Zöpfe zum neuen Jahr

Das Foto von Neujahr 1937 zeigt Josef Ammann mit seinen älteren Geschwistern. Der Toggenburger Künstler lebt und arbeitet seit 21 Jahren in Gordola TI.

Kurz vor Weihnachten 1933 starb mein Vater an einer eitrigen Mittelohrentzündung. Penicillin, das ihn vielleicht gerettet hätte, kam erst einige Jahre später auf den Markt. So lernte ich meinen Vater nie kennen. Und meine schwangere Mutter und die sieben älteren Geschwister verbrachten wohl traurige Festtage.

Unser kleines «Buureheimetli» mit sechs, sieben Kühen in Gähwil im Toggenburg warf nicht viel ab. Aber wir schauten gut zueinander in unserer Familie und meine Mutter war eine starke Frau. Ich erinnere mich etwa, wie sie nächtelang strickte, damit meine Brüder wenigstens Socken und meine fünf Schwestern neue Bäbikleider zu Weihnachten erhielten. Den Stall, den ich mir wünschte, zimmerten meine Geschwister für mich.

Mein Onkel und Götti, Pfarrer im Rheintal, unterstützte uns und sorgte ab und zu für ein bisschen Luxus. Wenn er uns besuchte, durften wir nach dem Zmittag im Lädeli Schoggicreme aus der Büchse kaufen. Und fürs Neujahr liess er jeweils beim Bäcker für alle acht Kinder einen Zopf backen. Stolz posierten wir damit 1937 dem Alter nach aufgereiht fürs Foto: Willy, Gebhard, Maria, Margrit, Hedy, Theresia, Agnes und rechts aussen ich mit zweieinhalb Jahren.

Schwarzweissfoto: 8 Kinder stehen in einer Reihe, jedes hat einen Zopf in der Hand.
© zVg

Mein ältester Bruder übernahm später den Hof. Meine Schwestern traten nach der Schule in eine der beiden Stickerei-Betriebe im Dorf ein. Nur meine jüngste Schwester und ich durften, finanziert von den Geschwistern, eine Ausbildung machen. Ich konnte sogar studieren und bildete mich zum Künstler aus. Heute arbeite ich vor allem mit Email-Techniken. Ideen, Inspirationen und Aufträge habe ich auch mit 87 genug. Deshalb arbeite ich weiter, solange ich mag und Freude am Gestalten habe.

www.josef-ammann.ch

Aufgezeichnet von Annegret Honegger

Beitrag vom 17.01.2022

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