Die Familie Sterk aus Baden kann auf eine 120 Jahre alte Geschichte als Kinobetreiberin zurückblicken. Wie tritt man ein solches Erbe an? Man verteilt die Verantwortung auf die Schultern dreier Geschwister.
Für seine Kinder hat Peter Sterk zwei Namen. In den Büroräumen der Sterk Cine AG, der Badener Kinobetreiberin, nennen sie ihn Peter, doch kaum draussen auf dem Trottoir, ist er wieder der «Papi». In Sitzungen und Verhandlungen wäre diese Anrede seltsam, finden sie. Peter Sterk ist sozusagen im Kino aufgewachsen, eine Etage über dem Saal des «Sterk» in Baden. Wenn Vater Waldemar abends seine Runde durch die Kinos machte und Mutter Nelly an der Kasse sass, schlich er als Bub oft in den Projektionsraum, um sich Filme anzuschauen. Heute ist Peter Sterk eine Grösse in der Schweizer Kinowelt: Er sass in der Eidgenössischen Filmkommission und baute bereits 1997 eines seiner Kinos in ein Triplex-Kino um. Der Onkel von Peter Sterks Grossvater, Jean Speck, hatte 1899 in Zürich das erste Kino in der Schweiz eröffnet.
In den Pantoffeln ins Kino
Vor acht Jahren hat sich der 73-Jährige – den Verwaltungsratssitz ausgenommen – aus dem traditionsreichen Unternehmen zurückgezogen. Als Rentner geniesst er es, von seiner Wohnung aus per Lift ins Kino Sterk hinunterzufahren – in den Pantoffeln, wie einst seine Mutter, die noch mit 84 Jahren Eintritte verkaufte. Der Aargauer ist seit 51 Jahren mit Johanna Sterk verheiratet, die unter anderem ebenfalls an der Kinokasse gearbeitet hat.
Filme haben ein Drehbuch. Der Wandel der Zeit nicht. Obwohl sie schon als junge Erwachsene ins Unternehmen eingestiegen waren, hatten seine Kinder 2010 keinen einfachen Start, als sie die Geschäftsleitung zu dritt übernahmen. Alexandra Sterk und ihre beiden Geschwister Martin und Franziska mussten unverhofft schnell alle zehn Säle in ihren drei Kinos mit digitalen Projektoren ausrüsten. «Wir hatten keine Wahl», sagt Alexandra Sterk, «sonst wären uns bald die neuen Filme ausgegangen.» Kostenpunkt: 1,5 Millionen Franken.
Auch der Zeitpunkt der Übernahme kam überraschend, obwohl Peter Sterk eigentlich alles detailliert geplant hatte. Doch er erkrankte an Krebs. Auch er hatte einst den Betrieb Mitte zwanzig kurzerhand für seinen Vater übernommen, nachdem sein Grossvater – bis zuletzt der Patron – einen Schlaganfall erlitten hatte.
«Meine Ablösung war für mich etwas ganz Natürliches», sagt Peter Sterk. Er hatte sich mit seinen Kindern frühzeitig an «Familienseminaren» über die Zukunft ausgesprochen. Die Geschwister begannen in ihrer Jugendzeit als Platzanweiser, bevor sie später auch die Filmrollen abspielten. Alexandra Sterk, mit 45 Jahren das älteste Kind, leitet nun den Betrieb mit seinen 80 Angestellten, ihre Schwester Franziska regelt die Filmprogrammation, den Bereich Gastro, das Eventmarketing und die Zahlungen, während ihr Bruder Martin für das Personal und die Finanzen zuständig ist. Trotz schleichenden Zuschauerrückgangs: Sie glauben an die Zukunft des Kinos. Alexandra Sterk ist sich jedoch bewusst, dass es schwierig wird, Kinder, die mit Netflix und iPad aufwachsen, ans Kino heranzuführen. Das grösste Übel, da sind sie sich einig, sei die Filmflut im digitalen Zeitalter. Statt 200 erhält das Trio nun jährlich 500 Filme angeboten. Darunter leide die Qualität, sagt Martin Sterk.
Die Familienphilosophie lebt weiter
Das Kino ist in der Familie Sterk gleichzeitig etwas Normales und etwas Aussergewöhnliches. Gerne erinnern sich die Geschwister an Kindergeburtstage im Kino – oder an ihr selbst inszeniertes Weihnachtstheater. Alle haben sich eine berufliche Zukunft in den Sterk-Kinos gewünscht. Peter Sterks einzige Bedingungen lauteten: eine wirtschaftliche Ausbildung und kulturelles Engagement. So gingen manche Sommerferien als Helferin, Platzanweiser («und Stuhlabtrockner!») für das Badener Open-Air-Kino drauf.
Von ihren Eltern hätten sie das «zielstrebige und engagierte Arbeiten» und einen Hang zur Sparsamkeit übernommen, sagen sie. Peter Sterk freut es, dass seine Kinder die Familienphilosophie verinnerlicht und gegenüber dem Schweizer Film und der Region Baden ein grosses Verantwortungsbewusstein entwickelt haben. «Die heutige Kinobranche verzeiht keine Fehler. Reich wird man damit auch nicht», sagt der zweifache Grossvater.
Nicht nur Peter und Johanna, sondern auch Alexandra und Martin Sterk haben im Kinogebäude Sterk eine eigene Wohnung bezogen. Wie einfach fällt da das Loslassen bei so viel Nähe? Ihr Vater sei immer noch mit vollem Herzen dabei, und das sei schön, sagt Franziska, schliesslich sei das Kino seine Leidenschaft. Alexandra ergänzt: «Er kann aber weniger gut loslassen, als er denkt.» Sie betont, dass er sich jedoch immer aus allem herausgehalten habe. Martin fügt an, er sei zudem fast nie mehr im Büro, worauf Franziska sogleich einwirft: «Aber zu Hause am Computer – eingeloggt in unser System!» Das könne man alles nachverfolgen, erklärt Alexandra, worauf alle schallend loslachen – auch Peter Sterk.
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