Unweit von St. Gallen liegt das Restaurant «Neue Blumenau». Für Sterneköchin Bernadette Lisibach liegt die Perfektion in der Einfachheit. Mit uns blickt sie über den Tellerrand.
Text: Marc Bodmer, Fotos: Stephan Bösch
Die Fahrt an diesem sonnigen Herbsttag führt durch sanfte Hügel, vorbei an sattgrünen Wiesen und Bäumen, an denen Äpfel reifen. Das Restaurant «Neue Blumenau» liegt gleich an der Strasse, die von Lömmenschwil (SG) nach Romanshorn führt. «Haben Sie es gut gefunden», fragt Bernadette Lisibach bei der Begrüssung. Doch die GPS-Wegleitung macht es selbst für Zürcher einfach, und von St. Gallen her sind es lediglich 15 Autominuten.
Bernadette Lisibach (50) ist mit fünf Geschwistern in Hellbühl (LU) aufgewachsen. «Ich bin auf einem Bauernhof gross geworden», sagt sie. Dort habe sie bereits erkannt, welchen Stellenwert Essen im Leben hat. «Mein Vater stand um vier Uhr morgens auf und machte sich an die Arbeit. Meine Mutter bereitete dann eine grosse Rösti zu.» Während diese auf dem Herd ihre goldbraune Kruste erhielt, schaute die Mutter nach den Schweinen. Frühstück, Mittag- und Abendessen waren wichtige Pausen im anstrengenden Arbeitstag. «Diese Zeit war prägend für mich. Ich war oft in der Küche und habe die Gesellschaft dort genossen.»
Als es um die Berufswahl ging, war für Lisibach klar: «Kochen muss man immer, ob man beruflich weitermacht, ist eine andere Frage.» Und weitergemacht hat sie – und wie! Sie gehört zu den Schweizer Sterneköchinnen, von denen es nur eine Handvoll gibt. Warum eigentlich? «Wir sind Frauen», meint sie nüchtern. «Wir haben die Gabe, Kinder in die Welt zu bringen, aber das heisst auch, dass wir während 5 Jahren vielleicht 50 Prozent – wenn überhaupt – arbeiten können. Wenn man gut sein will, geht das nicht. Den Job muss man leben und lieben.»
Bernadette Lisibach hat sich für ihren Job und gegen eine Familie entschieden. «Meine Familie sind meine Gäste», sagt die Luzernerin. «Sie schätzen die Lockerheit und Ehrlichkeit meiner Person, die sich auch in meinen Gerichten widerspiegelt.»
Das Restaurant dazu hat die Gastgeberin nach vielen Jahren im mondänen Oberengadin gefunden. Im Bündner Bergtal kochte sie während 11 Jahre beim mit 18-Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten Spitzenkoch und Restaurant-Tester Daniel Bumann in dessen «Chesa Pirani». «Schon dort bin ich im Betrieb aufgegangen und habe alles gegeben.» Danach folgte die Zeit im «The K», dem kulinarischen Aushängeschild des Fünf-Sterne-Hotels Kulm in St. Moritz. Seit 2011 hat sich Bernadette Lisibach mit der «Neuen Blumenau» den Traum eines eigenen Lokals erfüllt.
Wer sich mit Spitzengastronomie auseinandersetzt, weiss um den Stress der Küchenchefs und -chefinnen. Die Erwartungshaltung gegenüber Edel-Restaurants ist enorm. «Corona hat einiges zusätzlich verschärft. In dieser Zeit ist vieles kaputtgegangen», erklärt Bernadette Lisibach. «Die Gäste fordern sehr viel und haben besondere Wünsche. Die Preise der Produkte sind gestiegen. Und dazu kommt noch der Druck, den man sich selbst macht. Jeder Tag ist ein Überlebenskampf!»
«Die Gäste fordern viel und man macht sich selber auch Druck. Jeder Tag ist ein Überlebenskampf!»
An diesem Anspruch, Perfektion zu servieren, haben ihre vielen Auszeichnungen – Gault-Millaus «Köchin des Jahres 2015», 17 Gault-Millau-Punkte und ein Michelin-Stern 2019 – nichts geändert. Was hier in der Küche geleistet wird, ist Spitzensport. Auch Bernadette Lisibach vergleicht ihre Arbeit mit dem Team-Radsport: «Der Service dauert rund vier Stunden. Wenn das Restaurant voll ist, dann ist jede Ablenkung zu viel. Sekunden können entscheidend sein, ob ein Gericht gelingt oder nicht. Es gibt Tage, an denen man nicht so leistungsfähig ist. Da schiesst einem schon der Gedanke durch den Kopf: ‹Hoffentlich ist kein Tester im Lokal …›»
Wenn Bernadette Lisibach das sagt, dann schwingt kein Hauch von Star-Allüren mit. Diese Frau steht fest mit beiden Füssen in ihren rutschsicheren Arbeitsschuhen. Wie bewahrt sie diese Bodenständigkeit? «Das ist mein Naturell», schmunzelt sie. «Man braucht so wenig. Nicht einmal ein Bett. Man kann auch auf dem Boden schlafen», sagt die Frau, die seit Jahrzehnten kulinarische Höhenflüge für eine verwöhnte Klientel kreiert. Natürlich geniesse auch sie Luxus, aber: «Wir sind nicht das Wichtigste.»
«Meine Gäste sind meine Familie.»
Dieser Bescheidenheit zum Trotz muss auch Bernadette Lisibach die gleiche Erfahrung machen wie viele andere Köche: Sie wird nur selten von Freundinnen und Bekannten eingeladen. «Sie machen sich ihren Stress selbst», erklärt sie. «Alle können etwas, und es braucht so wenig. Ein guter Herdöpfel, ein Brot, ein gutes Stück Käse und ein Glas Wasser oder Wein. In der Einfachheit steckt die Kunst.» Was für die Spitzenköchin zählt, ist die Geselligkeit, das Beisammensein – wie damals in der Küche ihrer Mutter.
128 Sterne
Gemäss der Website restaurant-ranglisten.ch finden sich 128 Michelin-Sterne in der Schweiz. 15 davon entfallen auf 4 Lokale, denn zwei 3-Sterne-Köche finden sich im Restaurant Schauenstein: Andreas Caminada und Marcel Skibba. Ein Steinwurf davon entfernt, in Bad Ragaz, kocht Sven Wassmer. Traditionsgemäss beherbergt die Gemeinde Crissier ein Spitzenlokal, aktuell unter der Führung von Franck Giovannini. In Basel ist Peter Knogl im «Cheval Blanc» zu Hause und auch die einzige mit zwei Sternen prämierte Köchin: Tanja Grandits. Ein wenig besser schaut es in der 1-Stern-Kategorie aus. Hier haben 5 Frauen die begehrte Würdigung erhalten. Und damit es wieder einmal gesagt ist: Es ist ein Privileg, solche Kochkunst zu geniessen – ob sie nun mit 1, 2 oder mehr Sternen ausgezeichnet wurde.
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