die gleiche Tiefe und dieselben innigen Gefühle mich noch einmal so erfüllen.» Auch Wilfried Schmidt ist gerührt: «Ich würde wieder genau gleich handeln», sagt er. «Natürlich macht man sich Gedanken, bevor man mit einer fremden Frau in Kontakt tritt. Aber was hat man schon zu verlieren?» Die neue Partnerschaft habe für ihn als Witwer generell einen Neuanfang bedeutet. «Ohne die alten Erinnerungen zu vergessen, hat jetzt ein neuer Abschnitt mit neuen Erlebnissen begonnen. Im hohen Alter ist es vielleicht mühsamer, sich auf etwas Neues einzulassen. Es ist aber nicht weniger interessant.» Denn die Liebe, ist sich Wilfried Schmidt sicher, kenne keine Altersgrenze.
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